Linguistic Landscape als Spiegelbild von Sprachpolitik und Sprachdemografie?. Philippe Moser

Linguistic Landscape als Spiegelbild von Sprachpolitik und Sprachdemografie? - Philippe Moser


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Regionen Italiens lokale Sprachen auf regionaler Ebene in verschiedener Form, zusätzlich zum Italienischen. Als Hauptgrund für die Autonomie des Aostatals wird oft die offizielle Zweisprachigkeit genannt:

      Die Autonome Region Aosta-Tal ist seit 1948 aufgrund der offiziellen Zweisprachigkeit Italienisch-Französisch eine der fünf italienischen Regionen mit Sonderstatus. (Jablonka 1997: 1)

      Die Autonomie wird durch den Statuto speciale per la Valle d’Aosta (Legge costituzionale 1948, n. 4) geregelt (vgl. A.2.4.1 für die Hintergründe der Entstehung des Statuts). Neben Französisch als dem Italienischen gleichberechtigte Sprache erhält auch Deutsch in den Gemeinden des Lystals (vgl. dazu z.B. Zürrer 2009) einen anerkannten Status in der als ‹Statuto d’Autonomia› bekannten regionalen Verfassung (Art. 38 resp. 40bis). Keinen offiziellen Status erhält das in der gesprochenen Sprache durchaus bis heute verwendete (vgl. z.B. Jablonka 1997; Puolato 2006; Natale 2017) Frankoprovenzalische, das meist als ‹Patois› bezeichnet wird.

      Die Sprachpolitik wird in den Artikeln 38 bis 40 des Statuts festgelegt, die wir in voller Länge wiedergeben:

       ARTICOLO 38

      Nella Valle d’Aosta la lingua francese è parificata a quella italiana.

      Gli atti pubblici possono essere redatti nell’una o nell’altra lingua, eccettuati i provvedimenti dell’autorità giudiziaria, i quali sono redatti in lingua italiana.

      Le amministrazioni statali assumono in servizio nella Valle possibilmente funzionari originari della Regione o che conoscano la lingua francese.

       ARTICOLO 39

      Nelle scuole di ogni ordine e grado, dipendenti dalla Regione, all’insegnamento della lingua francese è dedicato un numero di ore settimanali pari a quello della lingua italiana.

      L’insegnamento di alcune materie può essere impartito in lingua francese.

       ARTICOLO 40

      L’insegnamento delle varie materie è disciplinato dalle norme e dai programmi in vigore nello Stato, con gli opportuni adattamenti alle necessità locali.

      Tali adattamenti, nonché le materie che possono essere insegnate in lingua francese, sono approvati e resi esecutivi, sentite Commissioni miste composte di rappresentanti del Ministero della pubblica istruzione, di rappresentanti del Consiglio della Valle e di rappresentanti degli insegnanti.

       ARTICOLO 40-BIS [28]

      Le popolazioni di lingua tedesca dei comuni della Valle del Lys individuati con legge regionale [29] hanno diritto alla salvaguardia delle proprie caratteristiche e tradizioni linguistiche e culturali.

      Alle popolazioni di cui al primo comma è garantito l’insegnamento della lingua tedesca nelle scuole attraverso gli opportuni adattamenti alle necessità locali.

       Nota all’art. 40-bis.

      28 Articolo inserito dall’articolo 2 della legge costituzionale 23 settembre 1993, n. 2.

       Nota al primo comma dell’art. 40-bis.

      29 Si veda la legge regionale 19 agosto 1998, n. 47 (B.U. 25 agosto 1998, n. 36).1

      (Statuto VdA, Art. 38-40bis)

      Die offizielle Gleichberechtigung der italienischen und französischen Sprache gilt für sämtliche Gemeinden des Aostatals (ein Territorialitätsprinzip wie im Fall der Schweiz, vgl. A.2.0, existiert also lediglich für das Deutsche in den Gemeinden des Lystals), sie wird aber einzig in der Gemeindeverfassung der Stadt Aosta explizit wiederholt. Diese gibt sich dadurch offiziell den Status einer zweisprachigen Stadt:

       Art. 2

       Parificazione linguistica

      2. Nel Comune di Aosta la lingua francese è parificata a quella italiana ai sensi dello Statuto speciale per la Valle d’Aosta. La parità di uso delle due lingue nell’attività quotidiana del Comune va garantita nel rispetto delle scelte individuali di ogni cittadino. Gli atti pubblici possono essere redatti nell’una o nell’altra lingua ai sensi dell’art. 38 della legge costituzionale n. 4 del 26.02.1948 di approvazione dello Statuto speciale della Valle d’Aosta. I documenti espressamente dichiarati fondamentali dal Consiglio Comunale sono redatti in forma bilingue.2

