Deutsch in Luxemburg. Fabienne Scheer
hervorrufen. Die Beobachtungen von Romain Dockendorf wurden von den Aussagen anderer Lehrkräfte gestützt. Der Deutschlehrer Fernand Weiler führte aus, dass seine Schüler zwischen dem Bewusstsein für die Alltagsrelevanz der französischen Sprache im Land und ihrer negativen affektiven Einstellung gegenüber der Sprache zu trennen wissen:
Fernand Weiler: „Absolut an si studéieren och, wat se ni gemaach hunn, zunehmend BWL, also Betribswirtschaftslehre, an Däitschland an da komme se rëm an hei musse se se op Franséisch féieren, dat ass jo nonsense, ne! […]. Déi soe carrément: „Ech haassen dat Franséischt!“ Obschonn se sech bewosst sinn natierlech, dass se déi Sprooch brauchen! Hei zu Lëtzebuerg geet et net anescht, jee nodeem, wat se spéider wëlle maachen, si se op Franséisch ugewisen. Mee si sinn och gewinnt, ëmmer nëmmen ‚chemin de la moindre difficulté’ ze wielen: Wa Franséisch schwiereg ass, gëtt Däitsch gewielt. Och wa si Franséisch brauchen, ginn si op eng däitsch Uni an ech weess net, wéi dat sech dann herno ausweise soll am Schluss.“13
Instrumentelle Motivationsfaktoren14 werden beim Kosten-Nutzen-Abgleich so lange wie nur möglich beiseite geschoben. Es wird für die ‚solution de la facilité’ optiert und es ist der Deutschunterricht, der dieser Lösung eher entspricht als der Französischunterricht. Aufgrund der sprachsystemischen Nähe zwischen der luxemburgischen und der deutschen Sprache kann das Wissen aus der L1 genutzt werden. Die Erwerbsmethode des Deutschen in Luxemburg ähnelt eher dem Erwerb einer zweiten Muttersprache als dem einer früh erlernten Fremdsprache, während Französisch eindeutig als Fremdsprache erworben wird, was die Ausbildung von Nähe- und Distanzgefühlen gegenüber beiden Sprachen mitbestimmt. Schüler mit Familiensprache Luxemburgisch begegnen der deutschen Sprache und Zielkultur außerhalb der Schule bei positiv konnotierten Freizeitbeschäftigungen, wie Fernsehen und Internetsurfen. Sie entwickeln deshalb früh eine Leichtigkeit im Umgang mit der Sprache. Die französische Sprache wählen sie aufgrund der sprachsystemischen Distanz zum Luxemburgischen seltener beim Medienverhalten, treffen allerdings täglich auf das gesprochene Französisch in der Gesellschaft.
Die Mehrsprachigkeit Luxemburgs ist zu einem bedeutenden Teil der Ertrag des Bildungssystems. Bedeutung und Handlungsspielräume der Schulsprachen sind in den Lehrplänen der einzelnen Klassenstufen genauestens festgeschrieben.15 Die Entscheidung, welche Sprache wie eine16 Muttersprache und welche wie eine Fremdsprache unterrichtet werden soll, welche aus dem Lehrplan gestrichen wird oder mehr Unterrichtsstunden erhält, bleibt nicht ohne Folgen für den Status der Sprachen in der Gesellschaft insgesamt (vgl. Redinger 2010: 96). Die nachstehenden Korpusauszüge belegen, dass die luxemburgische Sprachensituation als Ressource angesehen wird, deren Fortbestand von der Schule gewährleistet wird und werden muss:
Die luxemburgische Primärschule besitzt vor allem zwei Trümpfe, um die man uns international beneidet: einerseits unsere Zweisprachigkeit und unsere langjährige Erfahrung auf dem Gebiet des Fremdsprachenunterrichts: andererseits eine außergewöhnliche Integrationsfähigkeit. Unsere Primärschule bringt es fertig, rund 35 % Ausländerkinder in ein zweisprachiges Schulsystem zu integrieren (LW18: 18.01.1992).
[…] im Parlament wurde im November 2000 eine 24 Punkte enthaltende Motion verabschiedet. Deren Hauptakzente liegen in der Beibehaltung der einheitlichen Schule als Vorbedingung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Daneben soll aus Kommunikations-, Wirtschafts-, sprich Überlebensgründen weiterhin auf die Dreisprachigkeit gesetzt werden (Tagebl: 08.06.2002).
On peut également affirmer que l’enseignement des matières non linguistiques en langue seconde ou langue étrangère est une des clés du plurilinguisme que l’on nous envie tant sur la scène internationale (MENFP 2010: 1).
