Tessiner Erzählungen. Aline Valangin

Tessiner Erzählungen - Aline Valangin


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die bereit waren, auszusagen, ja, der arme Sindaco sei etwa abends mit ihr zu sehen gewesen, am Waldrand, wo die Wiesen des Sindaco münden und das Gras früh schon so hoch stehe, nirgends so hoch. Und welch guter Mäder der Sindaco gewesen sei, keiner wie er. Schade, dass er sein Gras nicht mehr mähen könne. Oder am Brunnen, wo man ei­gentlich am Abend nichts mehr zu suchen hat, auch etwa beim verfallenen Ställchen, in welches die Berta nachts ihre Hühner einschließt, damit der Fuchs sie nicht hole. Ja, man habe sie zu­sammen gesehen. Warum auch nicht? Ein flotter Mann, ein hübsches Mädchen … eben …

      Nun musste der Vater des Sindaco schauen, wie er sich aus der Schlinge rette, die drohte, sich um ihn zusammenzuziehen. Er tat es auf die einfachste Art, indem er auf die Suche ging nach Männern, die um die bestimmte Zeit die Berta näher betrachtet hatten. Und er fand viele. Denn die meisten Leute werden sich gesagt haben, bis jetzt habe noch immer derjenige recht bekommen, der das Geld hat, und darum sei es klüger, dem Alten zu helfen gegen die Berta, es schaue für sie sicherer etwas dabei heraus.

      An einem regnerischen Spätsommertag sah die Sciora von ihrem Balkon aus ein Auto auf der Piazza ankommen und dort halten. Sie kannte es nicht. Ihm entstiegen Herren, darunter der Richter aus dem nahen Städtchen, ihr Sommernachbar. Die Herren be­gaben sich in das Gemeindehaus, ohne sich umzuschauen. Etwas später, es regnete nun stark, sah sie einen langen Zug dunkler Männer unter Regenschirmen gebückt die Straße heraufkommen und auch im Gemeindehaus verschwinden. Bald kamen von der anderen Seite schwarz gekleidete Frauen rasch und scheu über den Platz und huschten die Kirchentreppe herunter in die Kirche.

      Das alles kam der Sciora ungewöhnlich vor. Sie rief nach der Marta, ob sie wisse, was das zu bedeuten habe.

      Nun eben, es sei heute der Tag wegen der Berta. «Immer noch diese Berta, das Kind kann doch schon bald sprechen und selbst den Namen …» «Oh, Sciora», ruft die Marta dazwischen, «es ist nicht zum Scherzen.» Und mit tiefbekümmertem Gesicht: «Heute sind alle die Zeugen geladen, die sagen, sie hätten es auch mit der Berta gehalten. Es sind vierzehn Männer … einer ist sogar aus dem Nebental, drei Stunden weit zu Fuß, mit der Post drei Franken fünfzig … Sie können sich denken, welche Schande das ist für alle diese Ehefrauen! Sie weinen zu Hause oder sind zur Kirche gegangen, um sich im Gebet zu stärken. Das ist kein Spaß! Die Filomena sagt, sie wolle nicht mehr leben, nachdem sie dieses habe durchmachen müssen.» … Nachdenklicher fügte die Marta bei: «Wer hätte gedacht, dass diese Berta ein solches Luder ist? Und wann, Sciora, aber wann denn auch sind alle die Männer zu ihr gegangen? Man sieht doch jeden Menschen, der droben ein und aus geht. Halt wohl in der Nacht. Oh, diese Schlechtigkeit. Und so sind eben die Männer, wie die Hunde. Meilenweit kommen sie gelaufen, wenn sie von einem Mädchen wissen, es sage nicht nein. Genau wie die Hunde.»

      Der Mann der Marta saß schon seit zehn Jahren im Irrenhaus. Es war ihr großes Unglück, an dem sie immer noch würgte. Aber heute war sie fast froh, dass er im Irrenhaus saß. Man kann ja nie wissen, was so einem Mann einfallen mag. Am Ende wäre er heute der Fünfzehnte gewesen.

      Spätabends war erst die Sitzung aus. Die Sciora sah die Männer aus dem Gemeindehaus treten, einzeln, und sich im nebligen Abend verlieren. Dann stand der Richter in der Türe und schaute müde um sich, bevor er seinen Schirm aufspannte und über den Platz ging. Die Sciora winkte ihm mit der Hand und rief: «Nun, wie steht es mit der Berta?» Der Richter zuckte die Achseln und schüttelte den Kopf: «Nichts … nichts … es konnte ihr nichts nachgewiesen werden. Die Männer haben sich in ihre Aussagen verwickelt, einigen wurde die Sache bedenklich und sie traten zurück, andere wiederum schien die Eifersucht zu plagen, sie begannen sich zu zanken, und so bleibt nach all dem Aufwand nichts übrig als der Schwur der Berta, der Sindaco sei ihr Geliebter gewesen und das Kind sei sein Kind.» «Aber wir sind noch nicht am Ende der Geschichte», meinte er nachdenklich, grüßte und ging zu den anderen, die am Wagen auf ihn warteten. Dann hörte die Sciora das Auto zu Tal fahren.

      Was kann nun kommen?, dachte sie.

      Es kam lange nichts. Im Tal hat man Zeit. Jeder würde es be­dauern, wenn eine so schöne Geschichte ein frühzeitiges Ende fände. Es gibt in der ganzen Gegend kein Kinotheater. Die Be­wohner müssen selbst für Theater und Unterhaltung sorgen.

