Deutsch in Luxemburg. Fabienne Scheer

Deutsch in Luxemburg - Fabienne Scheer


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herno, wann een eben d’Strukture [politesch, wirtschaftlech, gesellschaftlech] zu Lëtzebuerg hutt, fënnt déi däitsch Sprooch jo net wierklech eng Plaz oder hutt och keng wierklech Plaz an deem Sënn […]. Ech weess et net. Ech hat ëmmer méi eng Affinitéit zum Däitschen wéi zum Franséischen, mee dass et lo wierklech eng Sprooch ass, déi ech zu Lëtzebuerg permanent gebrauche muss …, gesinn ech et net. Do ass d’Franséischt éischter …“

       F.S.: „A wann ee lo vum Wäert vun enger Sprooch schwätzt, dann hutt se villäicht kee richtege Wäert fir virunzekommen lo am wirtschaftleche, beruffleche Liewen [zu Lëtzebuerg]? Si hutt éischter ee Wäert als kulturell Sprooch – villäicht als Zousaatzkultursprooch?“

      Nadine Vandivinit: „Jo als Verständigungsméiglechkeet an […]. T’gi jo awer vill Länner, wou d’däitsch Sprooch awer nach geschwat gëtt a vun dohier … Mee ech mengen net, dass se sech, dass se zu Lëtzebuerg sou eng herausragende Rolle eigentlech hutt. An jo – t’ass schwéier, well am Alldag begéint ee se jo sou selten.“3

      Dem luxemburgischen Schulsystem war lange Zeit vorgehalten worden zu sehr auf Frontalunterricht zu setzen und den Sprachenunterricht über die Entwicklung des Allgemeinwissens, von Transferkompetenzen und Anwendungswissen zu stellen. Auch gegenwärtig bemerken Lehrkräfte, dass Schüler in Luxemburg in der Ausbildung ihres Allgemeinwissens hinterherhinken:

      Damjana Suljana Zorko (Deutschlehrerin am technischen Lyzeum): „Hier wird ganz viel auf Sprachen gegeben, aber Sprachen sind nur ein Teil des Weltwissens. Ich hab in der 9. Klasse 15-, 16-jährige, die sagen, was ist denn das der Mount Everest und wer ist Mutter Theresa, was ist das für ne Frau, was weiß ich … um nicht zu sagen, dass sie überhaupt auch geschichtliche Sachen gar nicht wissen. Es geht auf Kosten des Weltwissens, das aber in der heutigen Welt genau das ausmacht, den Unterschied zwischen den Leuten, die was wissen und dann jemand werden und den Leuten, die Nobodys werden […].“

       F.S.: „Würden Sie auch sagen, dass es daran liegt, dass dieses Schulsystem extrem auf Sprachen aufgebaut ist?“

      Damjana Suljana Zorko: „Genau daran. Man verliert enorm viele Stunden für Sprachen, die aber nur ein Teil des Weltwissens sind und man muss andere Sachen einfach auch wissen und können, um in dieser Welt zu bestehen und vor allem, was Zukunft ist, ist Naturwissenschaften. Und die kommen absolut zu kurz. Die Kinder haben Biologie, Chemie vermischt, Physik dann ein bisschen dazwischen – das geht doch nicht, das sind drei verschiedene Wissenschaften!“

      Fehlen (2006: 5) spricht von einer „école plombée par les langues“. Wie Bildungs- und Spracherwerb in Luxemburg genau funktionieren und mit welchen Problemen die Lehrkräfte konfrontiert werden, wenn sie die deutsche Sprache vermitteln, wird in diesem Teil der Arbeit dargelegt. Diskussionen um Reformen des Unterrichtssystems werden in Luxemburg emotional geführt. Die Analyse des Bildungsdiskurses zeigt inwieweit das in der Schule vermittelte Sprachwissen und Sprachhandeln im Begriff ist sich zu verändern.

      1 Aufbau des luxemburgischen Schulsystems

      1.1 Grundschule (école fondamentale)

      Lange Zeit beruhte der Aufbau der luxemburgischen Grundschule auf einem verhältnismäßig alten Gesetz. Erst die Bildungsreform, die im Jahr 2009 in Kraft trat, ersetzte ein Schulgesetz aus dem Jahr 1912. Mit dem neuen Schulgesetz vom 6. Februar 2009 wurde der Aufbau der Vor- und Primärschule grundlegend reformiert. Was vor 2009 im Volksmund Spillschoul und Primärschoul genannt wurde, wird nun als ein Ganzes bezeichnet: die école fondamentale. Ab der Einschulung sind nicht mehr acht bzw. neun Schuljahre bis zum Übergang in die Sekundarschule zu zählen, sondern 4 Grundschulzyklen.1

      Staatliche und private Krippen nehmen Säuglinge ab drei Monaten auf, die bis zum vierten Lebensjahr, dem Beginn der Schulpflicht, dort betreut werden können. In Kindertagesstätten, die dem luxemburgischen Bildungsministerium unterstehen, muss Luxemburgisch geredet und der Erwerb der Sprache beim Kind gefördert werden. Private Kindertagesstätten müssen sich nicht an diese Vorgaben halten. Ein Großteil der privaten Krippen wird von französischsprachigem Personal betrieben, andere werben wiederum gezielt mit mehrsprachiger Erziehung (vgl. Die Grenzgänger 2010).2 Jede luxemburgische Gemeinde ist dazu verpflichtet, eine fakultative Früherziehung (éducation précoce) für Kinder ab drei Jahren anzubieten. Die école fondamentale beginnt mit zwei Jahren obligatorischer Vorschule im Grundschulzyklus 1. Sie endet mit dem Abschluss des Zyklus 4.2 (vormals sechste Klasse).