Lehrergewerkschaften und Fachverbände werden auch künftig reagieren, wenn von Regierungsseite angedacht wird, die Stundenanzahl in einer Schulsprache zu reduzieren oder die Inhalte des Sprachunterrichts zu verändern. Die APFL hat von allen Fachverbänden die stärkste Lobby. Der ‚Lëtzebuerger Germanistenverband’ (LGV) geht bis heute vorsichtig mit öffentlichen Stellungnahmen um, die den Deutschunterricht in Luxemburg und Kritik an sprachpolitischen Entscheidungen betreffen. Der Verein agiert in dem Bewusstsein, dass die Forderung nach einer Ausweitung des Deutschunterrichts schnell missverstanden werden kann als Forderung nach einer Ausweitung der deutschen Kultur in Luxemburg insgesamt.
Im Juni 2005 untersuchte eine Expertengruppe des Europarates auf Wunsch des luxemburgischen Bildungsministeriums das Schulsystem und gelangte zu der Schlussfolgerung, dass die Schule den Wert der Familiensprachen ignoriere, die die Schüler mit in die Schule brächten. Vorhandene Sprachrepertoires würden weder aufgewertet noch in Sprachwissen umgewandelt (vgl. Goullier et al. 2006: v, vi, 18–20). Unmittelbar nach diesem Bericht wurde von politischer Seite in Luxemburg verstärkt versucht, Einfluss auf die mediale Diskursebene zu nehmen und die Sichtweise auf Mehrsprachigkeit dahingehend zu verändern, dass jede Sprache als Mehrwert anzusehen sei. Im Untersuchungskorpus zeigt sich auf der medialen Diskursebene ab 2006 eine Diskursprogression, die von der zuvor bewährten Denkweise „Dreisprachigkeit bleibt oberstes Prinzip“ (LW15: 03.04.1998) abrückt.
BEISPIELE AUS DEM UNTERSUCHUNGSKORPUS VOR 2006
Als bedeutenden Pfeiler des nationalen Schulsystems bezeichnete A. Brasseur die Dreisprachigkeit, die nicht in Frage gestellt werden dürfe. Sei eine elementare Sprachbeherrschung nicht gegeben, so dürfe ein Schüler sich nicht durch die Schule „mogeln“ können, betonte die Ministerin (LW: 30.11.2000).
Die Dreisprachigkeit des luxemburgischen Schulsystems will Unterrichtsministerin Anne Brasseur nicht in Frage stellen. Sie will aber die Sprachkenntnisse, besonders im technischen Sekundarunterricht, mehr als bisher auf die Berufsausbildung abstimmen (Telecr.: 09.12.2000).
Die Dreisprachigkeit sei ein zentraler Aspekt des nationalen Schulsystems, wenngleich die Rolle des Luxemburgischen als Integrationsinstrument und Kommunikationssprache immer wichtiger werde (Wort4: 30.01.2003).
DISKURSPROGRESSION AB 2006
Mehrsprachigkeit anstatt Dreisprachigkeit […] Es werde nicht nur Deutsch, Französisch und Luxemburgisch in den Schulhöfen gesprochen, sondern u.a. auch Portugiesisch und Italienisch, stellte Frau Caldagnetto fest. Die Muttersprache der nicht-luxemburgischen Schüler solle nicht als Problem, sondern als Erbgut und Chance betrachtet werden. Geteilt wurde diese Einstellung übrigens auch von der Hauptreferentin, der Unterrichtsministerin Mady Delvaux-Stehres (Wort34/35: 20.03.2006).
Bei der Vorstellung der Forschungsergebnisse spricht sich der Berichterstatter der Expertengruppe, Francis Goullier, für die Überprüfung einiger, für selbstverständlich geltender Errungenschaften aus. „Ist es notwendig, dass alle Schüler alle Sprachen in einem gleichen Ausmaß beherrschen müssen“, warf Goullier auf (LW3: 21.03.2006).
Die Mehrsprachigkeit muss auf jeden Fall erhalten bleiben, aber sie darf für niemanden eine unüberwindbare Hürde in der Schule sein, so Delvaux (Telecr: 24.03.2007).
Der Begriff der Mehrsprachigkeit wird umgedeutet. Es wird versucht, die Sichtweise durchzusetzen, dass jede Sprache als Surplus anzusehen ist und Mehrsprachigkeit an sich schon wertgeschätzt werden muss. Der Bericht kann als diskursives Ereignis im Sinne von Foucault gewertet werden.
Im Diskurs besteht ein Konsens darüber, dass es die Aufgabe der Schule ist, sozusagen ‚von unten’, die Integration der Zuwanderer zu erreichen:
[…] le ministère a fait élaborer le papier Pour une école d'intégration, prônant haut et fort le principe de l'école publique unique et une intégration humaine des enfants de nombreuses cultures qui constituent désormais le Luxembourg (LL: 10.06.1996).
Ich kann mir die Integration in unserem Land nicht anders ideal vorstellen als über die Schule (LW3: 26.09.1997).
Hat nicht die Unterrichtsministerin selbst bereits allenthalben das Leitmotiv vorbereitet: „L’intégration passe par l’intégration scolaire“? (LW: 26.02.2000)
Deren Hauptakzente liegen in der Beibehaltung der einheitlichen Schule als Vorbedingung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt (Tagebl: 08.06.2002).
Damit verbunden