Jean Genet und der revolutionäre Diskurs in seinem historischen Kontext. Sara Izzo
der Identität des Autors als ethisches Prinzip behandelt wird.30 Foucault diskutiert die Teilaspekte des Namens („le nom d’auteur“), der Aneignung des Werks durch den Autor („le rapport d’appropriation“), der Zuweisung des Gesagten zu einem Werk („le rapport d’attribution“) und der Position des Autors in einem Diskurstyp oder einem diskursiven Feld („la position de l’auteur“).31 Hinsichtlich des Namens konstatiert Foucault, dass er weder eine reine Bedeutung habe noch das Äquivalent einer Beschreibung sei, sondern „entre ces deux pôles de la description et de la désignation“32 zu situieren sei, wobei sich jedoch der Autorenname vom Eigennamen durch seinen besonderen Status unterscheide. Über den Status der Autorität hinaus, kommt dem Autorennamen innerhalb eines Diskurses eine ordnende Funktion zu, insofern er nämlich die Gruppierung, Eingrenzung und Gegenüberstellung von Texten erlaubt. Der Name des Autors charakterisiert einen bestimmten Diskurstyp und fundiert die Bedeutung dieses Diskurses innerhalb der Gesellschaft, der ihn von jenem alltäglichen, flüchtigen und konsumierbaren Diskurs differenziert. Diesen Zusammenhang wird Foucault ein Jahr später in L’ordre du discours im Kontext der die Ereignishaftigkeit und Zufälligkeit des Diskurses bändigenden internen Prozeduren weiter ausführen, wonach der Autor als Prinzip der Gruppierung von Diskursen verstanden und als solches abgelehnt wird.33 Eng mit der Bedeutung des Eigennamens verknüpft ist auch für Foucault die Frage nach dem literarischen Eigentum bzw. der Verflechtung von Autor und Werk, welches sich in Foucaults Verständnis als Paradigma einer sich im 17. und 18. Jahrhundert abzeichnenden Wende des Literaturverständnisses herauskristallisiert.34 Während zuvor der Autorenname eine geringere Rolle für die Rezeption bestimmter Texte spielte, avancierte die literarische Anonymität dann zu einem nicht länger akzeptierbaren Faktum. Das Verständnis des Namens als Marker der Individualität und Identität charakterisiert über das Verhältnis des Autors zu seinem als Einheit konzipierten Werk hinaus den literarischen Diskurs und dessen Bedeutung. Die von Foucault aus diskurshistorischer Perspektive beschriebene Autoren-Funktion gleicht aufgrund der historischen Transformationsprozesse keinem Fixum, sondern räumt der Anonymität, jenem „anonymat du murmure“35, stets eine Möglichkeitsexistenz ein. Foucault diagnostiziert vielmehr – ähnlich wie auch Barthes – einen mit Mallarmé einsetzenden Prozess des Verschwindens jener durch die Autoreninstanz gesicherten Charakteristika, nämlich der Individualisierung des schreibenden Subjektes, wodurch ein neues ethisches Prinzip in der Literatur hervortrete.
Während Foucault die Entwicklung der Funktion des Autors und des literarischen Eigentums diskursanalytisch determiniert, tritt in Genets Stellungnahme stärker die Charakteristik der Forderung nach der Auflösung der Autoreninstanz in Hinblick auf seine persönliche Stellung in der Öffentlichkeit in den Vordergrund. Der Autorenname hat eine autoritäre Funktion und indiziert die Bedeutung des Werks für die Gesellschaft vermittels seiner beschreibenden Charakteristik, so Foucault:
Quand on dit ‚Aristote‘, on emploie un mot qui est l’équivalent d’une description ou d’une série de descriptions définies, du genre de: ‚l’auteur des Analytiques‘, ou: ‚le fondateur de l’ontologie‘, etc. Mais on ne peut pas s’en tenir là; un nom propre n’a pas purement et simplement une signification; quand on découvre que Rimbaud n’a pas écrit La Chasse spirituelle, on ne peut pas prétendre que ce nom propre ou ce nom d’auteur ait changé de sens.36
Der Name als Äquivalent einer Zuschreibung einschlägiger, aus dem Leben oder dem literarischen Werk des Autors geschöpfter Merkmale, birgt die Gefahr der Deformation in sich und gleicht zudem für Genet einem die künstlerische Bedeutung einschränkenden Qualitätssiegel. Im Vordergrund seiner Reflexionen steht der Verzicht auf die dem Namen des Autors eingeschriebene Autorität, welcher er durch die Distanzierung von seinem literarischen Werk Rechnung trägt.
