Deutsch in Luxemburg. Fabienne Scheer

Deutsch in Luxemburg - Fabienne Scheer


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Ansammlung von Wissen zu einem bestimmten Thema.4

      Es ziehen sich die Elemente des Diskurses als Themen durch die Texte (Foucault 1967: 795).

      Indem man Diskurse in Themen5 unterteilt, schafft man eine gewisse Ordnung. So lässt sich etwa vom Einwanderungsdiskurs, vom Diskurs über Sprache und dem Diskurs über Bildung sprechen. Der Einwanderungsdiskurs kann sich bei näherer Betrachtung auch zugleich als Bestandteil des Diskurses über Sprache erweisen, der Diskurs über Bildung zugleich Teil des Diskurses über Sprache oder über Einwanderung sein. Die Benennung von Diskursen ist also, auch wenn sie dem allgemeinen Konsens entsprechen, nie frei von Willkür.6 Die „Landschaften der Diskurse […]“, die semantischen Beziehungen zwischen Aussagen, kann man sich wie ein in sich verwobenes Netz vorstellen (Jäger/Zimmermann 2010: 61). Diskurse „überschneiden [sich] und manchmal berühren [sie sich]“, es gibt aber auch welche, „die einander […] ignorieren oder ausschließen“, sagt Foucault (1974/1993: 34). Jung (1996) veranschaulicht den Versuch, Ordnung in diese wirre Unordnung der Diskurse zu bringen, anhand des nachstehenden Würfelmodells und einer sich diachron und beständig synchron weiterentwickelnden Text-Netz-Struktur.

      

Abbildung 1:

      Diskurs als Textkorpus (Quelle: Wengeler/Jung 1999: 147)

      

Abbildung 2:

      Diskurs als Korpus themengebundener Aussagen A1 – An (Quelle: ebd.: 148)

      Verschiedene Diskursschulen haben, in Anlehnung an Foucaults Aussage vom „endlosen Weiterwuchern der Diskurse“, terminologische Vorschläge gemacht, um die prinzipielle Struktur und die Verflechtung von Diskursthemen zu entwirren und analysierbar zu machen (vgl. Foucault 1974/2007: 10). Die vorliegende Arbeit orientiert sich bei der Einteilung des Diskurses über die deutsche Sprache in Luxemburg an den Terminologien von Matthias Jung und Siegfried Jäger. Ersterer ist der sogenannten Düsseldorfer Schule für Diskurslinguistik zuzuordnen, letzterer der Duisburger Schule zur Kritischen Diskursanalyse. Matthias Jung unterscheidet zwischen einzelnen vom Forscher jeweils zu definierenden thematischen Diskursen (D1, D2, … Dn). Er nennt beispielsweise den frauenpolitischen Diskurs, den wirtschaftspolitischen Diskurs und den umweltpolitischen Diskurs (vgl. Jung 1996: 457). Dieser Gesamtdiskurs kann durch ein übergreifendes Thema und verschiedene Parameter (Zeit, Raum, etc.) von anderen Diskursen abgegrenzt werden. Anschließend besteht die Möglichkeit, den Diskurs noch einmal vertikal in mehrere, inhaltlich voneinander unterscheidbare, Teildiskurse zu unterteilen. Als Beispiel nennt Jung die weitere Unterteilung des frauenpolitischen Diskurses in die Teildiskurse Abtreibungsdiskurs, Gleichberechtigungsdiskurs etc. (vgl. ebd.).

      Um Ähnliches zu benennen, benutzt Jäger eine andere Terminologie. Er bezeichnet „thematisch einheitliche Diskursverläufe […] mit einer Vielzahl von Unterthemen bzw. bestehend aus unterschiedlichen Diskursfragmenten […]” als Diskursstränge (vgl. Jäger/Zimmermann 2010: 16). In einem Teildiskurs/Diskursstrang kommt es immer wieder zu neuen Aussagen. Damit verändert sich auch das Wissen im Diskurs. Einstellungen verschieben sich. Es werden andere Bezüge zu thematisch entfernten Teildiskursen/Diskurs­strängen hergestellt (vgl. hierzu Foucault 1974/2007: 14f). So steht das ganze Diskursgeflecht in einer komplexen Interdependenz, die mit Jäger als Diskurs(strang)verschränkung bezeichnet werden kann.

      Matthias Jung und Siegfried Jäger weisen darauf hin, dass Diskurse bzw. Teildiskurse auf verschiedenen Ebenen produziert, selektiert und organisiert werden. Jung (1996) spricht dabei von unterschiedlichen Kommunikationsbereichen, die den Diskurs noch einmal auf horizontaler Ebene gliedern; Jäger (2012) von unterschiedlichen Diskursebenen, auf denen die Diskursthemen verhandelt werden. Nicht alle Kommunikationsbereiche, in denen ein Diskurs geführt wird (Massenmedien, Politik, Fachwissenschaft, …) sind „in gleicher Weise offen und zugänglich“, so Foucault (1974/1993: 26). Nur wer „gewissen Erfordernissen genüg[e]“, könne in die Ordnung dieser Spezialdiskurse eintreten (vgl. ebd.). Sie unterscheiden sich sowohl in der Art wie sie den Gegenstand konstituieren, als auch mit Blick auf die jeweiligen Formationsregeln (vgl. Keller 2011: 231). Die Grenzen zwischen den Diskursebenen sind dabei aber fließend. Themen der Politik werden von den Medien aufgegriffen und in der Politik werden Themen verhandelt, die zuerst in den Medien debattiert wurden (vgl. Jäger/Zimmermann 2010: 38).

      Jäger und Zimmermann definieren als Diskursgemeinschaft die Gruppe von Menschen, die „in der Anerkennung und Befolgung relativ homogener Aussagensysteme […] übereinstimmt“ (ebd.: 40). In der Regel gehört man mehreren Diskursgemeinschaften an.7

      Jung (1996: 457) erweitert seine Untersuchungsterminologie um eine dritte Ebene, den Parameter Redekonstellation bzw. Textsorte. Die Aussagen des Diskurses können über diverse Textsorten und Redebeiträge erschlossen werden. Es müssen nicht einmal zwingend gesprochene oder geschriebene Aussagen sein.8 In diesem Sinne setzt sich auch das Untersuchungskorpus der vorliegenden Arbeit aus unterschiedlichen Textsorten zusammen (Pressetexte, Fragebögen, Interviews, Statistiken, wissenschaftliche Fachliteratur, Werbeanzeigen etc.), woraus sich zugleich Einblicke in unterschiedliche Diskursebenen ergeben.9

      Bei der Wiederherstellung von Wissensausschnitten ist Foucault „nicht auf der Suche nach“

      dem feierlichen ersten Augenblick, von dem ab beispielsweise die gesamte abendländische Mathematik möglich gewesen ist […]. Ich suche nicht nach geheimen, verborgenen Beziehungen, die schweigsamer oder grundlegender wären als das menschliche Bewusstsein (Foucault 1968/2001: 981).

      Im Gegenteil ich versuche die Beziehungen zu definieren, die an der Oberfläche der Diskurse liegen (ebd.: 982).

      Es geht bei der Beobachtung von Diskursen um die Art und Weise wie das Wissen zu einem bestimmten Thema im Diskurs praktiziert wird, sich durch den Diskurs konstituiert, wie es geformt und in Bezug zueinander gesetzt wird. Es geht darum, zu analysieren, worüber in einem Kollektiv gesprochen wird, was in einer Gesellschaft sagbar ist, d.h. welche Diskurspositionen akzeptiert sind und wie diese sich verändern (vgl. Wengeler 2013: 148). Foucault führt aus, was er unter wissen versteht:

      Ein Wissen ist das, wovon man in einer diskursiven Praxis sprechen kann, die dadurch spezifiziert wird: der durch die verschiedenen Gegenstände […] konstituierte Bereich […]; ein Wissen ist auch der Raum, in dem das Subjekt die Stellung einnehmen kann, um von Gegenständen zu sprechen, mit denen es im Diskurs zu tun hat […]; ein Wissen ist auch ein Feld von Koordination und Subordination der Aussagen, wo die Begriffe erscheinen, bestimmt, angewandt und verändert werden […]; schließlich definiert sich ein Wissen durch die Möglichkeiten der Benutzung und der Aneignung, die vom Diskurs geboten werden […]. […] es gibt kein Wissen, ohne definierte diskursive Praxis; und jede diskursive Praxis kann durch das Wissen bestimmt werden, das sie formiert (Foucault 1981/2013: 259f).

      Der Diskurs zeigt also das Regelwissen in einer bestimmten Diskursgemeinschaft auf, das tradiert wird und sich laufend verändert. Aussagen stehen in Bezug zu vergangenen Aussagen, bauen auf vorhandenem Wissen auf und verändern vorhandenes Wissen. Die thematische Diskursprogression kann untersucht werden und zeigen, wie der Diskurs voranschreitet, wie sich die Kenntnis der Regeln des Diskurses zu einem bestimmten Zeitpunkt in bestimmten Situationen auswirkt und wann sich das Wissen im Diskurs verändert (vgl. Busch 2007: 143):

      Es gibt gesellschaftliche Anlässe, in denen bestimmte Worte besser nicht ausgesprochen und bestimmte Themen besser nicht angeschnitten werden sollten, es gibt gewisse Meinungen, die zu äußern man besser unterlässt, möchte man sich von den Umstehenden keine verwunderten Seitenblicke einfangen, und es gibt immer wieder Gelegenheiten, in denen man die Sprache wechseln muss […], weil man mit einem Arzt anders spricht als mit dem Kind aus der Nachbarschaft oder mit einem Fahrkartenkontrolleur. Mit anderen Worten: Es gibt Regeln, die darüber befinden, was in einem bestimmten Zusammenhang als sprachlich passend angesehen wird und was nicht. […] (Landwehr 2006: 107).


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