      (Statuto CdA, Art. 2)

      Die gesetzliche Grundlage scheint also soweit klar zu sein: Sowohl Region als auch Stadt sind offiziell zweisprachig und anerkennen Französisch und Italienisch auf gleicher Stufe. Allerdings steht diese Grundlage in Widerspruch sowohl zur tatsächlichen Regionalpolitik als auch – in deutlich stärkerem Masse – zum Sprachgebrauch der Einwohnerinnen und Einwohner. Zwar werden offizielle Dokumente zuweilen in zweisprachiger Version erstellt, oft liegt aber lediglich eine italienische vor und im täglichen Geschäft wird von Behörden meist auf das Italienische zurückgegriffen. In A.2.4.1 haben wir mit Bauer (1999) bereits eine deutliche Zunahme der Verwendung des Italienischen im 20. Jahrhundert festgestellt. Die rigide Sprachpolitik des Faschismus und die Einwanderung italienischsprachiger Bevölkerungsteile aus anderen Regionen Italiens im Zuge der Industrialisierung sind wohl Hauptgründe. Hinzu kommt, dass auch vor dieser Epoche das Französische vornehmlich als Schriftsprache diente, während im gesprochenen Sprachgebrauch Frankoprovenzalisch vorherrschte. Jablonka hält allerdings fest, dass das Frankoprovenzalische von der valdostanischen Bevölkerung selbst oftmals dem Französischen zugeordnet wird:

      Die überwältigende Mehrheit der interviewten Sprecher gab zur Antwort, dass es sich nach ihrer Auffassung beim Frankoprovenzalischen (= patois valdôtain) um einen «französischen Dialekt» handele […]. (Jablonka 1997: 17)

      Wie in vielen Fällen, beispielsweise auch in Freiburg (vgl. A.2.1.1) oder Biel (vgl. A.2.3.1), in denen Entwicklungen der gesellschaftlichen Zusammensetzung in Städten stärker stattfinden als in ländlichen Gebieten, hat die Italianisierung in der Hauptstadt Aosta am frühesten und am stärksten stattgefunden.

      In Bezug auf die Französischkompetenzen und die Verwendung des Französischen kommen verschiedene Untersuchungen zu verschiedenen Zeitpunkten (Jablonka 1997, Puolato 2006, Natale 2017) zum Schluss, dass die meisten Valdostanerinnen und Valdostaner nicht über erstsprachliche Kompetenzen verfügen und Französisch kaum spontan nutzen3. Jablonka drückt es besonders deutlich aus:

      Das Französische im Aosta-Tal existiert nicht, es sein denn als Mythos. Dass das Französische dort überhaupt noch eine gesellschaftliche Funktion besitzt, verdankt es eben diesem mythischen Gehalt – präziser: Die gesellschaftliche Funktion besteht in der mythischen Funktion insofern, als der Gebrauch des Französischen eine spezifische Gruppenkohäsion schafft und infolgedessen Identität stiftet. (Jablonka 1997: 13)

      Ein als funktionelle Sprache aufzufassendes Regionalfranzösisch existiert jedoch im Aosta-Tal nicht, da es sich um eine mythisierte Fremdsprache handelt, die nur unter äusserst spezifizierungsbedürftigen Umständen okkasionell gebraucht wird […]. (Jablonka 1997: 115)

      Spontan finden im Alltag in der Regel nur das Frankoprovenzalische und das Italienische Verwendung, während die soziale Metasprachfunktion des Französischen darin besteht, dass es keine Funktion in der Alltagskommunikation besitzt und als schulisch forciert vermittelte Fremdsprache einen ideologischen Zement für die Kohäsion der valdostanischen Ethnie auf einer reflektiert politischen Solidaritätsebene herstellt; die emotive Nähesprachenfunktion, die für den Dialekt charakteristisch ist, geht dem Französischen dagegen ab. (Jablonka 1997: 225; vgl. auch Jablonka 1997 Kap. 6.7, 252-253)

      Die gesellschaftliche Funktion des Französischen, die ihm im Aosta-Tal in dieser spezifischen Form von keiner anderen Sprache abgenommen werden kann, ist die mythische. (Jablonka 1997: 303)

      Aber auch die Zahlen aus den Untersuchungen von Puolato 2006 (175-178) scheinen


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