Go, Josephine, go. Paula Charles

Go, Josephine, go - Paula Charles


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was ihn bei den andern Arbeitern unbeliebt machte. Er wurde ihr Boss. Er war ein schnell und hart arbeitender Mann, und er war ehrgeizig.

      Dann fand auch meine Mutter eine Arbeit. In einem Snack-Shop putzte sie und wusch Geschirr. Mit dem gebratenen Zeugs, das sie da verkauften, fütterte sie uns. Es war ihr nicht erlaubt, weisse Kunden zu bedienen; der Besitzer wollte auch nicht, dass sie sich im Lokal zeigte, aus Angst, seine Kundschaft zu verlieren.

      Noch immer konnte sich meine Mutter nicht daran gewöhnen, früh am Morgen in dem eisigen Zimmer aufzustehen und nach draussen zu gehen, wo es noch kälter war. Anfangs brachte Vater sie zur Arbeit. Er musste stark sein, wenn sie zitternd zusammenbrach; aber seine zukünftige Ehefrau auf einmal so schwach zu sehen, verletzte und demütigte ihn.

      Mit ihrem ersten Lohn kaufte Mutter Vorhänge, Bettwäsche, Lebensmittel und einige Sachen für das Baby. Sie versuchte in dem miefigen Zimmer, das sie mit Pflanzen und Blumen verschönerte, nicht an St. Lucia zu denken, wo sie in einem Haus mit mehreren Zimmern gelebt hatte. Es gab keine Dusche, und die Toilette war ausserhalb. Waschen mussten sie sich im Abwaschbecken; heisses Wasser gab es nicht.

      Mutter war eine grossgewachsene Frau, fast gleich gross wie Vater. Sie hatte eine schöne dunkle Haut. Sie war damals etwa einundzwanzig Jahre alt. Als sie eines Nachts Schmerzen bekam, dachte sie, es seien Magenkrämpfe. Sie war jung und naiv, Vater hatte da mehr Erfahrung, auch wenn er sich um die sechs Kinder, die er in der Karibik zurückliess, nicht viel gekümmert hatte. Ich bin ja glücklicherweise kein Bastard geworden; meine Eltern haben noch vor meiner Geburt geheiratet.

      Er holte die Nachbarin von nebenan. Sie war eine Weisse, die einzige weisse Frau, die mit meinen Eltern sprach. Sie sagte: «Mary, du kommst in die Wehen, du musst sofort ins Spital.» Wann genau ich meinen Weg in die Welt gemacht hatte, weiss Mutter nicht mehr, so um Mitternacht, meinte sie.

      Die Nachbarin wurde meine Patin. Sie hiess Ive, war schon Anfang Sechzig und hatte keine Kinder. «Sie war eine wundervolle Frau», sagte meine Mutter immer wieder. Sie hatte ein Herz aus Gold, und ich war ihr Augapfel. Wenn Mutter an der Arbeit war, passte sie auf mich auf. Das war eine grosse Erleichterung, denn Mutter konnte es sich nicht leisten, nicht arbeiten zu gehen.

      Es war 1959, ich war drei Jahre alt und mein Bruder Ben zwei, als meine Eltern entschieden, dass sie nicht auf Dauer für uns sorgen könnten. Für viele Schwarze, die im Ausland Kinder bekamen, war es normal, dass sie diese zu ihren Eltern oder Schwestern nach Hause schickten. Ich denke, es ist für alle Eltern hart, sowas zu tun, ich habe das später selber erlebt.

      Die Frage war, ob ihre Mutter uns aufnehmen würde, da Mum und sie ja nie gut miteinander ausgekommen waren. Im schlimmsten Fall war da noch Vaters Mutter; die lebte alleine.

      Jetzt musste jeder Schilling zur Seite gelegt werden, nicht nur, um Sachen für uns zu kaufen, sondern auch für die Familie und Freunde zu Hause. Was von London kam, war wichtig, und wer in London lebte, war ein Star und musste das mit grosszügigen Geschenken beweisen.

      Meine Mutter wechselte die Stelle, arbeitete im Krankenhaus. Da verdiente sie ein paar Schilling mehr, aber sonst war die Arbeit nicht besser. Zu dieser Zeit liessen sich viele Weisse nicht von Schwarzen berühren. Man bezeichnete sie als schmutzig, einige rannten gar vor ihnen weg oder weigerten sich, von ihnen etwas zu essen und zu trinken anzunehmen, sogar wenn sie todkrank waren. Freundlich lächelnd, mussten die schwarzen Frauen diese Beleidigungen über sich ergehen lassen.

      In dieser Zeit hatten meine Eltern ein grösseres Zimmer gefunden, nicht weit vom alten Ort entfernt, an der Shurland Road. Dieses Zimmer wurde für viele Leute die erste Anlaufstelle in London, unter anderem für zwei meiner Onkel und Mutters jüngste Schwester. Sie hatten es besser als meine Eltern: Mutter nahm sie bei sich auf, bis sie Zimmer im obern Stock bekamen, sie gab ihnen zu essen und Taschengeld und half ihnen, sich in London zurechtzufinden. Es machte ihr Spass, von ihren Geschwistern Geschichten von zu Hause zu hören. Aber eigentlich hatte sich dort nichts verändert; sie kämpften immer noch um das bisschen Land, ihre Mutter trank immer noch und fluchte über ihre Tochter.