      Der Vater des Sindaco sah, seine Sache stand schlecht. Er verlor an Anhängerschaft, denn für den Fall, dass die Berta gewinnen sollte, war es höchste Zeit, sich mit ihr gut zu stellen. Sonntags, nach der Messe, auf dem Dorfplatz, hörte man recht freundliche Reden über das Mädchen. Sie habe das Unglück nicht verdient, sie sei doch ein ordentliches Mädchen, und hübsch, keine sei so hübsch wie die Berta. Dann: sie lese Bücher. Das stimmte. Die Sciora hatte sie einst am Waldrand getroffen. Die Berta saß auf einem Stein, das eine Bein über das andere gelegt. In der Hand, die über das Knie hing, hielt sie ein Buch. Die Sciora fragte, was sie lese. Das Mädchen sah nach dem Buchdeckel, sie vergesse immer, wie das Buch heiße: L’amore della colomba. Ein schöner Titel, ein gutes Buch. Das Mädchen war eben etwas Besonderes. Je freundlicher über die Berta gesprochen wurde, desto unwirscher wurden die Brüder des Verstorbenen. Sie schimpften mit ihrem Vater, Geld und Achtung der Menschen gehen in diesem Geschäft nutzlos zum Teufel. Der Vater mache seine Sache schlecht. Es war oft Lärm zu hören im Hause des Alten, Männerstimmen schrien durcheinander, schwere Schritte polterten auf der morschen Treppe, Türen schlugen. Doch es geschah nichts Neues. Der Alte brütete.

      Dann aber raffte er sich auf und holte zum entscheidenden Schlag aus, der sowohl das Mädchen und seine Sippe wie seine un­geduldigen Söhne treffen sollte. Eines Morgens setzte er seine alte, zerfressene Pelzmütze auf, nahm seinen Stock und bestieg auf der Piazza die Post, die zu Tal fuhr, ohne den Neugierigen Auskunft zu geben, wohin und wozu. Er fuhr in die kleine Stadt und ging dort dem erstaunten Gericht melden, er selbst, der Vater, ja er, und warum denn nicht, so alt sei er gar nicht, er habe in jener Zeit Beziehungen zu dem Mädchen unterhalten. Das könne er beschwören.

      Trotzdem sein Bericht unwahrscheinlich klang, vermochte der Alte Einzelheiten zu berichten und gute Zeugen für die Echtheit seiner Angaben zu nennen, die das Gericht annehmen ließen, er sage die Wahrheit.

      Wie war das nun? Es wurde angenommen, auch die Berta habe die Wahrheit gesagt, sie hatte ja geschworen. Also war sie wohl mit dem Sindaco, wie mit seinem Vater … das ist schlimm, sehr schlimm … Arme Berta!

      Als man dies im Dorf erfuhr, war ein paar Tage lang die Aufregung groß. Diesen Streich hatte niemand erwartet. Doch fühlte bald jeder, dass die schöne Geschichte, die solange das ganze Dorf unterhalten hatte, nun zu Ende sei. Man spottete noch eine Zeitlang über den Alten. Der machte sich aber nichts daraus. Er hatte sein Geld gerettet. Die Schande tat ihm nicht weh. Er ging, als ob nichts geschehen wäre, seinen kleinen Geschäften nach: die Haselbüsche von falschen Zweigen reinigen, Schwämme suchen für den Winter, die er auf seinem halbzerfallenen Balkon trocknete, oder seinen verwilderten Garten jäten. Auch über die Berta wurde gelacht, und da sie zum Spott den Schaden trug, hätte man denken können, sie gräme sich. Die Marta, von der Sciora danach gefragt, sagte verwundert: «Die Berta? Oh, die lacht. Sie freut sich über ihr hübsches, kluges Kind. Alle Frauen beneiden sie ja um das süße Jesulein.»

      Als der Gerichtsspruch bekannt gegeben wurde, interessierte man sich im Dorf schon für eine neue Geschichte. Kaum, dass man ihn sich anhörte. Da das Mädchen es mit zwei Männern gleichzeitig getrieben habe, lautete der Spruch, sei es kein anständiges Mädchen und seine Klage sei abzuweisen.

      So behielt der Vater des Sindaco recht und Geld. Die Leute aber, die gehofft hatten, von ihm etwas für treue Dienste zu er­halten, haben sich geirrt. Niemand sah einen Rappen, nicht einmal ein Schöpplein Wein. Dadurch verlor der Alte seine letzten Freunde. Obschon er recht behielt, ist es doch eher die Berta, die gewonnen hat. Denn heute ist jeder im Dorf davon überzeugt, dass der Sindaco der Vater des Kindes ist. Schon um den Alten zu ärgern, diesen Geizhals.

      Das Kind ist jetzt vier Jahre alt. Die Sciora traf kürzlich mit der Berta und dem kleinen Jungen zusammen. Sie sprach ein paar Worte mit dem Mädchen, das stolz ist auf seinen Sohn. Und während sie sprach, forschte sie in dem runden Kindergesicht. Es kam ihr sehr bekannt vor. Dieses braune, krause Haar, der Blick unter dem Hütchen hervor? Wem sah das Kind denn ähnlich, wem?

      Von ihrem Spaziergang zurückgekehrt,


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