Wintertauber Tod. Urs Schaub

Wintertauber Tod - Urs Schaub


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Predigtworten den Tau der Frische zu verleihen.

      Aufgebackenes Brot bleibt aufgebackenes Brot!

      So hörte man die alten Frauen zwischen ihren Gebeten murmeln. Als der Priester einmal aus Versehen in seiner Predigt auch noch die Namen der beiden Ortschaften verwechselte, lachten die Anwesenden böse auf, bekreuzigten sich und warfen sich bitter lächelnd Blicke der Bestätigung zu.

      Manz hatte nun mittlerweile den Tatort so aufgeräumt, wie er glaubte, es tun zu müssen. Schließlich war er ein Mensch, der schon immer Wert auf Ordnung gelegt hatte. In den offenen Hauseingang war nämlich der Schnee hineingeweht worden, der draußen fast einen Meter hoch lag. Nachgemessen hatte er natürlich nicht, aber der Schnee lag auf jeden Fall höher als in all den Jahren zuvor, in denen der Polizist hier seinen Dienst verrichtet hatte. Bevor er den Leichnam zudeckte, fegte er also den Schnee gründlich nach draußen und sammelte einige Gegenstände auf, die ganz offensichtlich aus dem schmalen Vorratsschrank, der im Flur stand, herausgefallen waren. Wahrscheinlich hatten die Windböen die Schranktür aufgeweht, und so waren einzelne Gegenstände auf dem Leichnam zum Liegen gekommen. Es waren einige rote Bändel, diverse Schnüre, weiße Kerzenstummel und farbige Papierschnitzel, kurz, alles Dinge, die man durchaus in einem Schrank aufbewahrte, erklärte sich der Polizist den Sachverhalt. Geduldig sammelte er alles auf und verstaute es wieder fein säuberlich im Wandschrank. Einige herumliegende geschälte Äpfel, zum Teil blutverschmiert, legte er auf eine Handschaufel und entsorgte sie in den Abfalleimer, der hinter dem Haus stand. Über die Äpfel machte er sich keine weiteren Gedanken, die waren sicher auch aus dem Schrank gefallen, schließlich handelte es sich um einen dieser in alten Häusern üblichen Vorratsschränke, die für gewöhnlich im Flur standen. Die Bewohner dieser ärmlichen Häuser hatten oft gar keinen Kühlschrank oder nur einen ganz kleinen. So war man auf einen Vorratsschrank im unbeheizten Flur angewiesen.

      Danach schloss er die Haustür hinter sich, holte einen Augenblick lang Atem und musterte die Umgebung. Das Nachbarhaus lag still und verschlossen da. Nichts rührte sich. Die Fenster schauten kalt und abweisend auf den Polizisten. So kam es ihm auf jeden Fall vor.

      Er fragte sich in diesem Augenblick, ob die Mutter vom Müller Franz, dem Täter, der ja bereits in der hinter seiner Amtsstube liegenden Zelle saß, die er höchstens alle paar Monate als Ausnüchterungszelle brauchte und sonst zum praktischen Ablageort für jede Art von Akten umfunktionierte, ob sie also, die Schweigerin, wie man sie insgeheim im Dorf nannte, über die furchtbare Tat ihres einzigen Sohnes im Bilde war?

      Als der untersetzte junge Mann, der bereits einen Bauchansatz hatte, vor zwei Stunden an der Tür des Polizeipostens geklopft hatte und dann still, fast scheu in die Amtsstube getreten war, um sofort und ohne Umschweife in ruhigen, ja geradezu gesetzten Worten seine Tat zu gestehen, hatte der Polizist zweimal nachfragen müssen, weil er die Geschichte einfach nicht glauben konnte. Und das, obwohl beide Hände von Franz voller schwarz-braunem, eingetrockneten Blut waren. Auch um den Mund herum war er verschmiert. Wahrscheinlich hatte er sich mit den blutverschmierten Händen über den Mund gewischt. Franz beteuerte im gleichen Atemzug, dass seine Mutter nichts davon gewusst und mit der Sache überhaupt nichts zu tun habe. Am besten wäre es, hatte er vorgeschlagen, wenn sie gar nichts davon erführe. Das sei natürlich nicht möglich, erwiderte der Polizist, aber darüber könne man nachher noch reden. Er solle jetzt sowieso am besten einfach schweigen. Er würde ihn fürs Erste in die Zelle sperren, vorher müsse er aber noch etwas aufräumen. Ob Franz so gut sei, einen Moment Platz zu nehmen? Vorher könne er sich aber, wenn er wolle, die Hände und das Gesicht waschen. Franz wusch sich die Hände und das Gesicht, war dann so gut und setzte sich. In aller Seelenruhe hatte der Polizist dann die Zelle leergeräumt, anschließend den Franzli, wie ihn im Dorf jeder nannte, hineinbefördert und die Gittertür zweimal abgeschlossen. Er hatte noch kurz überlegt, ob er die Zelle feucht aufnehmen solle, aber das schien ihm dann doch übertrieben. Den Schlüssel steckte er sorgfältig in die Hosentasche seiner Uniformhose. Bevor er seine Vorgesetzten in der fernen Kantonshauptstadt benachrichtigte, musste er selber an den Ort des Geschehens gehen. Er wollte sicher sein, dass Franzli die Wahrheit gesagt hatte. Glauben konnte er es immer noch nicht. Das Opfer kannte er natürlich, und auch das Haus.

