Sprachkritik und Sprachberatung in der Romania. Группа авторов

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in beiden Ländern durch individuelle historische Prozesse entwickelt und weisen heute dementsprechend divergierende Ausprägungsformen und gesellschaftliche Wirkungsbereiche auf. Eine länderübergreifende Gemeinsamkeit repräsentiert dabei jedoch – wie die Korpusanalyse zeigen wird (vgl. 5) – das beiderseitige Wirken gegen den Einfluss der englischen Sprache und der anglophonen Kulturen. Wo in Deutschland diese Effekte globaler Entwicklungen bislang lediglich von einzelnen Akteursgruppen kritisch diskutiert wurden, setzt sich Frankreich bekanntermaßen der englischen Einflussnahme mittels einer gut ausgebauten institutionalisierten Sprachpflege und einer aggressiven Sprachpolitik zur Wehr.

      Auf der Grundlage seiner Perspektivierung von Sprachnormierung als Bereich „gesellschaftlicher Verflechtung“ liefert Gloy einen Katalog sprachlicher Normierungskriterien für die erstrebte Standardform der deutschen Sprache, deren Geltungsanspruch und soziale Akzeptanz sich historisch etabliert hat (2008, 397ff.):

      (a) Konstitution und Erhalt einer Einheit der Nation

      (b) allgemeine Verständlichkeit

      (c) etablierter Sprachgebrauch („jedermanns“)

      (d) Sprachgebrauch von (kulturellen) Autoritäten

      (e) Erhaltung des sozialen Distinktionswertes

      (f) das aus sprachwissenschaftlicher Sicht Richtige und Systemgemäße

      (g) das in einer Kultur- bzw. Gesellschaftskritik Angeratene

      (h) das historisch Gewachsene

      (i) das politisch Machbare

      (j) das Finanzierbare

      (k) der wahrhafte Ausdruck

      (l) die kognitiven Folgen

      Auch wenn ein solcher Normenkatalog mit Sicherheit nicht ohne Weiteres zu verallgemeinern ist und je nach Sprachraum, diskursiver Funktionalisierung und Interessen der Akteure („Normenverfasser, Normensetzer, Normenvermittler, Normenbefürworter u.a.“ id., 399, Hervorhebungen i.O.) andere Ausprägungen annehmen oder Erweiterungen erfahren kann, so liefert er dennoch ein analytisches Raster, das einen ersten Ausgangspunkt für die hier angestrebte sprach- und kulturkontrastive Schwerpunktsetzung liefert. So wird im Folgenden erstens zu prüfen sein, ob sich die oben aufgeführten, diachron erfassten Normierungskriterien auch in heutigen sprachpflegerischen Diskursen manifestieren. Zweitens stellt sich anhand der konkreten Gegenüberstellung der Diskurse in Deutschland und Frankreich die Frage, ob die in metasprachlichen Äußerungen ermittelten Normvorstellungen gleichen inhaltlichen Mustern und argumentativ vermittelten Geltungsansprüchen unterliegen oder voneinander abweichen. Ein dritter zu beachtender Aspekt bezieht sich auf die für die Internetkommunikation angenommene Heterogenität der Akteure und die damit verbundene Hypothese, diesen sprachpflegerischen Teildiskurs anhand bestimmter Merkmale im Bereich der Laienlinguistik zu verorten.

      5 Exemplarische Analyse

      Die im Folgenden diskutierten Beispiele entstammen unterschiedlich strukturierten, virtuellen Plätzen der Internet-Kommunikation. Die französischen Beiträge sind dem Forum Promotion linguistique (FPL) entnommen, das seine thematische Orientierung durch den Untertitel Francisation präzisiert und seine Diskutanten bereits in der Überschrift mit konkreten inhaltlichen Vorgaben zum sprachlichen Handeln auffordert: „Exprimez-vous sur la défense de la langue française, les institutions officielles, la politique linguistique, la francophonie, la francisation des termes étrangers(vgl. FPL). Neben diesem Forum, das seit 2004 über 300 Fragen generiert hat, gibt es weitere Austauschräume zu diversen Themen wie z.B. Pratiques linguistiques, Réflexions sur les règles, Écriture et langue française, Histoire de la langue française, Pratiques argotiques et familières, in denen sich insgesamt 3658 Nutzer bewegen. Alle Foren sind in die übergeordnete Website abc de la langue française eingebettet, wo den Nutzern auch Informationen zur französischen Sprachgeschichte und zum Argot (mit Wörterbuch) sowie Aktuelles zur französischen Sprache bereitgestellt werden (vgl. ABC).

