Deutsch in Luxemburg. Fabienne Scheer
auseinandersetzen und sich auf die allgemeine Sprachsituation im Land beziehen, werden zu einem Untersuchungskorpus zusammengefügt, das Schlussfolgerungen zum synchronen und diachronen Stellenwert der deutschen Sprache in Luxemburg erlaubt. Auf Basis dieses ermittelten Korpus geht es darum, die in den gesammelten Texten wiederkehrenden Aussagen oder auch Wissenssegmente zu ermitteln und zu beschreiben.
Es war zunächst vorgesehen über den Zeitraum Januar 1984 (Verabschiedung des Sprachengesetzes in Luxemburg) bis Dezember 2012 (Februar 2012 war Projektbeginn) die Ausgaben des Luxemburger Worts, als Tageszeitung mit der größten Leserschaft in Luxemburg, des Lëtzebuerger Lands als politisch weitestgehend unabhängige Wochenzeitung sowie des Le Jeudi als französischsprachige Wochenzeitung, zu durchsuchen.1 Von vornherein war klar, dass die Texte, die später analysiert werden sollten, in unterschiedlichen Sprachen verfasst sein würden.2 Mitte März 2012 begann ich mit der Sichtung des Luxemburger Worts (LW) im Archiv des Herausgebers der Zeitung Saint-Paul. Ich blätterte alle gebundenen Papierausgaben dieser Zeitung von Januar 1983 bis Dezember 1999 durch. Um die Diskussionen im Vorfeld des Sprachengesetzes zu berücksichtigen, erwies es sich als sinnvoll die Zeitungen aus dem Jahr 1983 mit zu betrachten. Alle relevanten Artikel wurden in einer Tabelle notiert. Die zurückbehaltenen LW-Artikel der Jahre 1983 bis 1999 habe ich dann vor Ort am Mikrofilmlesegerät kopiert. Alle LW-Ausgaben, die ab dem Jahr 2000 erschienen sind, sind digitalisiert und in einer elektronischen Datenbank bei Saint-Paul gespeichert. Die Datenbank kann nach bestimmten Kriterien durchsucht werden. Die Durchsicht der Jahre 2000 bis 2012 war somit schnell beendet. Eine Liste mit relevanten Stichwörtern (deutschen und französischen) wurde für die Suche in der Datenbank aufgestellt. Auf die Sichtung des Luxemburger Worts folgte die des Lëtzebuerger Lands. Zunächst wurden die Jahre 1983 bis 1999 in den gebundenen Papierausgaben nach relevanten Artikeln durchsucht. Es war nicht möglich sämtliche zurückbehaltenen Artikel am Mikrofilmlesegerät zu kopieren, da die Wochenzeitung im Archiv von Saint-Paul nicht vollständig auf Mikrofilm zur Verfügung stand.3 So entschied ich alle bis 1999 zurückbehaltenen Artikel aus den gebundenen Ausgaben abzufotografieren, was die Lesbarkeit der Artikel deutlich reduzierte. Die restlichen Artikel aus den Publikationsjahren 2000–2012 wurden über das Onlinearchiv des Luxemburger Lands aufgefunden und ausgedruckt. Die Wochenzeitung Le jeudi (Verlagshaus Editpress) war weder bei Saint-Paul noch bei ihrem Herausgeber in Esch-Alzette auf Mikrofilm verfügbar und musste so komplett in den gebundenen Ausgaben durchsucht und relevante Artikel anschließend abfotografiert werden. Die Zusammenstellung des Pressekorpus konnte im Dezember 2012 abgeschlossen werden. Das gesamte Korpusmaterial wurde sodann von mir thematisch und chronologisch nach Themen in Teildiskurse geordnet.
Auch wenn das Jahr 2012 anfangs als provisorischer Abschluss der Materialsuche angesetzt worden war, d.h. Meldungen und Ereignisse, die nach 2012 medial vermeldet und verarbeitet wurden, nicht mehr systematisch in das Korpus aufgenommen wurden, hatte ich stets die Tagesaktualität im Blick. Temporäre Schlussfolgerungen veränderten sich durch diese. Die beständige Erweiterung brachte mit sich, dass das Medienkorpus zwar auf den drei Zeitungen Luxemburger Wort, Lëtzebuerger Land und Le jeudi basierte, jedoch schlussendlich Texte aus diversen Luxemburger Medienorganen (wie etwa RTL, L’essentiel und Tageblatt) beinhaltete. Die Untersuchung fußt am Ende auf einem Medienkorpus von 835 Texten – neben Pressetexten zählen dazu auch Onlineberichte und Radiobeiträge. Das Korpus deckt den Zeitraum 1983–2015 ab. Es dient der Arbeit in weiten Teilen als Hintergrundinformation, konturiert die Arbeit und stellt Ereignisse aus über 30 Jahren wieder her. Verglichen mit der Menge an Artikeln, die sich im Korpus befanden, werden in der Publikation schlussendlich nur wenige direkt zitiert. Die zitierten Presseartikel stehen immer exemplarisch also stellvertretend für Meinungen, hier Diskursaussagen, die als Äußerungen in vielen Artikeln auftauchten und die sich bei der Durchsichtung und Lektüre des Pressekorpus als den Diskurs bestimmend erwiesen haben.
1.2 Erweiterung des Materials um Experteninterviews
Nach den ersten Recherchewochen im Gaspericher Archiv zeigte sich, dass eine Analyse, die sich einzig auf die Untersuchung von Medientexten beschränkt, der Zielsetzung der Arbeit nicht gerecht wird: In den Zeitungen tauchen nur bestimmte Teildiskurse und Argumentationsmuster auf, die es zwar ermöglichen Bewertungen der deutschen Sprache in Luxemburg zu entschlüsseln und erste Vermutungen über die Denkmuster der Gesamtgesellschaft anzustellen, die allerdings gleichermaßen vieles im Verborgenen lassen. Dazu gehört beispielsweise eine Antwort auf die Frage, inwieweit Bewertungen einer Sprache tatsächlich Auswirkungen auf deren Positionen und Funktionen innerhalb der Gesellschaft nehmen. Ferner wird im Mediendiskurs ein ‚Domänenwissen’ der Luxemburger Bevölkerung verhandelt, das in vielen Fällen schon nicht mehr dem faktischen Sprachhandeln auf den verschiedenen sozialen Feldern entspricht. Um das Mentalitätenwissen zu untersuchen – nicht nur das Arrangement von Wissen, sondern auch das faktische Sprachverhalten – ist es notwendig, sich den ‚Praktikern’ auf diesen sozialen Feldern weiter anzunähern.1 Ergänzend zum Medienkorpus wurden daher auch Experteninterviews durchgeführt, die die Befunde der Arbeit näher an die Praxis des Sprachhandelns heranrückten. Wissenssegmente werden folglich nicht mehr nur aus der Perspektive der Medien analysiert, sondern unter Beteiligung derjenigen, die sich auf den einzelnen Feldern bewegen, über die diskutiert wird. Die Experten sind ‚Zeugen’ oder in Anlehnung an Foucault ‚Praktiker’ der uns interessierenden Prozesse (vgl. Gläser/Laudel 2010: 12). Der Begriff Experte beschreibt nach Gläser/Laudel (ebd.) „die spezifische Rolle des Interviewpartners als Quelle von Spezialwissen über die zu erforschenden sozialen Sachverhalte. Experteninterviews sind eine Methode dieses Wissen zu erschließen.“ Menschen, die aufgrund ihres Berufsfeldes direkt oder indirekt mit der luxemburgischen Sprachensituation in Berührung kommen und auf ihrem Gebiet den Status des ‚Experten’ verdienen, gewährten mir Einblicke in ihren Arbeitsalltag und halfen somit der Beantwortung der Forschungsfrage näherzukommen. Zum Teil arbeiten sie in herausgehobenen Positionen und haben im Land einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht, letztlich war es für ihre Auswahl aber nur wichtig, dass sie über ein fundiertes Wissen auf ihrem Gebiet verfügen und mich daher in die Sprachverhaltensstrategien auf ihren Feldern einweihen konnten (vgl. ebd.: 13). Insgesamt habe ich 22 Experteninterviews in Form von Leitfadeninterviews durchgeführt. Die Leitfäden wurden von mir für das jeweilige thematische Feld erarbeitet (Bildung, Immigration, Sprach(en)politik, Medien, Literatur, Öffentlichkeitsarbeit …) und auf den Interviewpartner individuell zugeschnitten. Um das Interview so nah wie möglich an einem natürlichen Gespräch zu halten, wurden die Fragen als Richtschnur betrachtet und in der Reihenfolge gestellt, wie es der Verlauf des Gesprächs ergab (vgl. ebd.: 42). Manche kamen auch erst im Gespräch auf. Sämtliche Gespräche, bis auf drei, die auf Deutsch geführt wurden, fanden auf Luxemburgisch statt, weil davon ausgegangen wurde, dass Befragte in der Sprache, in der sie sich am wohlsten fühlen, am offensten sind.
Die Interviewpartner wurden bei der ersten Kontaktaufnahme über die Ziele der Untersuchung und ihre mögliche Rolle als Experten für ihre berufliche Domäne aufgeklärt. Während des Interviews, das in der Regel an ihrem Arbeitsplatz stattfand, habe ich sie noch einmal über das wissenschaftliche Themenspektrum meines Forschungsprojekts in Kenntnis gesetzt. Erläuterungen zum Ablauf des Interviews wurden zu Beginn gegeben. Die Gespräche wurden unter Einwilligung der Beteiligten aufgezeichnet.2 Da sie als domain experts fungierten, wollte ich ihre Namen nicht anonymisieren. Nur im Bereich des Bildungsdiskurses wurde vereinzelt auf die namentliche Nennung der Lehrkräfte verzichtet.3 Daneben wurden Personen, von denen nur wenige Informationen benötigt wurden, aus Zeitgründen telefonisch oder per Mail befragt. Eine zusätzliche und umfangreiche Befragung erfolgte mithilfe eines Fragebogens zum Themenkomplex ‚Politische Kommunikation auf der kommunalen Ebene’. Er wurde von mir an eine Auswahl der, zu diesem Zeitpunkt, 106 Gemeinden Luxemburgs verschickt. Die Antworten aus 13 Gemeinden flossen schlussendlich in die Analyse mit ein. Die Teildiskurse, die ich anhand des Medienkorpus provisorisch festgelegt hatte, zeigten zu welchen Themenkomplexen Experten befragt werden mussten.
Themenkomplexe/Teildiskurse | Expertengespräche mit |
Deutschunterricht im Sekundarunterricht | Romain Dockendorf. Deutschlehrer am Lycée classique de Diekirch (LCD)Marie-Rose Wirtz. Deutschlehrerin am LCD, langjährige |