Linguistic Landscape als Spiegelbild von Sprachpolitik und Sprachdemografie?. Philippe Moser

Linguistic Landscape als Spiegelbild von Sprachpolitik und Sprachdemografie? - Philippe Moser


Скачать книгу
hält die Regionalregierung am Status des Französischen und an den entsprechenden Anforderungen für Angestellte der regionalen Verwaltung (Art. 38 Statuto VdA) fest und im Widerspruch zu Sprachgebrauch und vorhandenen Kompetenzen scheint das Französische bei grossen Teilen der valdostanischen Bevölkerung aktuell ein grosses Ansehen zu geniessen – bei gleichzeitigem Bewusstsein der eingeschränkten Kompetenzen (vgl. Natale 2017).

      Nicht zu unterschätzen ist sicherlich auch der Einfluss des ausländischen Tourismus, der in den letzten Jahren eher zugenommen hat und zu einem grossen Teil aus näher und weiter gelegenen französischsprachigen Nachbargebieten (Savoyen respektive Frankreich, Wallis respektive Romandie) stammt4, wodurch das Französische als nützliche Fremdsprache wiederum an Gewicht zu gewinnen vermag.

      Was die beiden offiziellen Sprachen des Aostatals betrifft, steht Folgendes fest: Italienisch ist die klar in allen Bereichen dominierende Sprache, Französisch kommt eine identitätsstiftende (oder, wie Jablonka (1997) es ausdrückt, «mythische») Funktion zu. Unbestritten ist aber auch, dass die französische Sprache – trotz fehlender Spontaneität und eingeschränkter Kompetenz – durchaus aktiv verwendet wird, allerdings nur in einigen wenigen Situationen, zu denen wohl auch die Kommunikation mit französischsprachigen Personen von ausserhalb des Aostatals zu zählen wäre, die in den erwähnten Untersuchungen nur wenig zur Sprache kommt.

      A.2.5 Luxemburg (Grossherzogtum und Stadt)

      A.2.5.1 Sprachgeschichtlicher Überblick

      Dieser knappe historische Abriss soll die Entstehung der heutigen Mehrsprachigkeitssituation im Grossherzogtum Luxemburg und in seiner Hauptstadt vorstellen, auf die wir in A.2.5.2 ausführlicher eingehen werden.

      Schon bevor Luxemburg 963 erstmals schriftlich als Name eines Gebietes genannt wird, finden auf dem betreffenden Territorium Ereignisse statt, die für die sprachliche Situation von Bedeutung sein werden. Bevor das Gebiet 53 v.Chr. von den Römern erobert und bis ins 5. Jahrhundert Teil des römischen Reichs wird, ist es durch die keltisch-germanischen Treverer besiedelt. Gemäss Hoffmann 1979 ist bereits früh eine Triglossiesituation gegeben, wenn auch nicht mit denjenigen Sprachen und Besonderheiten, welche später vorherrschen werden:

      Hier ist schon ein halbes Jahrtausend, bevor Luxemburg im Jahre 963 territorialgeschichtlich in das Blickfeld der Geschichte tritt, die für diesen Raum typische triglossische Sprachsituation gegeben, die sich im Laufe der Jahrhunderte nicht mehr verändern wird. Obschon das Keltische in demselben Masse schwindet, wie das Germanische zunimmt, leben drei Sprachen in einem Raum nebeneinander. Das Lateinische ist Verwaltungssprache. Als vulgärlateinische Volkssprache ist sie das Umgangsidiom der römischen Verwaltungsbeamten und latinisierten einheimischen Oberschicht. Die älteste Sprachschicht bildet das vom Volk zäh bewahrte Keltische, die jüngste das Germanische […]. (Hoffmann 1979: 23)

      In der Zeit der Herrschaft der Grafen von Luxemburg nach 963 (Vgl. Pauly 2011: 26-34) wird das Französische 1239 zur Sprache der Urkunden, obwohl die Bevölkerung nicht in erster Linie französischsprachig ist:

      Dass das Französische die Luxemburger Amtssprache wurde, als in den europäischen Kanzleien die Nationalsprachen an die Stelle des Latein traten, erklärt sich weniger aus der Sprachensituation der Grafschaft, als daraus, dass zu dieser Zeit das französischsprachige und westlich orientierte Haus Namür herrschte. (Hoffmann 1979: 26)

      Ein weiteres sprachgeschichtlich bedeutendes Datum in der Luxemburger Geschichte ist 1340, als das Gebiet administrativ in ein französischsprachiges ‹Quartier wallon› und ein deutschsprachiges ‹Quartier allemand› aufgeteilt wird. Wir können also zu dieser Zeit noch von einer territorialen Zweisprachigkeit Luxemburgs (zumindest auf administrativer Ebene) sprechen. Diese wird mit einigen Unterbrüchen weitgehend auch dann noch Bestand haben, als das Territorium Luxemburgs während Jahrhunderten unter mehr oder weniger rasch wechselnder fremder Herrschaft steht: 1443 bis 1506 burgundisch, 1506 bis 1684 spanisch, 1684 bis 1697 französisch, danach bis 1714 erneut spanisch, 1714 bis 1795 österreichisch (vgl. Hoffmann 1979: 4). Die als Herzoge von Luxemburg regierenden jeweiligen Herrscher sprechen dem Gebiet grösstenteils eine weitgehend unabhängige Verwaltung zu. 1795 bis 1814 gehört Luxemburg schliesslich als Teil des ‹Département des Forêts› zum nachrevolutionären Frankreich. Dies bringt eine deutliche politische Stärkung der französischen Sprache mit sich, wie beispielsweise Ziegler 2011 anhand von amtlichen Bekanntmachungen aufzeigt (vgl. auch A.2.3.1 für die entsprechende Epoche in Biel). Für einen Überblick über die Geschichte Luxemburgs vor dem Wiener Kongress verweisen wir auf Pauly 2011 (52-66).

