Sprachenlernen und Kognition. Jörg-Matthias Roche

Sprachenlernen und Kognition - Jörg-Matthias Roche


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& Cuyckens 2007: 13). Vielmehr wird Sprache als ein Produkt der Interaktion zwischen Individuen in einem bestimmten kulturellen Kontext angesehen und somit als ein von Menschen geschaffener Code, der durch allgemeine Lernmechanismen erworben wird, begriffen.

      Mit dem Ziel, eine höhere Plausibilität zwischen Sprachbeschreibung und allgemeiner menschlicher Kognition zu erlangen, sind im Bereich der kognitiven Linguistik verschiedene Ansätze entstanden, wie zum Beispiel die kognitive Semantik (Talmy 1983, 2000), die Konstruktionsgrammatik (Bergen & Chang 2005; Croft 2001; Fillmore 1988; Tomasello 2003), die conceptual metaphor theory (Lakoff & Johnson 1980; Lakoff 1987) und die kognitive Grammatik (Langacker 1991). Obwohl jeder dieser Ansätze die Grundannahmen der kognitiven Linguistik teilt, unterscheiden sie sich alle in ihrer Schwerpunktsetzung voneinander.

      Die wichtigsten konstitutiven Merkmale der kognitiven Linguistik sind:

       Sprache ist ein symbolisches System.

       Sprache ist ein Teil der allgemeinen menschlichen Kognition.

       Sprache ist ein gebrauchsbasiertes System.

      Sie sollen im nächsten Abschnitt erläutert werden.

      1.1.3 Grundannahmen der kognitiven Linguistik

      Die erste Grundannahme betrifft die Symbolhaftigkeit der Sprache (vergleiche Evans 2012). Wie auch vorherige Grammatiktheorien, nimmt die kognitive Linguistik Sprache als symbolhaft an. Symbole sind die Grundeinheiten der Sprache und bestehen aus einer Bedeutungskomponente und einer Formkomponente. Demnach sind alle Bereiche der Sprache stets bedeutungsvoll (siehe Langacker 2008b: 8), auch die Grammatik. Daraus ergibt sich eine wichtige Erkenntnis bezüglich der Grammatik, und zwar wird sie nicht mehr als ein abstraktes und arbiträres Regelwerk aufgefasst; vielmehr bildet sie zusammen mit dem Lexikon ein Kontinuum von symbolischen Strukturen (vergleiche Langacker 2008a: 67). Auf diese Weise besitzen sowohl das Wort Kaffeemaschine als auch die verschiedenen Kasus im Deutschen jeweils eine oder mehrere Bedeutung(en). Im Umkehrschluss heißt das, dass es sowohl bei der Wortschatzvermittlung als auch bei der Grammatikvermittlung eigentlich um Bedeutungsvermittlung geht. Ohne die Bedeutungskomponente kann die symbolische Einheit nicht vollständig erworben werden (siehe Langacker 2008c). Trotz der beschriebenen Ähnlichkeiten besteht jedoch ein ganz offensichtlicher Unterschied zwischen den Bedeutungskomponenten beider Symbole, nämlich: Die Bedeutung des Wortes Kaffeemaschine ist relativ unmittelbar und konkret zu bestimmen, während die Bedeutung des Kasussystems vielschichtiger und weniger greifbar ist und einen höheren Abstraktionsgrad besitzt, der auch als Schematizität bezeichnet wird (vergleiche Langacker 2008b: 22; Meex & Mortelmans 2002: 51). Talmy (2000) hat diesen Unterschied genauer unter die Lupe genommen. Demnach besteht die semantische Funktion der Grammatik beziehungsweise grammatischer Strukturen darin, die konzeptuelle Struktur der Sprache zu repräsentieren, während die semantische Funktion des Lexikons beziehungsweise lexikalischer Strukturen darin besteht, den konzeptuellen Inhalt darzustellen. In anderen Worten ist die Grammatik die konzeptuelle Struktur, mit der der konzeptuelle Inhalt – also das Lexikon – organisiert wird. Talmy (2000) ging es aber nicht primär um die Ausarbeitung der Prinzipien der konzeptuellen Struktur der Sprache, also der Grammatik, sondern eher um die Erschließung des allgemeinen konzeptuellen Systems des Menschen anhand der Sprache. Somit dient Sprache nach Talmy als Mittel zur Beobachtung der allgemeinen kognitiven Strukturen.