Die Autorität resultiert stets aus einer gesellschaftlich erworbenen Anerkennung, welche auch zu jenen Grundmerkmalen gehört, die eine intellektuelle Intervention ermöglichen. Problematisch erscheint daher die Ablehnung der durch den Namen gesicherten Autorität in Hinblick auf Genets Eintreten in das intellektuelle Feld und seine öffentliche Funktion als Sprachrohr bestimmter revolutionärer Gruppierungen wie beispielsweise der Black Panthers oder der palästinensischen Freiheitsbewegung. Denn sein Einsatz in der Öffentlichkeit lässt die Möglichkeit eines Verzichtes auf den Gebrauch der eigenen Reputation fraglich erscheinen. Sein Misstrauen gegenüber der medialen Öffentlichkeit und ihrer Prozesse der Instrumentalisierung zeichnet sich somit bereits in seinen frühesten politischen Stellungnahmen ab. Tatsächlich repräsentiert auch Genets erster politischer Artikel jenen medienkritischen Standpunkt, wobei die Kritik an den Deformationsmechanismen der Öffentlichkeit in diesem Text nicht autoreferentiell, sondern in Hinblick auf Daniel Cohn-Bendits medial konstruiertes Image geäußert wird.37 Durch die Einschreibung des eigenen Namens in den medialen Diskurs wird der Name mit Bedeutung und Autorität aufgeladen, wodurch es zu seiner Verselbständigung und Deformation kommt, ein Prozess, der an Barthes’ Konzept des Mythos erinnert.38 In einem unveröffentlichten Text von 1976 mit dem programmatischen Titel „J’ai peur de mon nom“ zeigt sich, dass diese Thematik der medialen Defiguration auch weiterhin von Genet reflektiert wird.39 Die sich in Genets Kritik an der Einschreibung des Eigennamens in den medialen Diskurs abzeichnende Reflexion über die eigene Position in der Öffentlichkeit kann grundsätzlich als für das intellektuelle Feld der 1960er und 1970er Jahre symptomatisch eingestuft werden, in dem die Intellektuellen aufgrund der sozialen Umwälzungen zu einem kritischen Überdenken ihrer eigenen Autorität und Funktion in der medialen Öffentlichkeit sowie ihres Verhältnisses zu den revolutionären Gruppierungen veranlasst wurden.
2.2 Intellektuelle Handlungsentwürfe
Genets Verortung im intellektuellen Feld orientiert sich an jenen beiden Persönlichkeiten, die dieses Feld in den 1960er und 1970er Jahren in Frankreich maßgeblich bestimmt haben und zu denen Genet in einem ambiguen Verhältnis stand: Jean-Paul Sartre und Michel Foucault. Daher soll bei der Analyse die Interdependenz zwischen Genet, Foucault und Sartre im Vordergrund stehen. Genets Verhältnis zu den beiden Philosophen kann als unstet und problematisch bezeichnet werden. Während Genets Beziehung zu Sartre auf die Anfänge seiner eigenen literarischen Schaffensphase zurückführt, beschränkt sich seine Beziehung zu Foucault auf jene kurze Zusammenarbeit in dem von Foucault gegründeten Groupe d’information sur les prisons in den frühen 1970er Jahren sowie im Rahmen anderer politischer Aktionen für die Rechte der Immigranten in Frankreich, an denen auch Sartre beteiligt war. Trotz der offenen Distanzierung von den beiden Philosophen müssen sie als Bezugsgrößen betrachtet werden und sollen nicht einfach als Negativfolie zur Bestimmung der Stellung Genets im intellektuellen Feld dienen. Aufgrund der Solidarität in gemeinsamen militanten Aktionen sowie der Erfahrung derselben historischen Ereignisse und Begebenheiten einerseits und der impliziten, teilweise auch expliziten Bezugnahme zueinander andererseits lassen sich thematische und motivische Parallelen herausfiltern. Unter Berücksichtigung der interpersonalen sowie intertextuellen Dialogizität werden thematische Schwerpunkte untersucht, die sich als besonders relevant auszeichnen und welche die Basis jenes gemeinsamen diskursiven Bezugssystems bilden, das nicht auf Konsens abzielt, sondern Freiraum für jenen offenen Dissens lässt, den Sylvain Dreyer als prototypisch für Genets politische Positionierung herausstellt.1 Ursprung dieses Dissenses ist allerdings, wie Dreyer in seinem Beitrag behauptet, nicht alleine Genets Engagement für die Befreiung der palästinensischen Gebiete, wodurch er sich bewusst von Sartres pro-israelischer Haltung distanziert, sondern tatsächlich vor allem die grundsätzliche Poetisierung des Politikverständnisses, welche Genet beispielsweise im palästinensischen Kampf realisiert glaubt. Die Bedeutung und Funktion des Intellektuellen in der Öffentlichkeit, die damit verbundenen Handlungsmuster sowie die Kritik am Rechtssystem bilden die drei thematischen Hauptachsen. Die Herausbildung einer gemeinsamen diskursiven Formation der Kritik an der Rechtsstaatlichkeit kennzeichnet sich durch spezifische Diskursobjekte und -konzepte, die in einem weiteren Schritt näher beleuchtet werden.
2.2.1 Genet und Sartre: Der Poet und der Philosoph
Gemäß Edmund Whites biographischer Rekonstruktion traf Genet im Mai 1944 Sartre zum ersten Mal im Café Flore und war dem Philosophen als letzte Entdeckung Jean Cocteaus bekannt.1 Gemeinsam mit Cocteau, durch dessen Beziehungen Genet bereits einmal