Deutsch in Luxemburg. Fabienne Scheer

Deutsch in Luxemburg - Fabienne Scheer


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Abstufungen auf (vgl. Koch/Oesterreicher 1985: 17). Am äußersten Pol konzeptioneller Mündlichkeit liegt etwa das Alltagsgespräch unter Freunden, am äußersten Pol konzeptioneller Schriftlichkeit zum Beispiel der Gesetzestext, dazwischen verschiedene Text-/Gesprächssorten (vgl. Gilles 2011: 50). Kommunikationssituationen können wie folgt gestaltet sein:

       Medial-mündlich und konzeptionell-mündlich (z.B. Telefongespräch unter Freunden)

       Medial-mündlich aber konzeptionell-schriftlich (z.B. Vorlesung an der Universität)

       Medial-schriftlich und konzeptionell-schriftlich (z.B. Bewerbungsschreiben)

       Medial-schriftlich aber konzeptionell-mündlich (z.B. Grußkarte aus dem Urlaub)(vgl. ebd.: 48).

      Für diese verschiedenen Kommunikationssituationen kommen in Luxemburg unterschiedliche Sprachen/Varietäten infrage. Die Sprachwahlentscheidung fällt abhängig von der Sprecherkompetenz, der Sprachbiographie und basierend auf dem Domänenwissen, das auch Wissen über die Sprachkompetenzen möglicher Rezipienten beinhaltet.

      Nähe-Sprache, Distanz-Sprache

      Ein weiteres Begriffspaar, das Koch und Oesterreicher (1985) eingeführt haben, ist das der Sprache der Nähe und der Sprache der Distanz. Die Endpole konzeptionell-schriftlich und konzeptionell-mündlich wurden mit Hilfe dieser Begriffe markiert (vgl. ebd.). Für konzeptionelle Schriftlichkeit sprechen die Kommunikationsbedingungen ‚Monolog’, ‚Fremdheit der (Gesprächs-)Partner’, ‚raumzeitliche Trennung’, ‚Themenfixierung’, ‚Öffentlichkeit’, ‚Reflektiertheit’, ‚Situationsentbindung’, ‚Objektivität’ und die Versprachlichungsstrategien ‚Endgültigkeit’, ‚Informationsdichte’, ‚Kompaktheit’, ‚Elaboriertheit’, ‚Planung’, ‚Komplexität’ etc. (vgl. Koch/Oesterreicher 1985: 23).

      Den Mündlichkeitspol kennzeichnen demgegenüber die Kommunikationsbedingungen ‚raum-zeitliche Nähe’, ‚Privatheit’, ‚Vertrautheit’, ‚Emotionalität’, ‚Situations- und Handlungseinbindung’, ‚kommunikative Kooperation’, ‚Spontaneität’ etc. (vgl. Koch/Oesterreicher 1994: 588). Folgende Versprachlichungsstrategien kennzeichnen den Nähebereich: ‚Prozesshaftigkeit’, ‚Vorläufigkeit’, ‚geringere Informationsdichte’, ‚geringe Kompaktheit’, ‚geringe Elaboriertheit’, ‚geringere Planung’, ‚geringere Komplexität’ etc. (vgl. Koch/Oesterreicher 1985: 23). In der vorliegenden Arbeit wird das Begriffspaar Sprache-der-Nähe/Sprache-der-Distanz vor allem metaphorisch verwendet unter dem Teilaspekt der sozialen, emotionalen Nähe und Vertrautheit (vgl. Koch/Oesterreicher 1994: 588). Es wird deutlich werden, dass Sprachen in bestimmten Situationen als vertraute Nähesprachen eingestuft werden und in anderen Situationen aus bestimmten Gründen emotional in die Distanz rücken.

      3 Typologisierung von Sprachgruppen

      „Immigrants, of course, arrive speaking their native languages, thus adding to the host nation’s multilingualism“, so Fasold (2004: 9). Jede Migrantengruppe bringt ihre Sprache(n) in die Zielgemeinschaft mit. Durch Migration formieren sich neue Sprechergruppen, die sich an die dominierende Sprachgemeinschaft und an deren Muster, zumindest so weit wie im Alltag erforderlich, anzupassen versuchen. So erfolgt zum einen eine Anpassung des Sprachwissens der Zuwanderer an das Sprachverhalten der Zielpopulation und zum anderen verändern die Zuwanderer durch die mitgebrachten Sprachen auch die relativ stabile Sprachsituation im Zielland. Bereits in der ersten Baleine-Studie von 1998 stellte sich nach der Auswertung von Umfrageergebnissen die Frage, ob „[f]ace à la présence accrue de francophones et à la montée du français comme langue véhiculaire de la société luxembourgeoise, […] deux communautés linguistiques distinctes étaient en train de naître“ (Fehlen 2009:218). Von zwei verschiedenen Sprachgemeinschaften in Luxemburg zu sprechen, erweckt die Vorstellung von zwei oder mehr Parallelgesellschaften, die nebeneinander existieren und ihre eigenen Sprachgewohnheiten ausbilden oder fortführen. In der 2009 publizierten Folgestudie BaleineBis wird mit Eindrücken einer gesellschaftlichen Segregation aufgeräumt:

      Même si le Luxembourg forme, d’un point de vue économique et démographique, un bloc de moins en moins homogène, sa société ne s’est pas scindée en deux sociétés parallèles, ce qui n’empêche que les mêmes phantasmes existent toujours (ebd. : 219).

