Geschichte im Text. Stephanie Catani

Geschichte im Text - Stephanie Catani


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zu denen sich Autoren historischer Dichtung offenbar veranlasst sehen:

      Mein Thema ist die historische Dichtung. Ich darf also beiseite lassen die Fülle der Erzählungen geschichtlichen Inhalts, die nur den Zweck verfolgen, dem Leser leichte Unterhaltung und dem Schreiber seinen Unterhalt zu verschaffen. Das sind unter hundert Büchern, die sich als historische Romane bezeichnen, achtundneunzig.8

      Feuchtwangers Kritik gilt jenen Vertretern der Gattung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die in seinen Augen für ihren Verruf verantwortlich sind durch triviale Texte, die mit der Darstellung einer »billige[n] romantische[n] Handlung« auf bloße Publikumswirksamkeit abzielen.9 Diese Vorbehalte gegen die Gattung haben in der Gegenwartsliteratur an Gewicht nicht verloren, sondern spiegeln sich in eindeutigen Positionierungen von Autoren, die mit dem historischen Roman aufs Schärfste abrechnen und ihre eigenen Texte gerade dort, wo sie explizit von der Historie erzählen, der Gattung mit Nachdruck entziehen. Tatsächlich, auch darauf wird im Verlauf der Untersuchung einzugehen sein, lässt sich ein drastisches Missverhältnis zwischen dem auf poetologischer Ebene vollzogenen Abschied von der Gattung und dem nicht abreißenden Erscheinen eben solcher Texte, die sie fortlaufend konstituieren, beobachten.

      Allen Unkenrufen zum Trotz lässt sich die ungebrochene Tradition eines fiktionalen historischen Erzählens, auch jenseits sogenannter Unterhaltungs- und Trivialliteratur, nicht übersehen. Allein der Blick auf die Büchner-Preisträger der letzten Jahre führt die andauernde Relevanz historischer Stoffe unübersehbar vor Augen: Martin Mosebach, der Preisträger des Jahres 2007, feiert 2001 einen Erfolg mit seinem historischen Roman Der Nebelfürst, der im Wilhelminischen Deutschland der Jahrhundertwende spielt. Walter Kappacher wird 2009 nicht nur mit dem Büchner-Preis ausgezeichnet, sondern veröffentlicht im gleichen Jahr mit Der Fliegenpalast einen von der Literaturkritik enthusiastisch besprochenen historischen Künstlerroman über die Figur Hugo von Hofmannsthal. Reinhard Jirgl, Büchner-Preisträger des Jahres 2010, bereichert das Genre im Jahr 2012 mit seinem am Übergang von Historie in Zeitgeschichte verorteten Familienroman Die Stille. Das literarische Oeuvre Friedrich Christian Delius’, der den Preis im Jahr 2011 erhält, thematisiert mehrfach historische Sujets und Figuren: etwa sein Roman Die Frau, für die ich den Computer erfand (2009) über die historische Figur des Computer-Pioniers Konrad Zuse oder Der Königsmacher (2003), der die Geschichte des 19. sowie das Erzählen dieser Geschichte zu Beginn des 21. Jahrhunderts gleichermaßen behandelt. Die Büchner-Preisträgerin des Jahres 2012, Felicitas Hoppe, veröffentlicht mit Johanna (2006) und Pigafetta (1999) gleich zwei historische Romane und legt mit ihrem Erzählband Verbrecher und Versager (2004) fiktionale »Porträtstudien« historischer Figuren vor.

      Dass literarischer Anspruch und Publikumswirksamkeit sich nicht ausschließen, dokumentiert eindrucksvoll der literarische Sensationserfolg des beginnenden Jahrtausends, der ebenfalls auf das Konto des historischen Romans geht: 2005 erscheint Daniel Kehlmanns Die Vermessung der Welt, der national wie international gefeiert wird und den die New York Times auf ihrer Weltbestsellerliste 2006 an Platz zwei führt.10 Gerade der internationale Literaturbetrieb macht die andauernde Dominanz historisch-fiktionalen Erzählens sichtbar. Die britische Autorin Hilary Mantel wird zweimal mit dem Bookerpreis und damit dem wichtigsten britischen Literaturpreis ausgezeichnet – 2009 für ihren historischen Roman Wolf Hall und drei Jahre später für dessen Fortsetzung Bring up the bodies (2012). »Ein großartiger Triumph des historischen Romans«, kommentiert Andreas Isenschmid die Auszeichnung der Autorin in Die Zeit und Ronald Pohl spricht im Standard gar von einer »glanzvolle[n] Rehabilitierung« der Gattung.11 Radikaler im Sinne einer grundsätzlichen Erneuerung der Gattung bespricht Andreas Kilb Mantels Wolf Hall in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Sein Lob der Autorin legt jene Vorbehalte gegen die Gattung offen, von denen sich der Literaturbetrieb (auf Seiten der Autoren wie der Leser) offenbar noch immer beherrscht zeigt. So heißt es bei Kilb über Mantels Roman:

