Deutsch in Luxemburg. Fabienne Scheer
921). Vielmehr geht es ihm darum „den Diskurs […] in sich selbst nach seinen Formationsregeln [zu] befrag[en]“ (Foucault 1981/2013: 115). Es geht ihm um die Bedeutung, die die Äußerungen einst einnahmen, die Bedingungen, unter denen sie zustande kommen, wie sie mit anderen Wissensabschnitten korrelieren und welche Äußerungen sie ausschließen (vgl. ebd.: 43). Es geht ihm um die Diskursregeln (vgl. Keller 2011: 228). Dies führt zur dritten Diskursdefinition von Foucault, bei der er Diskurse „schließlich als [eine] regulierte Praxis“ definiert (ebd.: 116). Je nach Epoche, nach Kulturkreis und sozialem Feld unterliegen Aussagen „einer völlig anderen Distribution, Aufteilung und Charakterisierung“ (vgl. ebd.: 35). Wissen hat also ein System und dieses System zu entschlüsseln, wäre die Aufgabe einer Diskursanalyse:
Was aber, wenn empirisches Wissen zu einer gegebenen Zeit und innerhalb einer gegebenen Kultur wirklich eine wohldefinierte Regelmäßigkeit besäße? […] Wenn Irrtümer (und Wahrheiten), die Anwendung alter Überzeugungen, einschließlich nicht nur wirklicher Enthüllungen, sondern auch der simpelsten Begriffe in einem gegebenen Augenblick den Gesetzen eines bestimmten Wissenscode gehorchten? Kurz, wenn die Geschichte des nichtformalen Wissens selbst ein System hätte? (Foucault 1974/2012: 9f.).
So kann eine Aussage je nach Kontext (Zeit, Raum, Wissensstand, etc.) eine andere Bedeutung erhalten:
Diese Gesamtheit von Aussagen ist weit davon entfernt, sich auf ein einziges Objekt zu beziehen, das ein für allemal gebildet ist […] (Foucault 1981/2013: 49).
Um das Wissen zu einem bestimmten Thema zu erschließen, muss nicht unbedingt nur die Sprache untersucht werden. Es geht auch um die regulierte Praxis des Handelns, darum diese Regeln sichtbar zu machen. Dennoch ist die Analyse von sprachlichen Äußerungen dabei aber der einfachste und offensichtlichste Weg. Die Methode, um dieses Wissen, um Denkmuster in Diskursgemeinschaften, auf verschiedenen Diskursebenen, zu erschließen, ist die archäologische „Wiederherstellung [des] historischen Diskurses“ (ebd.: 15). Man muss das „Feld historischer Bestimmungen durchlaufen“, sagt Foucault (1968/2001: 923), d.h. sich die Aussagen in einer Epoche ansehen und analysieren, welche Wissenssegmente bei gewissen Themen wirksam werden. Man muss die „diskursiven Regelmäßigkeiten“ wiederherstellen, das „Spiel der Regeln“ erschließen, „die in einer Kultur das Auftreten und das Verschwinden von Aussagen, ihr kurzes Überdauern und ihre Auslöschung, ihre paradoxe Existenz als Ereignisse und als Dinge bestimmen“ (ebd.: 902).
2.3 Äußerungen, Aussagen, Mentalitäten
„Wir müssen uns nicht einbilden, dass uns die Welt ein lesbares Gesicht zuwendet, welches wir nur zu entziffern haben“ (Foucault 1974/2007: 34).
Mit Foucault kann davon ausgegangen werden, dass ein als ‚Diskurs über die deutsche Sprache in Luxemburg’ re-konstituiertes Formationssystem, Einblicke in das ‚Spiel der Regeln’, in die Mentalitäten, in die Wissenssegmente verschafft, die in dieser Diskursgemeinschaft darüber befanden und befinden, welche Bedeutung der deutschen Sprache in verschiedenen Teilbereichen der luxemburgischen Gesellschaft zugestanden wird und über die Bedeutung und Funktionen von Sprache(n) entscheiden. Dieses Formationssystem, das man sich als „Fluss von Wissen durch die Zeit“ vorstellen kann, wird nur über seine Spuren, über die Äußerungen der jeweiligen Diskursteilnehmer, für eine Analyse zugänglich. Selbstverständlich umfasst es mehr als sprachliche Äußerungen und mehr als solche Äußerungen, in denen es explizit um die deutsche Sprache in Luxemburg geht. Denn Sprache hat nicht nur dort Bedeutung oder keine Bedeutung, wo man sich explizit auf sie bezieht. Ein erster Schritt wird darin bestehen, sämtlichen Hinweisen nachzugehen, die Informationen über dieses Mentalitätenwissen liefern, das bestimmt in welcher Sprache vorzugsweise geredet wird, welches Sprachwissen gefordert ist und welche Denkmuster an Sprache geknüpft werden.
Wer die Wissenssegmente aufspüren wolle, die über ein bestimmtes Thema in einer gegebenen Gesellschaft bestünden, müsse den Diskurs begreifen als das, was er sei, nämlich eine Menge von verstreuten Ereignissen, so Foucault (vgl. ebd.: 894). Ereignisse sind hier ganz allgemein Tatsachen, die ihren Ausdruck in Äußerungen finden (vgl. Jäger/Zimmermann 2010: 30). Die Unterscheidung zwischen Äußerungen (énonciations) und Aussagen (énoncés) ist bei Foucault zentral und wichtig für die methodische Vorgehensweise in diesem Buch.
