Baiern und Romanen. Peter Wiesinger

Baiern und Romanen - Peter Wiesinger


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germanische Einwanderungen in ehemals römisches Gebiet. Mangels derartiger schriftlicher Quellen besitzen daher einzig und allein die archäologischen Funde als materielle Zeugnisse Quellenwert, so dass nur aus ihnen verbindliche Erkenntnisse gewonnen werden können. Aber der bislang angestellte Nachweis bairischer Einwanderung mit Hilfe der Keramik vom Typus Přešt’ovice ‒ Friedenhain versagt insofern, als es einerseits bloß geringe innerböhmische Fundplätze gibt und andererseits diesseits und jenseits des römischen Limes unterschiedliche Begräbnissitten gepflegt wurden. Während nämlich nördlich germanische Brandbestattung üblich war, herrschte auf römischem Boden seit der Mitte des 5. Jhs. Körperbestattung in Reihengräbern. Sie aber waren keine mitgebrachte Sitte, sondern eine Neuerung. Ebensowenig sind die Beigaben von Waffen und Fibeln ein bairisches Charakteristikum, sondern sie waren in weit größerem Umfang verbreitet und begegnen auch in alemannischen Reihengräbern in Württemberg und am Rhein sowie im westfränkischen Nordgallien. Deshalb dürfen sie nicht als Indiz für nördliche germanische Zuwanderung nach Bayern bewertet werden, sondern sind vielmehr als Angleichung an fränkisch-merowingische Bestattungssitten zu verstehen.8 Überhaupt möchte Fehr die Entstehung einer bairischen Identität im Anschluss an die obgenannte positivistische Ansicht des Historikers Jörg Jarnut erst im Zusammenhang mit der Bildung eines bairischen Herzogtums und der Einsetzung der Agilolfinger als Herzöge nach 536/37 sehen, nachdem 535 die Gotenregentin Amalasvintha ermordet worden war. Das aber korrespondiert mit der Erstnennung der Baiern in den historischen Quellen um 550/60. Somit betrachtet Fehr in seinem Beitrag „Friedhöfe der frühen Merowingerzeit in Baiern – Belege für die Einwanderung der Baiovaren und anderer Gemeinschaften?“ von 2012 die Einwanderungsthese polemisch als „Meistererzählung“, um nicht zu sagen als ein hübsch erfundenes Märchen.9

      Zusammenfassend steht für die Archäologen trotz Unterschieden im Einzelnen viererlei fest:

       Eine schon lange postulierte Einwanderung der Baiern aus Böhmen in den bairischen Raum der Raetia secunda und von Noricum beruht auf der sprachwissenschaftlichen Interpretation des Baiernnamens als „Männer aus Böhmen“; doch gibt es weder für eine solche Einwanderung noch überhaupt für Einwanderungen von Germanen in ehemals römische Gebiete schriftliche Zeugnisse.

       Auch archäologisch lässt sich keine Einwanderung von Germanen aus Böhmen wie überhaupt aus Gebieten nördlich der Donau nachweisen, denn der dafür besonders herangezogene Beweis einer Feinkeramik des Typus Přešt’ovice ‒ Friedenhain stellt kein bairisches Charakteristikum dar und kommt seit dem 5. Jh. auch in weiteren merowingischen Gebieten vor, wenn es auch Werkstattunterschiede gibt. Ferner zeigen die als weiterer Beweis herangezogenen Beigabensitten in ihrer Verbreitung diesseits und jenseits des römischen Limes deutliche Unterschiede.10

       Der Neustamm der Baiern hat sich erst nach dem Tod der Gotenregentin Amalasvintha 535 und dem zerfallenden Gotenreich mit der Einsetzung des den fränkischen Merowingern nahestehenden Herzogs Garibald gebildet, wobei zeitliche Korrespondenz mit dem Auftreten des Baiernnamens seit 551 besteht.

       Die Entstehung des Neustammes der Baiern vollzog sich auf ehemals provinzialrömischem Gebiet südlich des Donaulimes mit der dort ansässigen romanischen Bevölkerung, was sich aus den dort auftretenden Ortsnamen romanischer Herkunft und aus den Mischnamen mit einem romanischen Personennamen ergibt.

      Es liegt auf der Hand, dass diese teilweise mit Absolutheitsanspruch vorgetragenen Konzepte der Archäologie fachbegrenzt und daher einseitig sind, obwohl die anstehenden Fragen nur interdisziplinär gelöst werden können. So wird aus der Sicht der Sprachwissenschaft nicht gefragt, wie ohne angebliche germanische Zuwanderung und ohne Beteiligung einer ein germanisches Idiom sprechenden Bevölkerung sich dann ein Sprachwechsel vom Romanischen zum Germanischen vollzogen hat, wie die antik-romanischen Gewässer- und Ortsnamen in das sich entwickelnde Althochdeutsche integriert worden sind und wie sich romanisch-deutsche Mischnamen gebildet haben.