      Schon in diesem Anfang wird klar, worin die besondere Qualität von Mantels Roman liegt. Es ist eine Überblendung von objektiver und subjektiver Wahrnehmung, wie es sie im historischen Roman so noch nicht gegeben hat. Seit Walter Scott mit »Ivanhoe« das Genre vor zweihundert Jahren erfand, folgen seine Fiktionen, wenn man von Ausreißern wie Tolstois »Krieg und Frieden« absieht, dem immergleichen stereotypen Muster aus Beschreibung und Wechselrede, Schlachten- oder Boudoirgemälde und drehbuchmäßigem Dialog.12

      Die Lobpreisung des Mantel’schen Roman geht in Kilbs Rezension mit einer Abrechnung der Gattung des historischen Romans einher, die sie auf jene Texte reduziert, welche seit jeher das Feld der Unterhaltungsliteratur und den Buchmarkt im erklärten Bemühen dominieren, Geschichte möglichst anschaulich zu vermitteln und in Übereinstimmung mit den historischen Fakten darzustellen, ›wie es wirklich war‹. »Der gewöhnliche historische Roman, wie ihn die Buchhandlungen zwischen ›Krimi‹ und ›Fantasy‹ anbieten«, schlussfolgert Kilb, »ist einerseits unsinnlich, andererseits ungenau: Er verhunzt sowohl die Geschichte als auch die Literatur.«13

      Mit dem »gewöhnlichen« historischen Roman bezieht sich Kilb wohl auf jene mittels grell gestalteter Cover angepriesene »Kitschgeschichten aus früheren Zeiten«, die, wie Susanne Beyer in ihrer Standortbestimmung zum Genre anmerkt, »am liebsten bei Raubrittern (weiches Herz unter harter Rüstung) oder testosterongesättigten Piraten« spielen.14 Daniel Fulda hat unlängst eine empirische Studie zum populären Geschichtsroman veröffentlicht, die belegt, dass der Reiz solcher Texte für den, auch akademisch geschulten Leser noch immer in der Vermittlung von historischem Wissen und einem möglichst spannungsgeladenen »Miterleben von Geschichte« liegt. Der historische Populärroman, so unterstreicht Fulda, erfüllt diese Lesererwartung, indem er seine vermeintliche »Faktentreue« hervorhebt und mit dem dargestellten Geschehen explizit auf einen ›historisch verbürgten‹ außerliterarischen Referenzbereich zu verweisen sucht.15 Mit Fulda lässt sich folglich von einer anhaltenden Spaltung im Segment des historischen Romans ausgehen, die den ›literarisch anspruchsvollen‹ vom populären historischen Roman unterscheidet – wenngleich die Grenze zwischen beiden sicherlich durchlässig und am Einzelfall zu überprüfen ist.

      Trotz des anhaltenden Erfolges populärer Genrevertreter wird man, das belegt allein der Blick auf die genannten literarischen Neuerscheinungen der letzten Jahrzehnte, der Gattungsgeschichte kaum gerecht, beschränkt man sie allein auf ihre publikumswirksamsten Ausmaße. Die (wenngleich vorrangig angloamerikanische und komparatistische) gattungstheoretische Forschung erarbeitet bereits früh alternative Gattungsmodelle und richtet den Blick auf Texte, die jene in Kilbs Rezension angeführte Überblendung von objektiver und subjektiver Wahrnehmung bewusst reflektieren und damit spielen, dass man gerade nicht weiß, wie es gewesen ist. Während Hans Vilmar Geppert in seiner komparatistischen Studie schon 1976 schlicht vom ›anderen‹ historischen Roman16 spricht und Ina Schabert in ihrer Untersuchung zum historischen Roman in England und Amerika den »reflektiven historischen Roman«17 skizziert, etabliert Linda Hutcheon in ihrer Poetik der Postmoderne schließlich den programmatischen Begriff der »historiografischen Metafiktion« – und meint damit literarische Texte, die weniger auf die fiktionale Darstellung der Historie abzielen, als sie vielmehr die Fiktion der Historie bereits entlarven.18 Damit sind nur einige wenige Stationen im Bemühen der Forschung die Gattung zu konturieren bezeichnet – der sich anschließende Überblick über die Forschungsgeschichte wird vorhandene Definitionsversuche erarbeiten und zugleich die Diskrepanz zwischen einer allgemeinen Vorstellung von der Gattung und den deutlich innovativeren Modellen, welche die literaturwissenschaftliche Forschung anbietet, offen legen. Insgesamt führen die gattungstheoretische Ausweitung sowie die Ausarbeitung neuer Gattungsmodelle nur ansatzweise zu einer differenzierteren Wahrnehmung der Gattung – übertragen auf den deutschsprachigen Raum ist dem Anglo-Amerikanisten Ansgar Nünning zustimmen, wenn er festhält:

      Bei wenigen Genres dürfte die Diskrepanz zwischen einem intuitiven Vorverständnis von deren Beschaffenheit und einer präzisen Benennung der konstitutiven Merkmale ähnlich groß sein wie beim historischen Roman.19

      Bezeichnend ist etwa, wie wenig folgenreich der Begriff der historiografischen Metafiktion für die germanistische Literaturwissenschaft im Gegensatz zur Anglo-Amerikanistik zunächst geblieben ist – zumindest im Hinblick auf seine Bedeutung für den historischen


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