Die Äußerung ist ein einmaliger Vorgang, der sich nicht wiederholt. Es ist ein Geschehnis mit spezifischen räumlichen, zeitlichen und personalen Koordinaten (vgl. Foucault 1981/2013: 148; Maingueneau 2000: 15). Wenn sich sprachliche Äußerungen, die im Geflecht diskursiver Beziehungen1 fallen, einer besonderen Funktion zuordnen lassen, und dementsprechend für die Wissensordnung eines Diskurses relevant werden, dann erlauben sie als sprachliche Manifestation Rückschlüsse auf die Aussagen, bzw. Wissenssegmente, ebendieses Diskurses:
Ganz allgemein kann man sagen, dass eine Sequenz von sprachlichen Elementen eine Aussage nur dann ist, wenn sie in ein Aussagefeld eingetaucht ist, wo sie dann als ein besonderes Element erscheint (Foucault 1981/2013: 144; eigene Hervorh.).
Keller (2011: 234) definiert die Aussage in Anlehnung an Foucault als „der typisierbare und typische Gehalt einer konkreten Äußerung bzw. einzelner darin enthaltener Sprachsequenzen, der sich in zahlreichen verstreuten Äußerungen rekonstruieren lässt“. Die Aussage ist gewissermaßen die Quintessenz, die in der Äußerung, dem Satz, Satzteil, Text, Textteil, in den Textbeziehungen, im Wort stecken kann, hinter ihnen waltet und sie verwaltet – kurz die Funktion(-en), die die sprachlichen Einheiten übernehmen (vgl. Busse 2013: 164).
Es handelt sich weniger um […] einen auf einer bestimmten Ebene der Analyse feststellbaren Ausschnitt, es handelt sich vielmehr um eine Funktion, die in Beziehung zu diesen verschiedenen Einheiten sich vertikal auswirkt und die von einer Serie von Zeichen zu sagen gestattet, ob sie darin vorhanden sind oder nicht. […] [S]ie [Anm. die Aussage] ist eine Existenzfunktion, die den Zeichen eigen ist und von der ausgehend man dann durch die Analyse sagen kann, ob sie einen ‚Sinn ergeben’ oder nicht, gemäß welcher Regel sie aufeinanderfolgen und nebeneinanderstehen, wovon sie Zeichen sind und welche Art von Akt sich durch ihre (mündliche oder schriftliche) Formulierung bewirkt findet. Man braucht also nicht zu staunen, dass man für die Aussage keine strukturellen Einheitskriterien gefunden hat. Das liegt daran, dass sie in sich selbst keine Einheit ist, sondern eine Funktion, die ein Gebiet von Strukturen und möglichen Einheiten durchkreuzt und sie mit konkreten Inhalten in der Zeit und im Raum erscheinen lässt (Foucault 1981/2013: 126; eigene Hervorh.).
Foucault bezeichnet die Aussagen auch als die „Atome des Diskurses“ (Foucault 1969/2013: 117). Sie sind die diskursbestimmenden und handlungssteuernden Wissenssegmente eines bestimmten Diskurses und werden analysierbar, wenn sie in Form von mündlichen oder schriftlichen Formulierungen zu einer Äußerung werden:
Die Aussagenanalyse kann niemals sich auf etwas anderes beziehen als auf gesagte Dinge, auf Sätze, die wirklich ausgesprochen oder geschrieben worden sind, auf Bedeutungselemente, die geschrieben oder artikuliert worden sind – und genauer auf jene Besonderheit, die sie existieren lässt […] (Foucault 1981/2013: 159).
Die Diskursanalyse analysiert dementsprechend die Möglichkeitsbedingungen für Äußerungen und deren Gestalt. Sie untersucht, warum etwas genau so und nicht anders gesagt wurde, welche Funktion eine Äußerung hat, welchem Aussagesystem sie gehorcht und was sie für den Diskurs bzw. für das Wissen über ein Thema bedeutet. Damit gelangt die Analyse zu den zentralen Aussagen, zu den Wissens- und Denkmustern, eines Diskurses. Man kann in Bezug auf Aussagen durchaus von Denk- und Handlungsmustern sprechen, schließlich betont Foucault, dass ein Kennzeichen der Aussage ihre Wiederholbarkeit sei (vgl. ebd.: 149). Wenn eine Aussage einen bestimmten Diskurs kennzeichnet, wird sie reproduziert werden. Foucaults Aussagenbegriff erscheint Angermüller (2007: 65) wie „eine Art Zwitter von Sprechakt und wiederholbarem Zeichen zu sein.“ Einerseits wird der Handlungscharakter der Aussage betont: die Aussage ist ein Fakt, hinterlässt Spuren im Diskurs und bestimmt das kollektive Wissen im Diskurs nachhaltig, konstituiert es und schreibt es weiter. Andererseits wird die Beständigkeit von Aussagen herausgestellt: