Go, Josephine, go. Paula Charles
draussen stand. Wir mussten drei-, viermal zum Fluss gehen, um sie zu füllen. Dann schnitten wir etwas Hibiskus, aus dessen Blättern wir seifigen Schaum machten. Man musste die Blätter etwa eine halbe Stunde reiben, und man bekam wunde Hände davon. In Europa kannst du das Zeugs teuer kaufen, aber für uns war es etwas Alltägliches; das Bad war sehr erholsam, und nachher duftete man frisch.
Nacktheit war nichts Unanständiges, auch nicht etwas zum Anstarren. Es war ganz natürlich für mich, mit meiner Gran zu baden, wenn auch nicht immer angenehm, weil die Wanne zu klein war. Wir bedeckten uns nicht, wenn kleinere und grössere Kinder zusammen waren; wir kamen gar nicht auf die Idee, dass etwas daran falsch sein könnte.
Auch die Wäsche wurde vor dem Haus gemacht, und wenn Gran guter Laune war, gingen wir zum Fluss. Es brauchte Stunden, um nur ein Kleid zu waschen. Alle waren mit nackten Brüsten am Fluss, es wurde getratscht, eine richtige Waschparty. Einige brachten ihren Lunch mit. Alle konnten die Kleider und Panties der andern begutachten; man trug handgemachte Unterhosen, die wie Long Johns aussahen. Die Wäsche wurde auf dem Gras ausgebreitet und von Zeit zu Zeit wieder angefeuchtet. Manche spuckten auf die Wäsche, weil sie glaubten, sie werde dadurch seifiger. Und mit Hilfe der natürlichen Kraft der Sonne wurde die Wäsche weiss, verschwanden die letzten Flecken.
Mutters St. Lucia
Eines Nachts, als ich auf den Kleiderfetzen, die unser Bett waren, schlief, hörte ich plötzlich Stimmen nebenan – Weinen, Reden, Schreien –, und dann sah ich Tanten, Freundinnen und ältere Leute auf uns zukommen. Sie sagten: «Granma ist gestorben.» Ich weiss nicht, warum sie es gewusst hatten und wie sie hergekommen waren, ohne dass ich sie gehört hatte. Ich war wie betäubt, wusste nicht, ob ich weinen oder lachen sollte. Das einzige, was ich wahrnahm, war, dass jemand mich in den Armen wiegte.
Dass Granma tot war, schien unmöglich. Es schmerzte mich, dass ich nicht bei ihr gewesen war, um ihre letzten Worte zu hören. Man erzählte mir, sie habe meinen und Bens Namen gerufen. Ich fand es gemein, dass man uns nicht geweckt hatte.
Ein bisschen war ich auch erleichtert, dass es vorbei war, doch ich wusste, was als nächstes kommen würde: Schon begannen sich alle um Grans Wertsachen zu streiten. Sowas wie ein Testament kannte man nicht. Diese Leute, für die Gran immer ein gutes Wort gehabt hatte, kämpften um Dinge, die eigentlich uns gehörten – die Möbel meines Vaters, der goldene Ring und die Gläser, die sie kaum je benutzte, waren ihre einzigen Besitztümer, die sie für wertvoll hielt, sonst waren da nur ein paar Dollars, die sie immer in ein Tuch knüpfte.
Gran besass auch Land, aber bis heute haben Ben und ich nie Anspruch darauf erhoben; es gab zuviel Schwarze Magie, und wir wollten nicht von diesen Leuten in den Wahnsinn getrieben werden. Es waren ja auch sie, die Gran getötet haben. Man hat mir erzählt, dass Gran mit einer grünen Schlange im Magen gestorben sei. Ihr Stuhl hatte eine seltsame grünliche Farbe, und sie musste ständig auf die Toilette.
Für mich war klar, dass Mutter uns nun holen musste. Wir blieben noch einige Wochen in Grans Haus, aber in dem Haus spukte es, es war unheimlich, und während Tagen war da dieser eigenartige Geruch. Was die Leute im Dorf mit Grans Leiche gemacht haben, weiss ich nicht; uns sagten sie nur, man habe sie begraben.
Es ist Brauch in St. Lucia, das Haus einer Toten auszufegen. Als sie sich bei uns an die Arbeit machten, wusste ich, dass ich jetzt schnell überlegen musste, ich musste mich rühren, sogar die Bäume sahen aus wie tot, alles war tot, da war keine Fröhlichkeit mehr, und Granmas Stimme, die mich gerufen hatte, wenn ich mit meinen Freunden zu weit vom Haus weggegangen war, war verstummt. Der ganze Ort machte mich krank, und ich wollte für immer weit weg rennen. Jedesmal, wenn ich ein Flugzeug am Himmel sah, begann ich zu weinen. «Flugzeug, bitte, bring mir meine Mutter», bat ich. Ich fühlte mich alleine und heimatlos. Granma würde nicht wiederkommen; sie war für immer gegangen.
Ich erinnerte mich deutlich an ihre Worte: «Geh zur Familie deiner Mutter.» Ich wusste nicht, wie ich dieses Versprechen halten konnte, denn alle wollten ein Stück von uns. Grans Schwester, eine nette Tante ohne Kinder, nahm uns in Obhut, und ich wusste, dass es ihr grösster Wunsch war, uns bei sich zu haben. Aber wir gingen ihr schnell auf die Nerven; sie hatte keine Ahnung von Kindererziehung, sie konnte nicht mal meine Haare flechten und fühlte sich als Versagerin. Ben lachte sie aus. Er war zu dieser Zeit ein schwieriger Junge, wollte nicht gehorchen und stellte dauernd Unfug an.
