Camerarius Polyhistor. Группа авторов
Traxi noctu ait ille, molam.
Aspicit hos iudex, et, Quid contenditis? inquit,
Est genetrix vobis, praestet uterque cibum.
Ein Tauber hatte mit einem Tauben Streit angezettelt, diesen stand ein Richter bei, der beide an Taubheit noch einmal übertraf. Der erste hob an: „Mir wird schon den fünften Monat die Miete für das Haus geschuldet“: Jener sprach: „Ich habe des Nachts die Mühle bedient.“ Der Richter blickte sie an und sagte: „Was streitet ihr? Ihr habt eine Mutter, beide sollen ihr Speis und Trank geben.“
Es handelt sich um die Übersetzung eines Epigramms beziehungsweise einer Facetie aus der Anthologia Palatina (11, 251), die im griechischen Original folgendermaßen lautet:
Δυσκώφῳ δύσκωφος ἐκρίνετο, καὶ πολὺ μᾶλλον
ἦν ὁ κριτὴς τούτων τῶν δύο κωφότερος.
ὧν ὁ μὲν ἀντέλεγεν τὸ ἐνοίκιον αὐτὸν ὀφείλειν
μηνῶν πένθ’, ὁ δ’ ἔφη νυκτὸς ἀληλεκέναι.
ἐμβλέψας δ’ αὐτοῖς ὁ κριτὴς λέγει· „Ἐς τί μάχεσθε;
μήτηρ ἔσθ’ ὑμῶν· ἀμφότεροι τρέφετε.“
Jüngst prozessierte ein Tauber mit einem Tauben, doch fanden
sie einen Richter, der viel tauber als beide noch war.
Klagte der eine, ihm schulde sein Gegner fünf Monate Miete,
sagte der andre, des Nachts laufe sein Mühlenbetrieb.
Ernst sah der Richter sie an; dann sprach er: „Was zankt ihr? Sie ist nun
mal eure Mutter, ihr sorgt beide daher auch für sie.“1
Das Nikarchos zugeschriebene griechische Epigramm setzt ein unsinniges Aneinandervorbeireden in Szene. Eine jüngere Arbeit bemerkt dazu: „Im Epigramm wird der absurde dreifache Zusammenfall derselben Defizienz sukzessive akkumulierend durch dreimalige Wiederholung derselben Adj. anhand jeder einzelnen der beteiligten Personen betont. Der Effekt dieses Vorgehens ist, dass sich die Abnormität der Situation immer noch mehr erhöht und als Verdreifachung des Übels besonders deutlich eingehämmert wird.“2 Möglicherweise soll auch der Gleichklang der ersten Silbe von μηνῶν und μήτηρ an den Tonstellen der letzten beiden Pentameter das Missverständnis erklärlich machen. Camerarius hat in seiner Übersetzung die entscheidenden Wörter ebenfalls an die Tonstellen gesetzt: mensem, molam, cibum, jeweils an den Versenden. Hört man statt mensem das Wort mensam – was ja durch die Nasalierung leicht zu verwechseln ist, so könnte das Wortfeld „Essen“ den Irrtum des tauben Richters befördert haben.
Camerarius’ Übersetzung ist jedenfalls sehr gekonnt, da sie das Versmaß einhält, genauso lang wie das Original ist und sowohl zielsprachen- wie ausgangssprachenorientiert ist. Es existiert bereits eine ältere Übersetzung des Thomas Morus, die dieser als junger Mann angefertigt hat. Sie wird von ErasmusErasmus von Rotterdam, Desiderius in den Adagia zitiert (Nr. 2383, III, IV, 83):
Lis agitur, surdusque reus, surdus fuit actor,
Ipse tamen iudex surdus utroque magis.
Pro aedibus hic petit aes quinto iam mense peracto;
Ille refert: Tota nocte mihi acta mola est.
Aspicit hos iudex et: Quid contenditis, inquit,
An non utrique est mater? utrique alite.3
ErasmusErasmus von Rotterdam, Desiderius hatte das Sprichwort Surdaster cum surdastro litigabat zur Erläuterung angeführt: Cum res agitur inter undequaque ridiculos ac stultos.
