Baiern und Romanen. Peter Wiesinger
Url, großer linker Nebenfluss der Ybbs bei Amstetten und kleiner rechter bei Waidhofen
D: 'ūɒ-l
U: 863 Hurulam; 903, 906 Urulam; 984, 10. JhII, 1094-1100 Urula
E: Bair.-ahd. Urula aus lat./rom. *Urla wird einerseits auf Grund des gekrümmten Laufes erklärt als idg.-vspr. *Urlā (vgl. osk. uruvú ‚Krümmung, Biegung‘, lat. urvum ‚gekrümmte Pflugschar‘) und andererseits gestellt zu uridg. *h2er- ‚feucht sein‘ jeweils mit -l-Erweiterung. Integriert als bair.-ahd. Urula mit anlautendem U- und Stützvokal -u-, was bei slaw. Vermittlung *Wurula aus slaw. *Vъr(ъ)la und heute *Wurl ergeben hätte.
Traisen, rechter Nebenfluss der Donau bei Traismauer
D: drǭɒsn
U: antik Tragisam(um); 828 Dreisma, 895 Treismae, 10. JhII Traisma.
E: Kelt. *Tragisamā mit kelt. trag- zu uridg. dhre/gh- ‚schleppen, ziehen‘ (vgl. gall. vertragus ‚schnellfüßiger Hund‘) als s-Stamm *trages- und Superlativsuffix *-is-ṃmā im Sinne von „sehr schnell fließender Fluss“ mit rom. Kontraktion von -agi- zu -ai-, das bei slaw. Vermittlung durch -a- substituiert worden wäre und heute *Trasen ergeben würde.
Ferner kann hier trotz seiner nicht eindeutigen Integrierung der Bergname Kollmitzberg angeschlossen werden:
? Kollmitzberg, von Westen her weithin sichtbarer Berg rechts an der Donau bei Amstetten, der sich rund 200 m über die Ebene erhebt.
D: 'khōįmɒs ֽ bęɒg
U: 1135 Chalmunze, 1151 Chalmŏnze
E: Lat./rom. *Calamontia, wohl idg.-vspr. *Kalamontā mit idg. *kel-/kol- (uridg. *kelH-) ‚aufragen, hochragen‘ und *m-t-/mnio- ‚Berg, Gebirge‘ im Sinne von „hoch aufragender Berg“, was dem Erscheinungsbild entspricht. Wenn die Lautfolge -tia bereits assibiliert war, so erfolgte bei früher spätgerm. Übernahme Substituierung von [tsa] durch [ta] und dann frühe Zweite Lautverschiebung zu -z-. Im Zweitglied wurde -o- vor -nt- zu -u- gehoben und dann in der 2. Hälfte des 8. Jhs. zu [ü] umgelautet und anlautendes K- zu Ch- lautverschoben.
Was mögliche frühe bair.-ahd. Siedlungsnamen betrifft,10 gelten die -ing- und die -heim-Namen als die ältesten, auch stark verbreiteten Bildungstypen. Während sich die -heim-Namen, von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen, auf den oberösterreichischen Raum beschränken, sind die -ing-Namen im niederösterreichischen Alpenvorland bis um Wien im Osten stark verbreitet. Werden die -ing-Namen als „Pioniernamen“ betrachtet, indem von den darin genannten Personen angenommen wird, dass sie mit ihren Leuten den Grund und Boden in Besitz nahmen, so werden die -heim-Namen als jünger angesehen, indem sie bereits den Ansitz und damit eine gewisse Beheimatung im Neuland ausdrücken.
