Baiern und Romanen. Peter Wiesinger

Baiern und Romanen - Peter Wiesinger


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ich Dilettant, von Ravenna aufbrechend, den Po, die Etsch, die Brenta, den Piave, die Livenza und den Tagliamento durchschwamm, durch die Julischen Alpen auf schwankendem Steg, die Drau in Noricum, den Inn bei den Breonen, den Lech in Baiern, die Donau in Alemannien, den Rhein in Germanien durchschritt.

      Als Variante zum Ländernamen Baiuaria (lies Baiwaria) ist auch Bauuaria (lies Bawaria) überliefert.

      Im 4. Buch seines 575/76 gedichteten Versepos „De virtutibus Martini Turonensis“, der Vita des hl. Martin von Tours, nennt Venantius Fortunatus dann die umgekehrte Abfolge der Reiseroute (IV, 640ff.) mit dem Volksnamen:

      Si tibi barbaricos conceditur ire per amnes,

      Ut placide Rhenum transcendere passis et Histrum,

      Pergis ad Augustam, quam Virdo et Licca fluentant.

      Illic ossa sacrae venerabere martyris Afrae.

      Si vacat ire viam, necque te Boioarius obstat,

      Qua vicina sedent Breonium loca, perge per Alpem,

      Ingrediens rapido qua gurgite volvitur Oenus.

      Wenn du die Möglichkeit hast, die barbarischen Ströme zu queren,

      also den Rhein und die Donau in Ruhe durchschreiten zu können,

      machst du nach Augsburg dich auf, wo Wertach und Lech sich ergießen.

      Dort verehr die Gebein der heiligen Blutzeugin Afra.

      Steht es dir frei, von da weiterzuziehen, und stört dich kein Baier,

      geh durch die Alpen, wo nah die Orte des Breonenstammes liegen.

      und betritt sie, wo der Inn sich mit reißendem Gischt wälzt.

      Der in lateinischen Varianten überlieferte Name der Baiern, im Nominativ Singular in antiker Tradition Boioarius bei Venantius Fortunatus und im Nominativ Plural variabel überliefert als Baibari, Baiobari, Baiovari, Baioarii bei Jordanes, basiert in der Zeit um 500 westgermanisch auf dem Singular *Baiawari aus (ur)germ. *Baiowarjaz und dem Plural *Baiawarja aus (ur)germ. *Baiowarjōz. Die gotischen Entsprechungen dieser Zeit wären *Baiawarjis und *Baiawarjōs.4 Es ist ein Determinativkompositum, dessen Grundwort sich zum Verbum (ur)germ. *warjan in got. warjan, altnord. verja; altsächs. und altengl. werian und ahd. wer(r)en in der Bedeutung ‚wehren, schützen, abhalten, verteidigen‘ stellt und als entsprechendes Substantiv (ur)germ. *warjaz in got. wair, altnord. ver; altsächs., altengl. und ahd. wer ‚Mann‘ lautet. Sein eigentlicher Sinn ist ‚Wehrmann, Schützer, Verteidiger‘, der Land und Leute vor Feinden schützt und Angreifer abwehrt. Das Bestimmungswort geht auf den Namen der keltischen Boier zurück, deren Siedlungsgebiet um Chr. Geb. Boiohaemum war, das 29/30 n.Chr. Velleius Paterculus in seiner „Römischen Geschichte“ (2, 109) festhält. 98 n.Chr. nennt Tacitus in seiner „Germania“ das Land dann Boihaemum (XXVIII Genitiv Boihaemi nomen). Der Name ist germanischer Herkunft und basiert auf germ. *Bai(o)haima, wobei sich der germanische Lautwandel von älterem o zu gemeingermanischem a um Chr. Geb. vollzog. Dabei ging betontes o einem unbetontem o voraus, das bald synkopiert wurde, was die beiden ältesten Überlieferungen spiegeln. Dieser Gebietsname lebt in Böhmen weiter, das bair.-mhd. Pēheim heißt und die ahd. Monophthongierung von germ. ai zu frühahd. ē vor h des 7./8. Jhs. aufweist. Dagegen ist im Stammesnamen der Diphthong bewahrt, so dass ihm kein ebenfalls Monophthongierung auslösendes w unmittelbar gefolgt sein kann. Es war vielmehr, wie die bei Jordanes überlieferten Varianten zeigen, mit dem Bindevokal -o- verschmolzen, so dass *Baioar entstand, dass dann im 8. Jh. der Lautverschiebung von B- zu P- unterlag und bair.-ahd. Peiar, Plural Peiara und abgeschwächt Peier, Peigir ergab. Insgesamt bedeutet der Baiernname also unmittelbar ‚Wehrmänner von/aus Baia‘, was immer unter Baia zu verstehen ist. Doch wird ihm in Verbindung mit Boiohaemum als angenommene Klammerform *Bai(o)[haim]warjōz kurzerhand die Bedeutung „Männer aus Böhmen“ beigelegt. Wenn auch jüngere lateinische Nennungen am o von Boi- festhalten, so handelt es sich um Schreibtradition des festverwurzelten Namens des keltischen Stammes, der den Römern als Eindringlingen in ihr Land seit dem 3. Jh. v.Chr. bekannt war. So heißt es z.B. nach Aussage des gegen 645 entstandenen 2. Teiles der „Vita Columbani“ des Jonas von Bobbio, als Eustasius († 618) sein Missionswerk bei den Baiern beginnen wollte, er zog ad Boias, qui nunc Baioarii vocantur (II, 8). So nennt die Baiern auch die frühestens Ende des 6. Jhs. entstandene Fränkische Völkertafel.

