Linguistic Landscape als Spiegelbild von Sprachpolitik und Sprachdemografie?. Philippe Moser

Linguistic Landscape als Spiegelbild von Sprachpolitik und Sprachdemografie? - Philippe Moser


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zwischen den Städten, die sich unter dem Schutz des Kaisers befinden, und denjenigen unter Schutz der Kyburger stellt sich Murten unter den Schutz von Peter von Savoyen, der im Anschluss Herrscher der Stadt Murten wird (vgl. Mariano 2010: 307-309). Die Zeit der Herrschaft Savoyens in Murten dauert bis 1475, anschliessend fällt das Territorium als ‹Gemeine Herrschaft› an Freiburg und Bern.

      Während die vorherrschende Sprache in der Savoyerzeit noch Französisch war, wird Murten nun unter dem Einfluss von Bern zunehmend deutschsprachig. 1530 schliesst sich Murten der Reformation an, wie Bern bereits zwei Jahre zuvor. Die Orientierung Murtens in Richtung Bern und weg vom katholischen Freiburg wird dadurch noch verstärkt, was gleichzeitig eine zunehmende Bedeutung der deutschen Sprache zur Folge hat (vgl. Altermatt 2003: 27).

      Während der Zeit des Ancien Régime bleibt Murten Gemeine Herrschaft von Freiburg und Bern, bevor es 1803 durch die Mediation (vgl. A.2.1.1) definitiv Teil des Kantons Freiburg wird. Die sprachliche Situation scheint sich dadurch allerdings nicht zu verändern (vgl. HLSh).

      Murten bleibt Teil des Kantons Freiburg, behält aber seine Orientierung nach Bern bei, begünstigt durch die Konfession und die deutschsprachige Mehrheit. Im 19. Jahrhundert nimmt auch in Murten die Industrialisierung zu und ein früher Tourismus gewinnt bereits vor dem Ersten Weltkrieg an Bedeutung. Internationale Unternehmen werden sich erst später in Murten niederlassen. Ein entscheidender Faktor für die Bekanntheit der Kleinstadt Murten innerhalb der Schweiz ist die Tatsache, dass die zweite Schlacht der Burgunderkriege 1476 auf dem Stadtgebiet ausgetragen wurde. Die Gedenkfeier von 1876 trägt wesentlich zu den Anfängen des Tourismus in Murten bei. In näherer Vergangenheit erhält Murten durch die Landesausstellung ‹expo.02› im Jahr 2002 erneut nationale Beachtung (vgl. HLSh).

      A.2.2.2 Aktuelle Sprachsituation

      Die Stadt Murten ist heute Hauptort des zweisprachigen Seebezirks/District du Lac, der als einziger der sieben Bezirke des Kantons Freiburg offiziell zweisprachig ist und Deutsch und Französisch als Amtssprachen auf Bezirksebene anerkennt, während seine einzelnen Gemeinden offiziell wiederum einsprachig sind. Gemäss den Resultaten der Erhebungen des Bundesamtes für Statistik für 2014-2016 (kumuliert) nennen 22 550 Einwohnerinnen und Einwohner des Seebezirks Deutsch und 11 320 Französisch als Hauptsprache, wobei Mehrfachnennungen möglich sind.

      Wie für die Stadt Freiburg werden auch für die Gemeinde Murten (vgl. A.2.1.2) keine sprachpolitischen Grundlagen explizit festgehalten, eine Regelung zur Sprachpolitik findet sich in den Gemeindereglementen nicht1. Die Gemeinde ist offiziell deutschsprachig, verfügt aber über eine französischsprachige Minderheit. Gemäss den aktuellsten Zahlen gelten die 8 218 Einwohnerinnen und Einwohner von Murten zu 83% als deutschsprachig und zu 15% als französischsprachig2. Im Unterschied zu den Erhebungen des Bundesamtes für Statistik sind Mehrfachnennungen hier nicht zugelassen. Offiziell ist die Gemeinde deutschsprachig. In A.2.1.2 haben wir mit Altermatt die Entwicklung der Minderheitensprache in Freiburg gezeigt. Die gleiche Untersuchung für Murten bietet das folgende Bild:

      En 100 ans (1888-1990) : diminution faible (-0.53))/ en 50 ans (1941-1990) : augmentation faible (+2.0) / en 30 ans (1960-1990) / augmentation faible (+0.8) (Altermatt 2003: 348-350)

      Die französischsprachige Minderheit in Murten ist also zwar kleiner als die deutschsprachige Minderheit in Freiburg, jedoch ist die Situation in Murten während dem gesamten 20. Jahrhundert stabiler als jene in Freiburg. Die Zahl der Sprechenden der Minderheitensprache Französisch hat auf die 100 Jahre zwischen 1888 und 1990 gesehen zwar insgesamt leicht ab-, gegen Ende dieser Zeitspanne jedoch wieder etwas zugenommen.

      Dieser Unterschied zwischen den Städten Freiburg und Murten entspricht auch der allgemeinen Situation in den jeweiligen Bezirken. Im Saanebezirk mit Hauptort Freiburg ist die Mehrheitssprache in allen 46 Gemeinden Französisch. In 32 dieser Gemeinden hat die deutschsprachige Minderheit von 1990 bis 2000 abgenommen. Im Seebezirk mit Hauptort Murten ist die Abnahme der Sprechenden der jeweiligen Minderheitensprache insgesamt schwächer als im Saanebezirk und betrifft hier hauptsächlich das Französische in den Gemeinden mit deutschsprachiger Mehrheit. Die Abnahme der Minderheiten stärkt also das Französische im Saanebezirk und in etwas schwächerer Form das Deutsche im Seebezirk (vgl. Altermatt 2003: 264-271).