Unter diesen Aspekten stellte sich in der Forschung um 1980 die Frage, wie die divergenten Ansichten einer bairischen Besiedlung Niederösterreichs seitens der Geschichtswissenschaft, der Archäologie und der Sprachwissenschaft in Einklang gebracht werden können. Vor allem die Archäologie rechnete wegen einer bairischen Fundleere im 6. und 7. Jh. mit einer sukzessiven bairischen Besiedlung erst ab 976, als die Markgrafschaft Österreich der Babenberger errichtet worden war. Dem aber widersprachen die Ergebnisse der Sprachwissenschaft mit der Integrierung der Gewässernamen mit den ältesten Akten der Lautverschiebung bis spätestens gegen 650 und weiterer Integrierungen, auch von Gewässer- und Ortsnamen slawischer Herkunft in der 2. Hälfte des 8. Jhs. und im 9. Jh. So wurde ein Kompromiss dahingehend gefunden, dass schon spätestens seit dem 7. Jh. frühe bairische Verkehrskontakte in den Osten bestanden, zumal die Ennsgrenze gegen die Slavia sich erst um 700 ausbildete, was nicht nur frühe, sondern auch spätere Integrierungen von Gewässernamen ermöglichte, zumal Gewässer mit ihrem festen Verlauf Orientierungshilfen in der Landschaft boten und dies besonders im 7. Jh. bei geringer Besiedlung. Eine breite bairische Besiedlung setzte erst ab 976 ein, die im rund letzten Dreivierteljahrhundert der ahd. Zeit die damals noch aktiven zahlreichen -ing-Namen als Ausdruck der Inbesitznahme des neuen Territoriums im allerdings von Slawen bewohnten Land mit sich brachte. Die damals ebenfalls noch aktiven -heim-Namen fanden aber unter solchen Gegebenheiten keinen rechten Platz. Erst im 11. Jh. folgten dann als Ausbausiedlung die vielen -dorf-Namen.
Gegenüber diesen Auffassungen lassen sich jedoch anhand ihres Lautstandes 3 -ing-Namen im westlichen Niederösterreich wegen ihres, durch das -i- des Suffixes ausgelösten Primärumlautes von a zu e näher datieren. Sie müssen bereits vor der 2. Hälfte des 8. Jhs. entstanden sein, denn in dieser Zeit war der Primärumlaut wirksam. Es handelt sich um folgende Orte:
Empfing, Dorf, Gem. Stephanshart, PB Amstetten
D: 'empfiŋ
U: 1260-86 Emphinge, 1368 Empfing, 1411 Empfing in Steffensharter pharr
E: Mit dem bair.-ahd. PN Ampho
L: Wiesinger (1985), S. 355; Ernst (1989), S. 143; Schuster I (1989), S. 581.
Sölling, Dorf, Gem. Purgstall a. d. Erlauf, PB Scheibbs
D: 'söliŋ
U: 1108-16 predium … Selingin dictum, 1375 Sêling, 1392 Soling, 1402 Sling
E: Mit bair.-ahd. PN Salo11
L: Wiesinger (1985), S. 355; Ernst (1989), S. 180; Schuster III (1994), S. 2911.
Hösing, Weiler, Gem. Hürm, PB Melk
D: 'hēsiŋ
U: 1319 Hesyng in Chulber pharr, 1425 Hossing; 1430, 1455 Hesing
E: Mit dem bair.-ahd. PN Haso
L: Wiesinger (1985), S. 355; Ernst (1989), S. 156; Schuster II (1990), S. 308.12
Da in Niederösterreich Baiern aus dem Westen vorgedrungen sind, besteht bei Orten mit -ing-Namen auch die Möglichkeit der Namenübertragung aus dem Altsiedelland. Das wäre hier nur möglich bei Empfing als Dorf bei Traunstein, Oberbayern (1178-82 Otto filius Ottonis de Amphingen, 12. JhII Otto de Emphingen)13 sowie bei Sölling als Dorf in Büchlberg nördlich Passau, und als Einzelhof bei Waldkirchen, Lkr. Freyung-Grafenau, Niederbayern (1308 Vlreich von Selling, 1310 Jacob der Amman von Selling),14 Selling als Weiler von Cham, Oberpfalz (ca. 1180 Hiltebrandus de Sellingen, 12. JhII Hilprandi de Sellingen, 1393 zu Selling), Sölling als Zerstreute Häuser bei Steinerkirchen a. d. Traun, PB Wels-Land, Oberösterreich (1299 Selling, 1467 Seelling) und bei Sölling als Weiler von Oberlebing bei Allerheiligen i. Mühlkreis, PB Perg, Oberösterreich (13. JhE datz Seling; 1421, 1512, 1559 Selling). Da aber das niederösterreichische Sölling unmittelbar an der Erlauf gegenüber von Zehnbach und Empfing vor dem Kollmitzberg liegt, ist angesichts von deren früher bair.-ahd. Integrierung autochthone Entstehung und Benennung dieser beiden Orte sehr wahrscheinlich. Hösing, das keine Entsprechung im Altsiedelland hat, liegt westlich der Pielach, die ursprünglich Loich hieß, und damit ebenfalls in der Nähe eines früh aufgegriffenen Flussnamens. Somit legen diese drei Orte nahe, dass es spätestens vor der Mitte des 8. Jhs. in Niederösterreich neben zahlreichen slawischen Siedlungen zumindest vereinzelt auch bairisch-deutsche Niederlassungen gab und