      1.5.3. Die schon früher vorgetragene, doch widerlegte „Romanentheorie“ über die Herkunft der Baiern

      Die besonders vom Archäologen Arno Rettner favorisierte Ansicht einer bairischen Ethnogenese bzw. Identitätsbildung auf provinzialrömischem Boden der Raetia secunda unter maßgeblicher Beteiligung der ansässigen romanischen Bevölkerung kann man als „Romanentheorie“ bezeichnen. Sie ist keineswegs neu, und ihr Vortrag vor mehr als 35 Jahren wurde von der germanistischen Sprachwissenschaft längst überzeugend widerlegt und zurückgewiesen. Dennoch muss sie vor allem im Hinblick auf eine zur Unterstützung herangezogene neue, gerade aus der Germanistik kommende, doch andere Intentionen verfolgende Studie von Wolfgang Haubrichs zu den vom 8. bis 10. Jh. aus dem bairischen Sprachraum überlieferten romanischen und biblischen Personennamen und mit solchen gebildeten deutschen Ortsnamen als romanisch-deutsche Mischnamen eingegangen werden.

      Schon 1971 trug der Münchener Historiker Karl Bosl in seiner „Geschichte Bayerns“ die bis zur 7. und letzten Auflage 1990 unverändert beibehaltene „Romanentheorie“ zur Herkunft der Baiern vor.1 Danach gehen die Baiern auf die bodenständigen Keltoromanen zurück, die seit der Mitte des 6. Jhs. nach der Konstituierung des Neustammes der Baiern von Franken und Alemannen germanisiert wurden.2 Diese These unterstützten in den 1980er Jahren der Salzburger Slawist Otto Kronsteiner und der Klagenfurter Allgemeine Sprachwissenschaftler und Romanist Willi Mayerthaler in einer Reihe von Studien. Nachdem Kronsteiner 1981 an die Universität Salzburg berufen worden war, veröffentlichte er zunächst in Zeitungsartikeln die These, der Name der Baiern gehe als romanische Bildung auf den antik-romanischen Namen Ivaro der Salzach zurück, und die Stadt Salzburg sei der Mittelpunkt des Entstehungsraumes der Baiern gewesen, so dass der Stammesname der Baiern als Gaubezeichnung romanisch *Pago Ivaro gelautet habe, der über *Pagivaro bald zu *Paiovaro kontrahiert worden sei. Erst 1984, nachdem bereits auf Tagungen die Diskussion darüber aufgenommen worden war, äußerte sich Kronsteiner mit „Der altladinische PAG(O)IVARO als Kernzelle der bairischen Ethnogenese“ in einem wissenschaftlichen Organ dazu. Seiner Auffassung schloss sich 1983/84 Mayerthaler mit seinem ausholenden Beitrag „Woher stammt der Name der ‚Baiern‘?“ an.3 Außerdem erklärte Mayerthaler das Bairische zu einer romanisch-germanischen Kreolsprache, einer Mischsprache auf romanischer Grundlage mit germanisch-alemannischer Überformung, deren romanische Elemente bis in die gegenwärtigen Dialekte weiterbestünden und deutlich greifbar wären. Beide Protagonisten verteidigten ihre Theorien mit Vehemenz, Polemiken und Angriffen auf die Methodik der germanistischen Sprachwissenschaft, doch wurden ihre Auffassungen mehrfach widerlegt, was hier alles nicht näher ausgeführt werden muss. Von Entgegnungen seien u.a. besonders angeführt Ingo Reiffenstein 1986 „Baiern und der Pagus Iobaocensium“ und 1987 „Stammesbildung und Sprachgeschichte“ sowie 1987 Hellmut Rosenfeld „ Die Völkernamen Baiern und Böhmen, die althochdeutsche Lautverschiebung und W. Mayerthalers These ‚Baiern = Salzburger Rätoromanen‘“. Bereits 1981 hatten Ludwig Eichinger und Robert Hinderling mit „Die Herkunft der Baiern im Lichte der Ortsnamen“ Karl Bosls „Romanentheorie“ eine Absage erteilt. Trotzdem lieferten Eva und Willi Mayerthaler verspätet 1990 in gleichem Sinn die Studie „Aspects of Bavarian Syntax or ‚Every Language Has at Least Two Parents‘“ nach. Lange unbeachtet findet sie jüngst im Zusammenhang mit der erneut von Arno Rettner vorgetragenen „Romanentheorie“ Beachtung durch den Leiter des Bayerischen Wörterbuches in München, Anthony Rowley, in seiner widerlegenden Auseinandersetzung „Bavaria germanica oder Romania submersa“ von 2017.4 Darin zeigt Rowley, dass Mayerthalers These, die Syntax des Bairischen sei völlig romanisch geprägt, sich nicht aufrecht erhalten lässt, denn die weit über ein Dutzend angesprochenen syntaktischen Phänomene weisen im Deutschen eine weit über das Bairische hinausgehende Verbreitung auf und sind unabhängig voneinander sowohl im Romanischen wie im Germanischen polygenetisch entstanden, was das Bairische fälschlich als ein germanisches Idiom auf quasi romanischer Basis erscheinen lasse.

      Es ist daher von der „Romanentheorie“, wonach die Baiern germanisierte Romanen und das Bairische auf romanischer Sprachbasis entstanden sei und von Anfang an entsprechende romanische Strukturen und Substrate aufweise, zur Gänze abzulassen.5

      1.5.4. Romanische und biblische Personennamen im bairischen Raum

      Wenn


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