Camerarius verwendet das Bild von der sinnfreien Kommunikation unter Schwerhörigen, um zu demonstrieren, welche Folgen das Fehlen einer gemeinsamen Fachsprache hat. Er bezeichnet die Unmöglichkeit der Verständigung als Inbegriff von barbaries. Dazu führt er aus, Barbarei bestehe in der Missachtung der natürlichen Anlage beziehungsweise Bestimmung des Menschen, und diese erfülle sich ihrerseits in der Denk-, Urteils- und Ausdrucksfähigkeit: Naturae barbaries intellegitur violatio aut neglectio eius, quod generi humano quasi ius quoddam illa sancivit, cogitandi prudenter, & eloquendi diserte, cum honestate et decoro (2). Dies, so Camerarius, entspreche der hominum forma ac species (2). Doch was versteht Camerarius unter einer angemessenen Ausdrucksfähigkeit? Es handelt sich um eine an antiken Vorbildern geschulte Sprache, die sich aber dennoch modernen Erfordernissen anpasst. Camerarius nimmt letztlich auf eine Debatte seiner Zeit Bezug, die, von PoggioBracciolini, Poggio Bracciolini angefacht, die Gemüter ungefähr ein Jahrhundert lang erhitzt hatte, nämlich die Frage des Ciceronianismus. Ganz offenkundig tritt Camerarius auch hier in die Fußstapfen des ErasmusErasmus von Rotterdam, Desiderius;4Erasmus von Rotterdam, Desiderius dieser war bekanntlich im Ciceronianus für eine gemäßigte, den Umständen angepasste CiceroCicero-Nachfolge eingetreten. Das aptum wurde zur entscheidenden Kategorie; der „bon usage“ bestimmte sich nicht nur durch die Tradition, sondern vor allem von der Funktion her. Dieselbe Haltung lässt auch Camerarius durchblicken. Nicht nur im Ton, sondern auch im Inhalt gibt er sich als ein zweiter ErasmusErasmus von Rotterdam, Desiderius.
Camerarius als Übersetzer
Camerarius sah das Übersetzen durchaus als Teil eines pädagogischen Programms.1Poliziano, Angelo Eine der allerersten Publikationen, die der zu diesem Zeitpunkt Dreiundzwanzigjährige unter dem Namen Anastasius2 Quaestor veröffentlicht hatte, trägt den Titel Bonis iuuvenibusCamerarius d.Ä., JoachimBonis iuuvenibus εὖ πράττειν.3Melanchthon, PhilippMelanchthon, Philipp Es handelt sich dabei um eine Art Vorwort zu Camerarius’ eigener Lukianübersetzung.4 Darin vertritt er die Auffassung:
Ego vero non aliam rem existimo magis adulescentum ingenia posse excitare et alere eruditionem, quam stylum. Ille vero vertendis alienis rectissime exercetur, ubi et intra praefinitos terminos consistere, et non pro suo arbitrio fluctuare, sed velut in auctoris quem propositum habet vestigiis manentem sequi oportet, quibus dum inhaeret, saepe dubitat, multa quaerit, diligenter dispicit omnia, nonnumquam desperat, mox recepto animo pergit facere quod instituit, quae omnia mirifice mentem acuunt, et artem iuvant, quam nimis sero nunc fere attingamus: ut nisi certa ratione gubernetur, et omnibus viribus urgeatur, frustra sit laboratum.
Ich bin aber der Ansicht, dass keine andere Sache den Geist der jungen Leute so anstachelt und ihre Erziehung so nähren kann wie das Stilempfinden. Dieses schult man wiederum am besten durch das Übersetzen aus der Fremdsprache. Dort ist es nämlich nötig, innerhalb festgelegter Grenzen zu bleiben und sich nicht nach eigener Willkür treiben zu lassen, sondern auf den Spuren des Autors, den man sich vorgenommen hat, zu verharren. Während [der adulescens] sich [in das Übersetzen] vertieft, gerät er oft in Zweifel, hinterfragt vieles, untersucht alles sorgfältig, verzweifelt mitunter, setzt das Begonnene aber bald fort, wenn er wieder Mut gefasst hat. All das schärft auf wundersame Weise den Verstand und hilft derjenigen Fertigkeit, der wir uns jetzt allzu spät zuwenden wollen. So gilt, dass die Mühe vergeblich war, wenn das Vorgehen [sc. ars] nicht mit verlässlicher Methode gelenkt und aller Kraft vorangetrieben wird.
Man merkt den Zeilen nicht nur die Begeisterung am Umgang mit antiken Texten an, sondern aus ihnen spricht auch bereits die methodische Strenge, die Camerarius später als Herausgeber auszeichnen wird und die in seinem „Meisterstück“, der PlautusPlautus-Gesamtausgabe von 1552, zum Ausdruck kommen sollte.5Plautus Seine erste wissenschaftliche Beschäftigung mit Plautus reichte vermutlich in die Wittenberger Zeit zurück, wo er 1525, also kurz vor der Abfassung von Bonis iuvenibus, von seinem ehemaligen Leipziger Lehrer Veit Werler6 leihweise eine Plautus-Handschrift erhielt.7Plautus Es scheint die Zeit gewesen zu sein, in der Camerarius begann, die stilistischen