      In Früherziehung und Vorschule ist Luxemburgisch die alleinige Unterrichts- und Klassensprache. Im Grundschulzyklus 2.1, der ersten Klasse, setzt die Alphabetisierung auf Deutsch ein. Die deutsche Sprache ist sodann im Klassenzimmer die mündliche und schriftliche Verkehrssprache. Sie wird in den regulären Klassen nicht als Fremdsprache unterrichtet. Ab dem dritten Trimester des Grundschulzyklus 2.2 (vormals zweites Schuljahr) beginnt der Erwerb der französischen Sprache, die konsequent als Fremdsprache erlernt wird. Französisch wird bis zum Abschluss der école fondamentale in der Regel nur im Französischunterricht als Verkehrssprache benutzt.

      Diese schematische Zusammenfassung stellt lediglich eine Orientierungshilfe dar. Es wird sich zeigen, dass die Verteilung der drei Grundschulsprachen (Luxemburgisch, Deutsch und Französisch) in der Praxis weitaus komplexer ist – dass das Schulgesetz und eingebürgerte Gewohnheiten mitunter mehrere Sprachen zulassen.

      1.2 Sekundarschule

      Im Anschluss an die Grundschule stehen Schülern verschiedene Sekundarschultypen zur Auswahl.1 In Luxemburg wird unterschieden zwischen dem Enseignement secondaire (allgemeiner, klassischer Bildungsweg, ES) und dem Enseignement secondaire technique (technischer Sekundarunterricht, EST). Am Ende des vierten Grundschulzyklus gehen Schüler durch Orientierungsbeschluss des sogenannten conseil d’orientation entweder in eine siebte Klasse des technischen oder des allgemeinen Sekundarunterrichts.

      1.2.1 Enseignement secondaire classique (ES)

      Der allgemeine Sekundarschulunterricht entspricht dem deutschen Gymnasium und umfasst eine Regelschulzeit von sieben Jahren. Er schließt mit dem klassischen Abitur in der 13. Klasse (1ère)1 ab und bereitet auf weiterführende Studien vor. Schüler, die den klassischen Sekundarschulunterricht besuchen, setzen ihre Schullaufbahn in der 7. Klasse des ES fort. Die Unterrichtssprache ist hier (zunächst) weiterhin Deutsch, mit Ausnahme des Fachs Mathematik, das sofort auf Französisch unterrichtet wird. In der achten Klasse (sixième) beginnt der Erwerb der englischen Sprache, außer der Schüler wählt Latein, dann setzt der Englischunterricht erst ein Jahr später ein. Einige wenige Gymnasien bieten in der Unterstufe Förderklassen im Fach Deutsch (ALLET-Klassen) und/oder im Fach Französisch (Français + oder Français Intensif) an. Diese Spezialklassen richten sich an Schüler, die eine siebte Klasse des ES besuchen, weil sie über sehr gute Kenntnisse in Mathematik und einer Fremdsprache (entweder Deutsch oder Französisch) verfügen, jedoch Schwächen in der jeweils anderen Schulsprache (Deutsch oder Französisch) aufweisen. Die Schwierigkeiten in dieser Sprache dürfen nicht so erheblich sein, dass sie nicht mit einem intensiven Förderunterricht zu beheben wären. Der Sprachunterricht im Enseignement secondaire ist nämlich auf die schrittweise Ausbildung von annähernd muttersprachlichen Kenntnissen ausgerichtet. Der Kanon der einzelnen Literaturen wird behandelt und für den Wissenserwerb in den Sachfächern werden hohe Fremdsprachenkenntnisse vorausgesetzt. Im Enseignement secondaire classique wechselt nach Abschluss der 9. Klasse (5ième) die Vermittlungssprache in den Sachfächern von Deutsch auf Französisch, was für viele Schüler zum Problem wird. So wies der Geschichtslehrer Jeannot Kettel im Experteninterview darauf hin, dass ein Großteil der Schüler in den Sachfächern hilflos vor Aufgabenstellungen sitze, weil er die Sprache der zu behandelnden Texte und Fragestellungen nicht verstehe.

      F.S.: „Also a wéi fern beaflosst d’Unterrechtssprooch den Erfolleg vun de Schüler an de Sachfächer, an de Niewefächer?“

      Jeannot Kettel


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