      Nichtsdestotrotz treten hier Menschen mit unterschiedlichen Sprachhintergründen in Kontakt und diese Sprachkontakte wirken sich auf die gesamte Sprachensituation aus. Fishman (1964: 32) betont etwa in seinem Aufsatz Language Maintenance and Shift, dass

       The basic datum of the study of language maintenance and language shift is that two linguistically distinguishable populations are in contact and that there are demonstrable consequences of this contact with respect to habitual language use.

      Dittmar (1997: 135) weist darauf hin, dass

      Sprecher […] mehreren Sprachgemeinschaften angehören [und deshalb] […] zwischen primärer, sekundärer etc. Zugehörigkeit zu unterscheiden [sei]. Die in einer Sprachgemeinschaft geltenden Synchronisierungen von sozialen Mehrfachidentitäten und sprachlichem Repertoire müssen erkannt werden.

      Ein Sprecher kann sowohl über Kenntnisse des Lëtzebuergeschen, des Deutschen und des Französischen verfügen und diese so situationsadäquat und mit einer Intonation anwenden, dass man ihn für einen Luxemburger hält, als auch ein Portugiesisch beherrschen, das ihn als Teil der portugiesischen Gemeinschaft kennzeichnet. Er kann daher mehreren Sprachgemeinschaften zugerechnet werden. Den Terminus der Sprachgemeinschaft im Plural zu verwenden und von unterschiedlichen Sprachgemeinschaften (speech communities) zu sprechen, ist in der Soziolinguistik nicht unumstritten. Ich möchte also stattdessen von einer großen luxemburgischen Sprachgemeinschaft ausgehen, die in sich äußerst heterogen ist, aber zugleich einige gemeinsame Strategien entwickelt hat, um miteinander zu kommunizieren. Dort, wo es möglich sein wird, werde ich mit dem Begriff der Sprachgruppe arbeiten, um Unterscheidungen im Sprachwissen und Sprachverhalten herausstellen zu können, ohne jedoch auch hier eine vollkommene Homogenität im Sprachverhalten einer Sprachgruppe zu unterstellen. Es wird davon ausgegangen, dass unterschiedliche Sprachgruppen in Luxemburg agieren, die sich typologisieren lassen. Wie diese sich verhalten, ist nicht immer anhand ihrer Staatsangehörigkeit zu erklären. Meistens kann das Sprachverhalten besser über die jeweilige(n) Familiensprache(n) erklärt werden und damit, ob die Schulausbildung und das Sprachwissen in Luxemburg oder außerhalb Luxemburgs erworben wurden. Esmein (1998: 98) teilte die luxemburgische Bevölkerung gemäß ihres Sprachverhaltens in „deux ensembles sociaux polyglottes“ ein, „l’un germanophone et l’autre romanophone, avec des besoins distincts et qui ne prennent pas les langues du pays dans le même ordre.“ Gerald Stell (2006:37) fragte sich, ob:

      the main linguistic contrast in the country may perhaps be found in the coexistence of two types of diglossia. The first type of diglossia we are dealing with is an increasing cross-medial use of Luxembourgish as an in-group code among Luxembourgers with French still in use as a token of upper-class membership. The second type of diglossia is a French/Romane functional diglossia, increasingly practiced by the upcoming generations of Romanophone foreign residents.

      Bernard Esmein und Gerald Stell gehen beide davon aus, dass die meisten Sprecher in Luxemburg mehrsprachig, ihre sprachlichen Repertoires jedoch verschieden sind und sich dadurch auch ihr Sprachhandeln unterscheidet.1 Esmein (vgl. 1998: 98) gibt den Hinweis, dass die Sprecher je nachdem über welches Sprachrepertoire sie verfügen, die verschiedenen im Land gebräuchlichen Sprachen jeweils anders hierarchisieren. Aus diesem Hinweis ließe sich ableiten, dass die Sprecher, die über ein eher romanisch geprägtes Sprachrepertoire verfügen, den Stellenwert der deutschen Sprache im Land anders bewerten und folglich auch ein anderes Sprachverhalten zeigen als diejenigen, die zuhause Luxemburgisch sprechen und mit der deutschen Sprache, vielleicht als ‚Fernsehsprache’, aufgewachsen sind.

      EXKURS: Migrationsbewegungen


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