Medienwissenschaft und Mediendidaktik. Группа авторов

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      1.2.3 Modalverben

      Wie bereits gesehen, lassen sich die Modalverben in Anlehnung an Tyler (2008; vergleiche auch Sweetser 1990; Talmy 2000) als unterschiedliche Konstellationen von Kraft-Dynamik-Verhältnissen beschreiben. So kann der sogenannte Agonist entweder eine Tendenz zum Ruhezustand oder zur Fortbewegung haben. Der Antagonist versucht seinerseits, den Agonisten durch einen Druck von hinten oder durch eine Gegenkraft von vorne zur Fortbewegung zu zwingen. Das Ergebnis hängt davon ab, wie das Kräfteverhältnis zwischen beiden Entitäten ausgefallen ist. Zur Illustration dieser kraft-dynamischen Verhältnisse sind sowohl die Darstellungsformen nach Talmy (2000) als auch die Zeichnungen nach Tyler (2008) nicht besonders geeignet, da sie von Lernern unterschiedlich interpretiert werden und daher verwirrend wirken können. Im Gegensatz dazu bieten grammatische Metaphern einen viel direkteren Zugang zur konzeptuellen Struktur der Modalverben, da sie Alltagserfahrungen der Lerner als Grundlage nehmen. So schlagen Roche & Suñer (2014) für das Modalverb dürfen in deontischer Lesart die folgende grammatische Metapher vor:

      [Dürfen] lässt sich anhand eines Rennwagens (Agonist) darstellen, der dank der Aufhebung einer Schranke (Antagonist) durch eine externe Autorität (zum Beispiel eine Ampel) fortfahren kann. Wird das Hindernis (Antagonist) nicht durch eine externe Autorität aufgehoben, ist kein Fortfahren mehr möglich. (Roche & Suñer 2014: 134)

      Die folgenden Abbildungen zeigen die Umsetzung dieser grammatischen Metapher:

      Abbildung 1.4:

      Screenshot aus den Grammatikanimationen zum Modalverb dürfen in deontischer Lesart (Roche & Suñer 2014: 134)

      Andere Modalverben wie müssen und sollen in deontischer Lesart nutzen nach Roche & Suñer (2014) völlig unterschiedliche kraft-dynamische Elemente:

      Bei müssen erfährt der Autofahrer (Agonist) einen kaum widerstehlichen Druck von hinten durch das Geschrei der Fans, der ihn zum Fortfahren zwingt; bei sollen ist der Druck zwar vorhanden, das Fortfahren ist weniger zwingend als bei müssen, was […] durch abgesoftete Kraftwellen und durch eine fast leere Tribüne dargestellt wird. (Roche & Suñer 2014: 135)

      Abbildung 1.5:

      Screenshots aus den Grammatikanimationen zu den Modalverben müssen und sollen in deontischer Lesart (Roche & Suñer 2014: 135)

      Bei der Verwendung dieser Animationen zur Vermittlung der Modalverben können sich Lerner oder gar Kollegen zu Recht fragen, warum sich Vettel überhaupt bewegen soll. Es kann ja sein, dass er zwar fortfahren muss, aber trotzdem nicht will. An dieser Stelle darf nicht vergessen werden, dass die Modalverben in deontischer Lesart lediglich die Notwendigkeit und Möglichkeit des Zustandekommens von Sachverhalten beziehungsweise Handlungen ausdrücken. Darüber, ob Vettel sich am Ende aufgrund des starken Drucks der Fans wirklich bewegt oder lieber Kaffee trinken geht, werden also keine Aussagen gemacht.

      In einer umfangreichen Interventionsstudie mit insgesamt 127 Versuchsteilnehmern untersuchte Kanaplianik (2016) den Lernmehrwert von animierten Darstellungen zu den deutschen Modalverben auf der Basis des Kraft-Dynamik-Ansatzes (vergleiche Talmy 2000; Tyler 2008). Ähnlich wie in der Studie von Scheller (2009), wurden durch ein zweifaktorielles UntersuchungsdesignUntersuchungsdesign die Variablen Erklärungsansatz (kognitionslinguistisch versus traditionell) und Darstellungsform (animiert versus statisch) getestet, so dass sich daraus insgesamt vier unterschiedliche Experimentalgruppen ergaben. Das Untersuchungsdesign sah einen Vortest, ein 40-minütiges TreatmentTreatment und einen Nachtest direkt nach dem Treatment vor sowie einen Nachhaltigkeitstest eine Woche später. Weitere Daten zur Lernbiografie der Versuchsteilnehmer sowie zur Arbeit mit den Animationen wurden ebenfalls elizitiert.

      Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass nur diejenigen Versuchsteilnehmer vom kognitionslinguistischen Ansatz nachhaltig profitieren, die die dort vermittelten grammatischen Metaphern als Lernerstrategie übernehmen und bei der Bearbeitung der Aufgaben verwenden: Sie zeigen nicht nur direkt nach dem Treatment einen signifikanten Lernzuwachs zwischen Vor- und Nachtest, sondern sie verbessern sich deutlich im Nachhaltigkeitstest und zeigen somit eine positive Lernentwicklung. Im Gegensatz dazu erzielen die Lerner, die den traditionellen Ansatz anwenden, zwar auch einen Lernzuwachs zwischen Vor- und Nachtest, dieser verringert sich jedoch bereits im Nachhaltigkeitstest, so dass von kurzfristigen Lerneffekten auszugehen ist. Insgesamt zeigt sich also, dass der Einsatz kognitionslinguistischer Animationen nur dann zu einem nachhaltigen Lernmehrwert führt, wenn die dort vermittelten grammatischen Metaphern auch als Lernerstrategie übernommen und auf weitere Kontexte angewandt werden. Für die Praxis bedeutet das, dass die Arbeit mit den Animationen unbedingt Aufgaben vorsehen sollte, die eine aktive und tiefer gehende Auseinandersetzung mit den jeweils relevanten Grammatikprinzipien fördert und damit die entsprechenden Prozesse mentaler Organisation und Integration initiiert, ganz im Sinne der active processing assumption von Mayer (2009; vergleiche Lerneinheit 1.1). Dieser Befund geht konform mit anderen Studien zum Einsatz grammatischer Metaphern im Kontext der Sprachvermittlung (Suñer & Arnett eingereicht; Bielak & Pawlak 2011), in denen die Integration der vermittelten grammatischen Metaphern in die mentalen Lernermodelle als eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg kognitionslinguistischer Ansätze beschrieben wird. Außerdem zeigt die Studie von Kanaplianik (2016), dass die positive Wirkung des kognitionslinguistischen Ansatzes zusätzlich durch die animierte Darstellungsform verstärkt werden kann. Schließlich lässt sich aus den Ergebnissen der Studie ableiten, dass vor allem diejenigen Versuchsteilnehmer am meisten vom kognitionslinguistischen Ansatz profitieren (höhere und nachhaltigere Lernleistungen), die keine Vorkenntnisse zu den deutschen Modalverben hatten. Das heißt also, dass der sogenannte expert reversal effect (vergleiche Kalyuga, Ayres, Chandler & Sweller 2003; Sweller 2004; Plass, Kalyuga & Leutner 2010 und Lerneinheit 1.1) ebenfalls beim Einsatz kognitionslinguistischer Animationen eine wichtige Rolle spielt und eventuell eine nach Vorwissen differenzierte Darbietung der Animationen zu erwägen wäre.

      1.2.4 Passiv und Aktiv

      Die kognitionslinguistische Darstellung des Genus Verbi (vergleiche Arnett 2004; Langacker 2004) nutzt zwar körperliche Erfahrungen (Energietransfer, Bewegung etc.) und allgemeine kognitive Prinzipien (Profil-Basis, Figur-Grund) zur Erklärung seiner konzeptuellen Motiviertheit, die verwendeten Darstellungsmittel (Kreise und Pfeile) besitzen jedoch einen hohen Abstraktionsgrad, der den konzeptuellen Zugang der Lerner zur Grammatik nicht gerade erleichtert. Im Falle des Passivs lassen sich die Profilierung der konzeptuellen Basis und die Salienz der profilierten Elemente (Figur-Grund) jeweils anhand des Billard-Modells (Langacker 2004, Arnett 2004) und des Scheinwerfer-Modells (vergleiche spotlight of primary focal prominence bei Langacker 2004: 80) als grammatische Metaphern etwas lernerfreundlicher darstellen (vergleiche Suñer 2013, 2015; vergleiche auch Roche & Suñer 2014). Das Billard-Modell erlaubt es nämlich, die Aktionskette als konzeptuelle Basis für transitive Szenen anhand einer dem Lerner bekannten Situation erfahrbar zu machen. Der Spieler (Agens) löst durch seine Aktion Energie aus, die über den Queue (Instrument) auf die Kugel (Patiens) übertragen wird. Die physische Bewegung der Kugel im Billardspiel stellt damit die Zustandsveränderung dar. Andere Sportarten wie Golf eignen sich aber genauso gut für die Darstellung transitiver Szenen. Durch den Scheinwerfer wird zusätzlich die unterschiedliche Salienz der Partizipanten der Szene nach dem Figur-Grund-Prinzip veranschaulicht. Beim Aktiv wird der Scheinwerfer auf das Agens gerichtet, beim Vorgangspassiv auf den Prozess der Zustandsveränderung und beim Zustandspassiv auf den End- beziehungsweise Nachzustand. Auf diese Weise kann sich der Lerner die konzeptuelle Basis und die unterschiedliche Fokussierung der Interaktion zwischen den Partizipanten vor Augen führen, ohne dass er sich mit grammatischer Terminologie beschäftigen muss.

      Die folgenden Abbildungen zeigen die Umsetzung der grammatischen Metaphern als Animationen (Entwicklungsskizzen von granima.de):

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