      1.2. Theorien zur Herkunft der Baiern vom 19. bis über die Mitte des 20. Jahrhunderts

      Als der Sprachwissenschaftler und insbesondere Keltologe Kaspar Zeuß 1837 in seinem Buch „Die Deutschen und die Nachbarstämme“ erstmals den Namen der Baiern nach den Lautgesetzen der germanischen Sprachen richtig etymologisiert hatte,1 was bis heute linguistisch gegen so manche anderen Versuche allein zutreffend ist, stand für ihn fest, dass der Name der keltischen Boier auf die ihnen nachfolgenden Germanen übertragen worden ist und dass die Baiern aus Böhmen in ihre neuen Wohnsitze zu beiden Seiten der Donau eingewandert sind. In seinem folgenden Buch von 1839 „Die Herkunft der Baiern von den Markomannen gegen bisherige Mutmaßungen bewiesen“ wollte Zeuß gegenüber herrschenden anderen Meinungen seiner Zeit nachweisen, dass es die im böhmischen Becken siedelnden Markomannen waren, die um 500 nach Südwesten abzogen und in ihrem neuen Gebiet zu Baiern wurden. Damit war die sogenannte „Markomannentheorie“ geboren. Sie erwies sich allerdings, wie jüngere Forschungen zeigten, historisch als unhaltbar, denn die Markomannen waren um 80 n.Chr. den Quaden nach Südosten gefolgt und siedelten im 2. Jh. im heutigen Südmähren und nördlichen Niederösterreich, ehe sie 396 als römische Föderaten in Pannonien Wohnsitze erhielten und dann im 5. Jh. aus der Geschichte verschwanden. Aus der „Markomannentheorie“ aber entwickelte sich die sogenannte „Einwanderungs-“ oder „Landnahmetheorie“, die mit einem germanischen Einwanderungsstrom in ein so gut wie siedlungsleeres Land nach dem Abzug der romanischen Bevölkerung rechnete. Sie lebte bis über die Mitte des 20. Jhs. fort, wobei ein Herkunftsgebiet Baia in unterschiedlichen Gegenden außerhalb Böhmens über Pannonien bis ans Schwarze Meer festzumachen versucht wurde.2 Diese Ansichten können hier aber übergangen werden, weil sie für den Forschungsstand der 1980er Jahre bedeutungslos geworden waren. Daneben aber bestand die nun modifizierte Ansicht einer Einwanderung von Elbgermanen aus Böhmen fort.

      1.3. Die Herkunft der Baiern nach dem Forschungsstand der 1980er Jahre

      Über die Frage der Ethnogenese der Baiern – der neue Terminus statt Stammesbildung – wurde in den 1980er Jahren von den beteiligten Disziplinen der germanistischen sprachwissenschaftlichen Namenkunde, der Archäologie und der Geschichtswissenschaft ein weitgehender Kompromiss erzielt. Die Ergebnisse wurden im Jubiläumsjahr 1988 in der großen Doppelausstellung des österreichischen Bundeslandes Salzburg und des Freistaates Bayern in Mattsee und Rosenheim „Die Bajuwaren“ mit dem auf den wesentlichen Zeitraum hinweisenden Untertitel „Von Severin bis Tassilo 488–788“ präsentiert und im Ausstellungskatalog zusammengefasst. Diese äußerst erfolgreiche Doppelausstellung sahen rund 270.000 Besucher, nicht weniger als 64.000 Kataloge wurden verkauft1 und die Medien Rundfunk, Fernsehen, Zeitungen und Journale vermittelten einer breiten Öffentlichkeit die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse.

      Gegenüber verschiedenen, immer wieder aufkommenden, jedoch linguistisch unhaltbaren, weil die lautgesetzlichen Entwicklungen des Germanischen nicht beachtenden Erklärungen des Baiernnamens2 ging man weiterhin von der linguistisch einzig richtigen, oben dargelegten Erklärung des Baiernnamens aus und verband sie mit der Bedeutung „Männer aus Böhmen“. Aber gegenüber der älteren „Landnahmetheorie“ änderte sich die Auffassung über die Ethnogenese. So hatte der Erlanger germanistische Sprachwissenschaftler Ernst Schwarz 1969 in seiner Abhandlung „Die Naristenfrage in namenkundlicher Sicht“ gezeigt, dass im anfänglichen bairischen Raum von Ober- und Niederbayern, Salzburg und Oberösterreich eine größere Anzahl


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