Wir blieben nur so lange bei Grans Schwester, bis Auntie Elle, Mums Schwester, sich bereit erklärte, uns aufzunehmen. Ich war glücklich. Wenigstens würde ich dort schon etwas näher bei Mum sein.
Ich war verblüfft, dass Auntie Elle neun Kinder hatte, aber sie waren wohlhabend. Ich war erst zweimal dort gewesen, einmal, als Mums Mutter starb. Granma hatte die Familie nicht gemocht; sie waren Städter, hielten sich für etwas Besseres.
Wir wurden wie Dienstmädchen behandelt. Sie liessen uns schuften wie Esel. Nach einigen Monaten begann ich mich deprimiert zu fühlen. Ich hasste das Kochen, Putzen, Waschen und das Bügeln, was ich nie vorher gemacht hatte. Ich hatte Granma immer bitten müssen, dass ich auch waschen durfte; hier war es meine tägliche Arbeit.
Ein Mädchen, das ich hasste, war Cilla. Sie war gemein und grausam. Wenn ich tat, was sie mir befahl, durfte ich mit ihr in die Stadt gehen – nur um zuzuschauen, wie sie mit ihrem Boyfriend schmuste. Und Auntie Elle durfte ich nichts erzählen. Cilla war drei Jahre älter als ich und besser gebildet. Sie machte immer Bemerkungen über mein Aussehen, nannte mich Glühbirne, weil ich immer alles sah.
Hier konnten uns alle schlagen, es gab keine Kontrolle. Eines Tages war mein Bruder wieder mal in Form und wollte auf niemanden hören. Cillas nächstjüngere Schwester Mandy befahl ihm, den Hof zu wischen. Als er sich weigerte, warf sie ein grosses Messer, eine Machete, nach ihm. Es hätte ihn fast am Fuss getroffen. Da rastete ich aus, brüllte, bis ich keinen Ton mehr herausbrachte, und begann auf sie loszuschlagen. Ich war keine gute Kämpferin, sie gewann. Aber einige meiner Wörter trafen auch.
Obwohl Mandy zwei Jahre älter war als ich, schimpfte Auntie mit mir. Ich war das schwarze Schaf. Ich erwartete nichts anderes. Sie hatten eine grosse Plantage, die eigentlich allen Nachkommen der Grossmutter gehörte, aber ich durfte nicht mal eine Kokosnuss pflücken.
Auntie Elle war eine widerliche Person. Sie war unglaublich dick, und das einzige, wozu sie fähig war, war schlafen, essen und auf dem Balkon hocken und den Leuten zuschauen, die vorbeigingen – dies zwölf Monate im Jahr. Auntie Elle hatte nie wirklich gearbeitet. Sie verliess sich auf ihren Mann, die Kinder, die Arbeiter auf der Plantage und auf Dienstboten, wie Ben und ich es nun waren. Wenn es zwischen ihre Balkonsitzungen passte, raffte sie sich auf, um in der Stadt etwas für besondere Anlässe einzukaufen. Aber nie hat sie uns, den Kindern ihrer Schwester, etwas aus der Stadt mitgebracht.
Ihr Mann war fast nie zu Hause, er verbrachte soviel Zeit wie möglich mit jüngeren und schlankeren Frauen. Zu uns war er freundlich; er brachte uns ins Dorf, damit wir die Tanten und Schulfreunde besuchen konnten. Ich vermisste diese sehr, aber es war schwierig, sie ausserhalb der Schule zu treffen, denn sie lebten in verschiedenen Dörfern.
Ich hatte kein eigenes Bett und musste bei einem der Mädchen schlafen. So schlief ich manchmal bei Mandy, die sich nichts dabei dachte, wenn sie meine Brüste berührte und sie zu küssen versuchte. Es brachte mich ganz durcheinander und machte mich wütend, doch ich konnte mich nicht wehren. Ich lebte ja in ihrem Haus, schlief auf ihrer Matratze. Sicher, ich war auch neugierig, wollte mehr über Sex herausfinden, aber nicht auf diese Art, das war nicht richtig. Sie versuchte mich überall zu berühren, sogar an den Geschlechtsteilen. Es widerte mich an, aber insgeheim dachte ich auch, ich sei vielleicht selber schuld. Und ich dachte mit Angst an die Konsequenzen; wenn meine Mutter das erführe, würde sie mich womöglich nicht mehr holen kommen. Ich machte Mandy klar, dass sie das nicht wieder tun dürfe. Trotzdem hat sie es wieder versucht, und diesmal wehrte ich mich.
Ich hatte aber nichts dagegen, wenn Jungs mich anmachten. Ich wollte ja herausfinden, wie die Leute «es» machten, war neugierig und auch ziemlich reif für mein Alter, mit meinen Brüsten. Auch Mum begann sich damals Sorgen zu machen, wie ich erfuhr; es gab viele Mädchen, die schon mit vierzehn ein Kind hatten. Von der Freundin ihres Bruders,