      Entscheidend sind schliesslich einmal mehr die Beschlüsse des Wiener Kongresses von 1815, durch die Luxemburg als Grossherzogtum und offiziell unabhängiger Staat unter niederländische Verwaltung gelangt, wobei der regierende König Wilhelm I von Oranien das Gebiet aber dennoch als niederländische Provinz verwaltet, bevor es schliesslich erst 1839 in den heutigen Staatsgrenzen definitiv unabhängig wird.

      Gemäss Hoffmann (1979: 31) betrachtet Wilhelm I das Gebiet als Teil der Niederlande (obwohl Teil des deutschen Bundes) und bekämpft daher dessen Beziehungen zu Deutschland und damit die deutsche Sprache.

      Dies hat gemäss Ziegler konkrete Auswirkungen auf die Sprachpolitik:

      Dieser komplizierte Status wirkt sich sprachenpolitisch in zweierlei Hinsicht aus: zum einen dahingehend, dass Niederländisch als Schulfach in den Grundschulen eingeführt wird; zum anderen dahingehend, dass Deutsch – zugunsten des Französischen – in zwei Domänen zurückgedrängt wird: als Schulfach an den Gymnasien und in seiner Verwendung als Amtssprache. (Ziegler 2011: 177)

      Als 1830 die belgische Revolution ausbricht, soll die Sprachpolitik wiederum zu Gunsten des Deutschen geändert worden sein, um der Sympathie der Luxemburger Bevölkerung zu Belgien entgegenzutreten (vgl. Hoffmann 1979: 31). Ziegler findet in ihrer Untersuchung allerdings keine Belege für einen solchen Wechsel der Sprachpolitik in der betreffenden Zeit (2011: 185). Die tatsächliche Situation des Sprachgebrauchs der Regierung und vor allem der Bevölkerung zu dieser Zeit ist unklar:

      Abgesehen von der Frage, welchen Stellenwert die Verwendung einer Sprache als Regierungssprache bezogen auf den kommunikativen Haushalt einer Sprachgemeinschaft hat, stellt sich die noch dringlichere Frage, wie sich die Sprachpraxis im 19. Jahrhundert tatsächlich gestaltet. Denn dies ist bisher weder für die Ebene der Regierungssprache noch für die Ebene der Amtssprache untersucht worden. (Ziegler 2011: 178)

      Gemäss Fehlen (2013: 39) umfasst zu dieser Zeit der «moderne luxemburgische Staat zunächst zwei Sprachgemeinschaften», d.h. eine Deutsch- und eine Französischsprachige (Luxemburgisch gilt damals noch als Dialekt des Deutschen). Erst mit der Unabhängigkeit von 1839 und den damit einhergehenden Gebietsverlusten verliert das Grossherzogtum die französische Sprachgemeinschaft:

      1839 kann als das wichtigste Datum der Luxemburger Geschichte angesehen werden, nicht nur weil der Staat seither in seinen augenblicklichen Grenzen besteht, sondern weil erst jene Grenzziehung eine sprachliche Einheit geschaffen hat, die die weitere soziolinguistische und sprachenpolitische Entwicklung entscheidend beeinflussen sollte. (Fehlen 2013: 41)

      Auch nach 1839 sind die niederländischen Könige in Personalunion Grossherzoge von Luxemburg, geben dem Gebiet aber eine demokratische Verfassung und faktische Unabhängigkeit. Erst als Wilhelm II 1890 stirbt, erhält das Gebiet eine eigene Herrscherdynastie, die Dynastie Oranien-Nassau, die bis heute die Luxemburger Grossherzoge stellt. Dies ist ein weiterer Schritt hin zum Unabhängigkeitsbewusstsein der Luxemburger Bevölkerung. Denn es gab, wie Hoffmann festhält, in Luxemburg «bereits einen Staat, als es noch kein Nationalgefühl gab» (Hoffmann 1979: 7).

      So entwickeln sich denn auch das luxemburgische Nationalgefühl und der luxemburgische Patriotismus aus der Gegenstellung heraus. Indem die Luxemburger begreifen lernen, was sie nicht sein wollen, gelangen sie zu einem nationalen Selbstverständnis und beginnen zu verstehen, was sie sind und was sie sein wollen. Die Abgrenzung geschieht in erster Linie nach Deutschland hin […]. Dies verhindert aber nicht, dass es auch antibelgische und antifranzösische Tendenzen gibt, die allerdings weniger stark ausgeprägt sind. (Hoffmann 1979: 8)

      Gemäss


Скачать книгу