      In London mussten die Geschwister versuchen, miteinander auszukommen. Doch bald fingen die Streitereien an, vor allem zwischen Mum und ihrem Bruder Run. Schon zu Hause hatten sie sich nicht gemocht. Er trank und brachte jede Nacht eine andere Frau nach Hause, was irgendwann zum Eklat führte. Der Streit war wüst, da wurde mit allem gekämpft, was sie zur Hand hatten, auch mit Messern.

      Die Vorbereitungen für unsere Reise waren endlich abgeschlossen. Mutter ging mit Ben und mir aufs Schiff. Damals konnte ich nicht wissen, dass ich Vater nie wiedersehen würde. Ich erinnere mich, dass ich nur ungern ohne ihn wegfuhr.

       Überfahrt mit Miss Sara

      Wir waren zwei Wochen auf See. Eines Nachts brach auf dem Schiff Feuer aus. Der Kapitän war beunruhigt genug, um die Passagiere auf die Rettungsboote evakuieren zu lassen. Panik brach aus, alle schrien und stolperten übereinander, während der Kapitän über Lautsprecher zur Ruhe mahnte.

      Meine Mutter hatte wahnsinnig Angst, weil sie nicht schwimmen konnte. Sie liess alles auf dem Schiff zurück, während die Europäer ihre Diamanten, ihr Gold und ihre Kleider aufs Boot mitzunehmen versuchten.

      Irgendwie schafften sie es, das Feuer zu löschen. Die Boote konnten wieder an Bord gezogen und die Schwimmwesten versorgt werden. In dieser kurzen Zeit hatte die Hautfarbe keine Rolle gespielt.

      Es gab eine auffällige Frau an Bord: eine weisse, blonde, sehr britische Frau. Die Haare hatte sie, mit viel Haarspray behandelt, am Hinterkopf hochgesteckt. Sie trug oft ein tief ausgeschnittenes rosa Kleid, das sehr kurz war und ihre Rundungen zeigte. Wenn sie vorbeistöckelte, zog sie alle Blicke auf sich. Die Männer in der Küche mit ihren schmutzigen Overalls rannten, das Fleischmesser noch in der Hand, zum Fenster, wenn sie vorbeiging, oder verbrannten sich aus Unachtsamkeit die Finger. Es war ein britisches Schiff mit viel ausländischer Besatzung. Diese Männer waren bereit, Miss Sara jeden Wunsch jederzeit zu erfüllen. Sie stritten sich, wer sie als erster haben dürfe. Sie wussten, was sie wollte; es war ja nicht das erste Mal, dass sie solche Angebote erhielten. Sara hatte es auf den dunklen, hübschen Spanierjungen abgesehen. Er war jung und noch unerfahren; sie war älter, so um die Dreissig.

      Mutter war nicht gerne auf See und konnte es kaum erwarten, bis wir wieder an Land waren. Sie war keine Mutter, die uns mit Liebe überschüttete, sie tat ihre Pflicht, und das war's. Es gab keine liebevollen Berührungen und erst recht keine Küsse, aber manchmal brachten wir sie zum Lachen. Vor dem Frühstück und Dinner wusch sie uns und zog uns sauber an. Mir band sie Schleifen ins Haar, was ich hasste. Ich war neugierig, aber schüchtern. Ich hatte grosse Augen, lächelte aber nur, wenn ich von Fremden Aufmerksamkeit erhielt. Wenn ich die anschaute, gab mir Mutter eins auf die Finger.

      Saras Kabine war auf unserem Korridor. Ich begegnete ihr oft. Wenn sie zum Frühstück oder Dinner ging, streichelte sie meine Wangen mit ihrer sehr weissen Hand mit der geschmeidigen Haut. Einmal fragte ich sie: «Miss Sara, was ist das für ein feiner Duft?» Sie beugte sich zu mir und sagte mit ihrer samtigen englischen Stimme: «Das ist Christian Dior. Magst du es?» Ich nickte. «Du heisst Paula, nicht?» «Ja», antwortete ich und fühlte mich ungezogen, weil ich mit einer Fremden sprach. Mein Bruder stand in seinen ausgebeulten Shorts daneben – er heulte jeden Morgen, wenn er die anziehen musste. Er rief laut: «Und ich bin Ben!» Immer war er vorlaut und musste auf sich aufmerksam machen. Er hatte sehr schöne Zähne, klein und weiss. Miss Sara erhob sich, tätschelte mir beim Weggehen die gefetteten, geflochtenen Haare und tänzelte zu Männern und Tee.

      Eines Nachmittags hatte uns Mutter rausgeschickt, sie wollte ein Nickerchen machen. Wir spielten im Korridor, mein Bruder sprang auf und ab und fiel immer wieder auf den Hintern, wenn er nach den Murmeln zu grapschen versuchte. Da hörte ich am Ende des Korridors Geräusche, ich wusste nicht, was es war. «Es weint jemand, Ben», sagte ich. Ich rannte den Korridor entlang zu Miss Saras Kabinentür, die halb offenstand. Ich sah einen Mann auf dieser Lady liegen, er machte Geräusche, ich schaute hin, lachte, die Hände vor dem Mund. Die beiden waren nass und bewegten sich sehr schnell, sie hatte ihre Beine in der Luft und hielt sich an seinen Haaren fest. «Fester», sagte sie.


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