      A.2.3 Biel

      A.2.3.1 Sprachgeschichtlicher Überblick

      Im Gegensatz zu den Gebieten der heutigen Städte Freiburg und Murten (vgl. A.2.1.1 und A.2.2.1) sind für die Region der heutigen Stadt Biel keine Belege für eine Besiedelung in der vorrömischen Zeit vorhanden (vgl. HLSi). Die erste bekannte Besiedelung ist diejenige durch die Alemannen im 6. oder 7. Jahrhundert. Wie im Gebiet des heutigen Kantons Freiburg (vgl. A.2.1.1) fand zwar auch in dieser Gegend früh ein erster Kontakt zwischen romanischer und germanischer Kultur statt, jedoch nur vorübergehend: «[A]b dem 8. Jh. dominierte das germanische Kulturelement» (HLSi: 1.2.).

      Die Stadt Biel kann nicht seit ihrer Gründung als zweisprachig bezeichnet werden. Es wird davon ausgegangen, dass die Stadt zwischen 1225 und 1230 durch den Bischof von Basel, Heinrich II von Thun, gegründet wurde (vgl. HLSi) und somit zu einer Zeit, in der die betreffende Gegend längst deutschsprachig war. Seit ihrer Gründung befindet sich die Stadt in einer angespannten Situation zwischen verschiedenen Machthabern und Bündnispartnern. Sie ist gleichzeitig Verwaltungszentrum eines Teils des Basler Fürstbistums, emanzipiert sich aber rasch von der Herrschaft durch den Bischof und schliesst im 13. Jahrhundert eigene Verträge ab, dies unter anderem mit der Stadt Bern, was 1367 zum Krieg zwischen Bern und der bischöflichen Herrschaft in Basel führt. In der Folge fällt Biels Nachbarort Nidau an Bern. Biel wird somit zur Grenzstadt der bischöflichen Gebiete, wodurch der Aufbau eines eigenen Herrschaftsgebietes verhindert wird (vgl. HLSi).

      Im 15. Jahrhundert erhält die Stadt den Status eines zugewandten Ortes der Schweizerischen Eidgenossenschaft1, wird somit nicht als vollberechtigter Ort anerkannt und bleibt sogenannte ‹Landstadt› unter fürstbischöflicher Herrschaft.

      Die Französische Revolution stellt schliesslich einen entscheidenden Moment der Stadtgeschichte dar, der sich auch auf die Sprachsituation der Stadt auswirken sollte. Nachdem Frankreich 1793 zunächst Teile des Fürstbistums Basel annektiert hatte, wurde 1798 schliesslich auch die Stadt Biel als ‹Canton de Bienne› innerhalb des ‹Département du Mont-Terrible› für kurze Zeit Teil Frankreichs (vgl. HLSi). Innerhalb des Departements, das grösstenteils aus Gebieten des heutigen Kantons Jura bestand, wird Deutsch zur Minderheitensprache. Das Französische gewinnt in Biel zunächst an Präsenz durch die Anwesenheit französischer Funktionäre und Soldaten, die sich von dort aus auf den Angriff auf Bern vorbereiten. Dieser endet mit der Niederlage Berns und führt schliesslich zur Gründung der Helvetischen Republik (vgl. HLSe). Die französische Sprache wird aber auch zur offiziellen Sprache der Administration, anscheinend ohne grossen Widerstand der Bieler Bevölkerung: «Dès le 20 mars 1798, la correspondance administrative fut tenue en français, comme si ce changement avait été la chose la plus naturelle du monde» (Kaegi 2013: 472).

      Biel blieb auch nach dem Ende der Helvetischen Republik unter französischer Herrschaft (nun innerhalb des neuen ‹Département du Haut-Rhin›) bis zur Niederlage Napoleons 1814 und wird im Zuge der Entscheidungen des Wiener Kongresses schliesslich Teil des Kantons Bern, obwohl sich grosse Teile der Bevölkerung einen eigenständigen Kanton Biel innerhalb der Schweizerischen Eidgenossenschaft wünschen. Das Verhältnis zum Kanton Bern ist zunächst weiterhin angespannt:

      Die Skepsis gegenüber Bern blieb bestehen. Ein Teil der Bieler Bürger schloss sich aus den verschiedensten Motiven der liberalen Opposition gegen das Berner Regime an […]. 1832 wurde Biel Hauptort des gleichnamigen, neu geschaffenen Amtsbezirks. Erst mit der einsetzenden Demokratisierung während der Regenerationszeit begannen die Bieler, sich mit dem Staat Bern zu identifizieren. (HLSi: 3.1.1.)

      Bis heute ist die Stadt Teil des Kantons Bern geblieben und seit 2010 Hauptort des Verwaltungskreises Biel/Bienne (vgl. A.2.3.2). Die hier kurz beschriebenen Ereignisse bis zur Aufnahme der Stadt in den Kanton Bern hatten – mit Ausnahme der französischen Periode – kaum Auswirkungen auf die Sprachsituation der bis dahin deutschsprachigen


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