Linguistic Landscape als Spiegelbild von Sprachpolitik und Sprachdemografie?. Philippe Moser

Linguistic Landscape als Spiegelbild von Sprachpolitik und Sprachdemografie? - Philippe Moser


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Zusammensetzung der Gebiete Rechnung» (Art. 3 Abs. 1 Bst. a SpG). Die Umsetzung erfolgt jedoch durch die Entscheide auf Kantons- und Gemeindeebene, namentlich auch in Bezug auf den Sprachenunterricht an den Schulen3. Das Territorialitätsprinzip bedeutet konkret, dass die Schweiz zwar auf Bundesebene viersprachig ist und dass Kantone und Bezirke mehrsprachig sein können, die Gemeinden jedoch in der Regel eine einzige offizielle Sprache anerkennen. Zu den wenigen Ausnahmen zählt – als einzige Stadt – Biel, nicht aber die Gemeinden Freiburg und Murten (vgl. A.1.2, A.2.2, A.3.2). In Abb. A.2.0.1 bilden wir die entsprechende Karte der Kantone und (offiziellen) Sprachregionen der Schweiz ab:

      Abb. A.2.0.14

      Durch dieses Prinzip der räumlichen Abgrenzung der Landes- und Amtssprachen unterscheidet sich die Schweiz von anderen mehrsprachigen Ländern wie Luxemburg (vgl. A.2.5), dessen Mehrsprachigkeitspolitik als ‹Funktionsprinzip› bezeichnet werden kann.

      Die Zahlen zu den Sprachgemeinschaften in den vier Landessprachen werden regelmässig erhoben. Die letzte vollständige Erhebung in Form einer Volkszählung fand jedoch im Jahr 2000 statt, seither werden jährliche Strukturerhebungen durchgeführt. Die Ergebnisse der Volkszählung von 2000 wurden von Lüdi und Werlen in Bezug auf die Sprache ausgewertet (Lüdi/Werlen 2005). Gemäss diesen Auswertungen ist Deutsch die Hauptsprache5 von 63,7% der Wohnbevölkerung6 (4 640 359 Personen), Französisch von 20,4% (1 485 056 Personen), Italienisch von 6,5% (470 961 Personen) und Rätoromanisch von 0,5% (35 095 Personen). 9% (656 539 Personen) bezeichnen eine Nichtlandessprache als Hauptsprache (vgl. Lüdi/Werlen 2005: 7).

      Die folgende Karte (Abb. A.2.0.2) zeigt die Verteilung der vier offiziellen Landessprachen in der Schweiz, indem die dominierende Landessprache nach Gemeinden angegeben wird. Es wird unterschieden zwischen «mittlere», «starke» oder «keine» Dominanz.

      Abb. A.2.0.2 7

      Die nach dem Jahr 2000 erhobenen Daten lassen sich damit nur bedingt vergleichen, da sie erstens nicht im Rahmen einer umfassenden Volkszählung erhoben wurden, sondern durch eine Strukturerhebung, und da zweitens seit 2010 bei der Frage nach der «Hauptsprache» Mehrfachnennungen möglich sind und das Total von 100% damit überschritten wird. Karten der dominierenden Sprache nach Gemeinden stehen nach 2000 ebenfalls nicht mehr zur Verfügung und wurden ersetzt durch Karten zur Verteilung der Wohnbevölkerung nach Hauptsprachen und Kantonen8.

      Eine Auswertung der Erhebungen der Jahre 2010-2012 ergibt für die Wohnbevölkerung folgende Resultate: 65,4% nennen Deutsch als Hauptsprache, 22,6% Französisch, 8,4% Italienisch, 0,6% Rätoromanisch (Pandolfi/Casoni/Bruno 2016: 27)9.

      Die Zahlen von 2016 wurden 2018 durch das Bundesamt für Statistik veröffentlicht10: 62,8% nennen Deutsch als Hauptsprache, 22,9% Französisch, 8,2% Italienisch, 0,5% Rätoromanisch11.

      Wir konzentrieren uns in unserer Untersuchung auf die in den betreffenden Gebieten auf einer der Staatsebenen anerkannten offiziellen Amts- oder Landessprachen und befassen uns daher auch hier nicht eingehender mit den in der Schweiz präsenten Sprachen ohne offiziellen Status12.

      A.2.1 Freiburg (Kanton und Stadt)

      A.2.1.1 Sprachgeschichtlicher Überblick

      Der Kontakt zwischen romanischer und germanischer Sprache findet im Gebiet des heutigen Kantons Freiburg sehr früh statt. Bevor die Gebiete im 1. Jahrhundert v.Chr. Teil des Römischen Reiches werden, sind sie durch die keltischen Helvetier bevölkert. Im 3. Jahrhundert führen die eingewanderten Alemannen die germanischen Sprachen ein, während die zur selben Zeit eingewanderten Burgunder rasch romanisiert werden (vgl. Mariano 2010: 290).

      Die Gründung der Stadt Freiburg erfolgt 1157 durch den Herzog Berchtold IV von Zähringen. Die Stadt erobert bald neue, sowohl deutsch- als auch französischsprachige Gebiete.