      Diese Position setzt eine weitere Grundannahme voraus: Sprache ist kein separates Modul im Kopf der Menschen, sondern ein Teil der allgemeinen menschlichen Kognition und funktioniert nach denselben Prinzipien. Diese Annahme ist in der Literatur auch als das cognitive commitment bekannt (vergleiche Evans & Green 2006: 193). Demnach spiegeln sich die Organisationsprinzipien des konzeptuellen Systems auch in der Sprache und in der Grammatik wider. Aspekte der Perzeption sowie Prozesse des bildlichen Denkens und der Metaphorisierung sind mit dem symbolischen System der Sprache eng verbunden. Diese Prozesse speisen sich wiederum aus den sogenannten körperlichen Erfahrungen (zum Beispiel Bewegung, Druck, Kraft, Teil-Ganzes-Beziehungen, Vertikalität und Ähnliches; vergleiche Evans & Green 2006). Nehmen wir folgenden Satz als Beispiel: Der Fußball ist durch seine starke Kommerzialisierung weltweit etwas heruntergekommen. An diesem Beispielsatz können wir gut erkennen, wie abstrakte Konzepte der Sprache durch konkrete körperliche Erfahrungen strukturiert werden können: UNTEN ist schlecht, OBEN ist gut. Die körperliche Erfahrung von Vertikalität im Raum wird auf etwas Abstraktes, nicht Greifbares angewandt. Dieser Prozess der Metaphorisierung (auch mapping, vergleiche Gibbs & Ferreira 2011) ist nach der Conceptual Metaphor Theory (Lakoff & Johnson 1980; Lakoff 1987) ein zentrales Werkzeug des menschlichen Denkens und Handelns. Gerade die Nutzung von Metaphorisierungsprozessen eröffnet qualitativ andere Wege für die Vermittlung von scheinbar abstrakten Sprachbereichen wie der Grammatik, denn Metaphern docken letzten Endes an körperliche Erfahrungen an, die bei jedem Lerner im gleichen Maße ausgeprägt sind.

      Die dritte wichtige Grundannahme der kognitiven Linguistik betrifft die Gebrauchsbasiertheit der Sprache (auch usage-based approach) (vergleiche Evans 2012; vergleiche auch Behrens 2009: 429; Langacker 2009: 628). Demnach nutzen Sprecher allgemeine Lernmechanismen wie Generalisierung, Kategorisierung oder Komposition, um aus den konkreten Äußerungen Gemeinsamkeiten zu erkennen und daraus eine Art Muster oder Schema abzuleiten (vergleiche Langacker 2008b, 2009). Damit distanziert sich die kognitive Linguistik von der Annahme einer angeborenen Grammatik, denn die Etablierung von Strukturen der Sprache setzt eine intensive Analyse authentischer Äußerungen aus dem Input voraus. Mit der Annahme der schrittweisen Schematisierung von Sprachstrukturen aus konkreten Äußerungen betont die kognitive Linguistik die Wichtigkeit der Sprachverwendung in einem kommunikativen beziehungsweise sozialen Kontext. Demnach stellt die Kodierung und Symbolisierung von Bedeutung in einer Sprache ein geteiltes Wissen innerhalb einer Sprachgemeinschaft dar, womit die soziale und interaktive Funktion von Sprache begründet wird (vergleiche Evans & Green 2006). Für die Grammatikvermittlung ergibt sich daraus eine ganz wichtige Konsequenz, nämlich dass die zunehmende Schematisierung und Kategorisierung sprachlicher Äußerungen einer grammatischen Struktur keinesfalls durch das explizite Regelerklären ersetzt werden kann (vergleiche auch Achard 2008: 440). Die Relevanz der Gebrauchsbasiertheit für die Sprach- und Kulturvermittlung wird in Kapitel 8 ausführlicher behandelt.

      Neben den drei Grundannahmen postuliert die kognitive Linguistik außerdem die Existenz von Organisationsprinzipien menschlicher Sprachen, die nicht nur für alle einzelnen Sprachbereiche (Syntax, Morphologie, Lexik und Ähnliches) gleich sind, sondern auch für die allgemeinen Denkprozesse des Menschen, wie zum Beispiel die Kategorisierung nach Prototypen oder die Polysemie. Solche Prinzipien werden im nächsten Abschnitt erklärt.

      1.1.4 Organisationsprinzipien natürlicher Sprachen

      Wir nehmen die Welt nicht einfach unsortiert wahr, lassen nicht einfach alle Eindrücke in unser Gehirn dringen und dort irgendwie walten, sondern sortieren unseren nichtsprachlichen und sprachlichen Input. Dieser Aspekt unseres Denkens schlägt sich auch in der Ordnung von Sprache in den Köpfen der Sprecher (und Hörer) nieder. Nach Evans & Green (2006: 28; vergleiche auch Evans 2012) sind die natürlichen Sprachen nach bestimmten Prinzipien organisiert, die sowohl im Lexikon als auch in der Grammatik zu beobachten sind. Im Folgenden sollen einige dieser Prinzipien in Anlehnung an Radden (2008) erläutert werden.

      Prototypen

      Ein erstes wichtiges Prinzip ist der sogenannte Prototypeneffekt. Kognitionspsychologische Forschungen haben gezeigt, dass die Organisation von Konzepten als grundlegende kognitive Entitäten nicht nach Kriterien oder festen Definitionen erfolgt, sondern nach dem Prinzip der Zentralität (vergleiche Evans & Green 2006: 28f; Geeraerts 1989; Radden 2008). Wahrscheinlich ist der Prototypeneffekt aus der Tatsache heraus zu erklären, dass unsere konzeptuellen Kategorien oft mit den konkreten Erfahrungen aufgrund von Abweichungen nicht leicht vereinbar sind (Rosch 1975). So sind Prototypen als zentrale Vertreter einer bestimmten Kategorie zu verstehen. Die anderen Vertreter der Kategorie differieren in unterschiedlicher Intensität und durch unterschiedliche


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