      Die zum Vergleich ausgewählten deutschen Beispiele sind Diskussionsbeiträge aus der Facebook-Präsenz des Vereins deutsche Sprache (VdS). Der 1997 gegründete VdS beruft sich in seinen Leitlinien auf die UNESCO-Erklärung vom 2. November 2001 und einen Bericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ vom 11.12.2007: „Europas Sprachen und Kulturen stehen unter starkem Globalisierungsdruck. Sie verlieren weltweit an Geltung und werden in zunehmendem Maße von der angloamerikanischen Sprache und Kultur beeinflusst. Dies führt zu einem Identitätsverlust der betroffenen Völker und Volksgruppen“ (VdS a). Darauf aufbauend werden folgende Grundsätze und Ziele formuliert (VdS b):

      Wir schätzen unsere deutsche Muttersprache, die „Orgel unter den Sprachen“, wie Jean Paul sie nannte. Um sie als eigenständige Kultur- und Wissenschaftssprache zu erhalten, weiterzuentwickeln und vor dem Verdrängen durch das Englische zu bewahren, gründeten wir im Jahr 1997 den Verein Deutsche Sprache e.V. Er ist eine bunte, große und wachsende Bürgerbewegung mit derzeit 36.000 Menschen aus nahezu allen Ländern, Kulturen, Parteien, Altersgruppen und Berufen. Allein ein Drittel davon sind Freunde der deutschen Sprache aus Asien oder Afrika. […] Dabei verfolgen wir keine engstirnigen nationalistischen Ziele. Wir sind auch keine sprachpflegerischen Saubermänner. Fremdwörter – auch englische – sind Bestandteile der deutschen Sprache. Gegen fair, Interview, Trainer, Doping, Slang haben wir nichts einzuwenden. Prahlwörter wie event, highlight, shooting star, outfit, mit denen gewöhnliche Dinge zur großartigen Sache hochgejubelt werden, lehnen wir ab.

      Seit März 2011 hat der VdS seinen Kommunikationsradius durch ein Facebook-Profil erweitert, das zum Zeitpunkt der Analyse 8258 aktive und passive Anhänger hat. Ein grundlegender Unterschied zum Forum Promotion linguistique besteht in der zentralen Steuerung der Kommunikation durch den Verein als Administrator der Seite: Die Themen werden vom VdS selbst platziert und dann gegebenenfalls von der Leserschaft kommentiert, bewertet oder auf anderen oder eigenen Seiten geteilt. Eine gewisse Grundkonstruktion des Diskurses wird somit im Voraus determiniert und entspricht größtenteils der inhaltlich-thematischen Struktur, die der VdS auch in der Vereinszeitschrift Sprachnachrichten angelegt hat. Im französischen Forum ist zwar Sprachpflege als Rahmenthema vorgegeben, jedoch können die User die Richtung der Diskussion durch das Einstellen eigener Fragen und Kommentare steuern, die dann vom Administrator entfernt werden können, wenn Regeln des Respekts und der Höflichkeit missachtet werden oder Inhalte ʻzu polemisch’ diskutiert werden. Eine Vergleichbarkeit ist dennoch durch den Funktionsmechanismus des personal publishing (vgl. 3) gewährleistet sowie aus kommunikationstheoretischer Perspektive durch die Asynchronität der Beiträge, die zeitversetzt auf den Kopfkommentar erfolgen und die Möglichkeit implizieren, mit mehreren Teilnehmern zu diskutieren, bei denen eine generelle Affinität zur Sprache selbst und zu metasprachlichen Fragestellungen angenommen werden kann.

      Der Diskussion der einzelnen Belege muss die Bemerkung vorangestellt werden, dass die folgende Einordnung der Topoi keinen Anspruch darauf erhebt, dass es sich um eindeutige Zuordnungen handelt. Die topische Etikettierung kann thematisch mehrfach kodiert werden und die Aufschlüsselung der argumentativen Struktur kann mitunter auf verschiedene Lesarten erfolgen. Darüber hinaus werden aus Gründen des Umfangs nur einzelne, besonders häufig im Korpus auftretende Sprachgebrauchsmuster in Anlehnung an den Gloy'schen Kriterienkatalog (vgl. 4.2) vorgestellt.

      In beiden Teilkorpora kann der Topos der Konstitution und des Erhalts der nationalen Einheit als rekurrentes Sprachgebrauchsmuster identifiziert werden, bei dem die deutsche und französische Sprache jeweils als zentrale Determinante der Nation stilisiert werden. Im deutschen Beleg erfolgt die Betonung der Notwendigkeit des Sprachschutzes durch die Qualifizierung der deutschen Sprache als „summum bonum der Nation“ (Stukenbrock 2005, 432) neben der Geschichte des Landes und durch ein normatives Kausalschema aus Grund und Folge (Wenn das Bewusstsein für Sprache und Geschichte der Nation verloren geht, dann büßt das Land sein nationales Bewusstsein ein):

       1. Richtig, B. Die zwei Säulen einer Nation sind Sprache & Geschichte. Geht auch nur das Bewusstsein


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