      Für die Entwicklungen der Sprachsituation sind schliesslich insbesondere die Ereignisse im 15. Jahrhundert wichtig. Nach den Burgunderkriegen wird die Stadt Freiburg 1477 unabhängig und erhält den Status einer freien Reichsstadt (vgl. HLSa; HLSb). Dies hat eine bedeutende Vergrösserung ihrer zugehörigen Gebiete zur Folge, die sie in mehreren Fällen (dazu zählt auch das Gebiet um Murten, vgl. A.2.2.1) zusammen mit Bern als ‹Gemeine Herrschaften› (vgl. HLSc; HLSd) verwaltet. Auch der offizielle Sprachgebrauch ändert sich zu dieser Zeit: Latein wird aufgegeben, zu Gunsten vor allem des Französischen, das erste Amtssprache wird, aber auch des Deutschen (vgl. Altermatt 2003: 22).

      Einige Jahre später, 1481, wird der Kanton Freiburg – als erster nicht ausschliesslich deutschsprachiger Kanton – in die Eidgenossenschaft aufgenommen, wodurch die Bedeutung des Deutschen im Kanton weiter gestärkt wird. Deutsch wird 1483 Verwaltungssprache. Sein Gebrauch ist allerdings auf die Beziehungen nach aussen, die Kanzlei, die Räte und die Beziehungen zu den Gemeinen Herrschaften beschränkt (vgl. Altermatt 2003: 26), in den französischsprachigen Gebieten des Kantons bleibt Französisch einzige Verwaltungssprache.

      Als 1798 in der Folge des Zusammenbruchs des Ancien Régime die Helvetische Republik entsteht (vgl. HLSe), ändert sich die sprachliche Situation des Gebietes erneut. Im Zuge einer territorialen Neuaufteilung während der Helvetischen Republik werden nicht nur die Region um Murten, sondern auch mehrere französischsprachige Gebiete vollständig Teil des Kantons Freiburg. Französisch wird Kommunikationssprache der Kantonsverwaltung mit der kurzzeitigen Landesregierung, dem Helvetischen Direktorium (vgl. HLSe). Deutsch bleibt zunächst noch Sprache der Kommunikation mit den übrigen Gebieten der Eidgenossenschaft und verliert seinen offiziellen Status zu Beginn des 19. Jahrhunderts ganz (vgl. Altermatt 2003: 29).

      Auch nach dem Ende der Helvetischen Republik 1803 und der darauf folgenden Mediationszeit (vgl. HLSf) verändert sich diese Sprachsituation kaum (vgl. Altermatt 2003: 30). Als 1830 ein liberales Regime eingerichtet wird, bleibt eine gewisse Zweisprachigkeit erhalten, als Regierungssprache gilt allerdings ausschliesslich Französisch (vgl. Altermatt 2003: 33).

      Nach dem Schweizerischen Bürgerkrieg (‹Sonderbundskrieg›, vgl. HLSg) wird eine neue kantonale Verfassung geschaffen, durch welche die Bezirksverteilung innerhalb des Kantons Freiburg entsteht (vgl. A.2.1.2), die weitestgehend bis heute gilt.

      Als es 1857 erneut zu einem Regierungswechsel und zu einer Änderung der Kantonsverfassung kommt, wird der Versuch unternommen, weder das Französische noch das Deutsche zu bevorzugen: Es wird keine offizielle Sprache mehr festgelegt und Französisch bleibt lediglich Originalsprache der juristischen Dokumente.

      Spannungen bleiben dennoch nicht aus. Namentlich während des Ersten Weltkriegs sind die Spannungen zwischen Deutsch- und Französischsprachigen, die in der ganzen Schweiz wahrnehmbar sind und namentlich durch die Propaganda der Kriegsparteien in der Schweiz verstärkt werden (vgl. Elsig 2014), in Kanton und vor allem Stadt Freiburg deutlich zu spüren (vgl. Tétaz 2007: 74-75). In der Zwischenkriegszeit wird die deutschsprachige Gemeinschaft zwar stärker in die Kantonsregierung eingebunden, diese versteht den Kanton jedoch nach wie vor als vornehmlich französischsprachig (vgl. Altermatt 2003: 47). Während dem Zweiten Weltkrieg ist die Situation nicht mehr dieselbe. Kulturelle und sprachliche Vielfalt werden als Teil der Schweizerischen Identität verstanden und auch in Freiburg wird diese Haltung geteilt (vgl. Altermatt 2003: 48).

      Von der hier mit Blick auf die Sprachsituation kurz umrissenen Geschichte des Kantons hebt sich diejenige der Stadt Freiburg zuweilen ab, was auch für Murten gilt. Auf die (Sprach)geschichte Murtens werden wir in A.2.2.1 eingehen, auf die aktuelle Sprachsituation in Stadt und Kanton Freiburg in A.2.1.2. Hier beleuchten wir zunächst einige sprachgeschichtlich bedeutende Ereignisse in der Stadt Freiburg. Die Stadt wird 1157 gegründet und ihre Bevölkerung besteht bereits zu diesem Zeitpunkt aus deutschsprachigen und französischsprachigen Einwohnerinnen und Einwohnern (Altermatt 2007: 400). Die schwäbische Herkunft der zähringischen Stadtgründer1 und die Abhängigkeit der damals existierenden zwei Klöster von deutschen Provinzen (Altermatt 2003: 19) tragen zur Bedeutung des


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