      Also stapfte er durch den Schnee. Zuerst die Hauptstraße entlang, dann den Weg hinunter zum alten Zollhaus. Noch zehn Meter vom Haus entfernt, konnte er sich immer noch nicht vorstellen, dass Margot Fuchs tot sein sollte. Ein paar Schritte weiter blieb ihm nichts anderes übrig.

      Sie lag im offenen Hausflur am Boden, der Schnee war rot von ihrem Blut. Ihr Leib war von unten bis oben aufgeschlitzt. Manz musste sich an den Türrahmen lehnen. Aufgeschlitzte Leiber hatte er in der Fremdenlegion gesehen. Aber damals herrschte Krieg. Warum hatte der Franzli denn so eine Wut auf die Margot? Sie hat sich doch immer sehr lieb um ihn gekümmert. Manz schaute auf den übel zugerichteten Körper. Trotz ihres Zustandes konnte man immer noch sehen, dass Margot die schönste Frau weit und breit gewesen war. Wie oft hatte Manz nachts heimlich vor ihrem Haus gestanden und gehofft, er könne einen Blick auf sie erhaschen.

      Einmal war ihm das Glück hold gewesen und er hatte sie nackt im Licht ihrer Küche stehen sehen. Sie trocknete sich gerade mit einem Tuch ausgiebig und gründlich die nassen Haare. Und da hatte er endlich gesehen, wovon die Männer im Dorf hinter vorgehaltener Hand sprachen: ihre wunderbar weißen Brüste, die so ungewöhnlich herausfordernd aufgerichtet standen, wo doch schon kleinere naturgemäß der Erdanziehung gehorchen mussten. Dies bisschen Sachwissen über die weibliche Anatomie hatte er sich beim verschämten Studium gewisser reich bebilderter Magazine angeeignet, die er sich per Nachnahme kommen ließ. Bei Margot handelte es sich in Manz’ Augen aber um ein Wunder der Natur. Da war sein Schwanz auf der Stelle ungeheuer angeschwollen und er selber zur Salzsäule erstarrt. Er hatte zum Himmel gefleht, dass der Augenblick ewig dauern möge.

      Aber ewig gibt es möglicherweise da oben, aber ganz sicher nicht auf Erden.

      Als sie sich mit dem Handtuch energisch die Haare frottierte, wippte ihr Busen wunderbar träge hin und her und auf und ab. Da überkam es ihn mit Macht und er öffnete seine Hose. Sie bürstete ihr wildes Haar und betrachtete sich noch eine Weile stumm im Spiegel. In diesem Augenblick war sie die Bild gewordene wollüstige Fantasie eines großen Künstlers.

      Er spritzte aufstöhnend in den Eukalyptusbusch und hatte im selben Moment eine Vision von Gottes Herrlichkeit.

      In der Fremdenlegion war ER ihm nämlich abhanden gekommen. Aber jetzt hatte er, Manz, SEIN schönstes Kunstwerk gesehen und sich in seiner höchsten Lust mit ihr und IHM vereinigt. Leider dauerte es wie gesagt nur eine kurze Ewigkeit und keine ganze. Aber die reichte, um ein Leben lang davon zu träumen und sich alle nur erdenklichen Hoffnungen zu machen. Gut, er war deutlich älter als sie, aber er hätte sie bis ans Ende ihres Lebens auf Händen getragen. Und wenn sie ihn geheiratet hätte, hätte sie ganz bestimmt nicht so ein schlimmes Ende genommen. Aber er war überzeugt, dass er ihr mit seinem Gehalt als Dorfpolizist sowieso zuwenig gewesen wäre. Wie oft hatte er vergebens über seinem abgegriffenen Sparheft gesessen und sehen müssen, dass der Betrag immer etwa gleich kümmerlich blieb, egal wie sparsam er lebte. So blieb er Junggeselle und sie sein ewiger Traum, ohne dass er je mehr als eine Handvoll scheuer Sätze mit ihr gewechselt hätte. Er tröstete sich damit, dass er eben mit seinem Beruf verheiratet war.

      Manz seufzte, bekreuzigte sich und sprach ein kurzes Gebet für die tote Füchsin.

      Danach dachte er nichts mehr, sondern konzentrierte sich aufs Aufräumen und Schneewischen. Erst ganz am Schluss konnte er sich nicht beherrschen und fasste sie an.

      Ein einziges Mal ihren Körper berühren, so wie er sich das jahrelang erträumt hatte.

      Er zog die Handschuhe aus und legte seine zitternden Hände auf ihre Brüste. Er zuckte aber gleich wieder erschrocken zurück, denn ihr Fleisch war so eiskalt, dass es ihn ängstigte und er nun am ganzen Körper schlotterte. Panisch machte er kehrt und rannte zurück auf seinen Polizeiposten.

      Sieben Monate später wurde Franz Müller vom Gericht in der Kantonshauptstadt als voll zurechnungsfähig eingestuft und wegen Totschlags im Affekt (und weil er wegen einiger früherer Delikte vorbestraft war) zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt. Franzlis Mutter saß schmal und klein im Gerichtssaal.

      Manz,


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