Deutsch als Zweitsprache. Barbara Geist
Großschreibung an, obwohl es diese in ihrer L1 Arabisch nicht gibt. Sie hebt ihre Stimme am Ende der Äußerung, um sie als Frage zu deklarieren, und verwendet die für eine Bestätigungsfrage typische Verbzweitstellung im Deutschen mit korrekt flektiertem Verb. Zainal produziert zudem einen Nebensatz mit Verbendstellung. Sie verfügt somit über die gesamte Komplexität des deutschen Satzbaus. Außerdem nutzt sie einen Fachterminus. Die Verwendung des (in-)definiten Artikels, der in beiden Sätzen obligatorisch ist, muss von ihr allerdings noch erworben werden.
Die gegebene Situation stellt jedoch nicht nur sprachliche Anforderungen auf den linguistischen Ebenen Phonologie, Morphologie, Semantik und Syntax – das Kleingruppengespräch unter Klassenkameraden muss auch in pragmatisch-kommunikativer Hinsicht gestaltet werden. Zainal hört zu, lässt ihre Mitschülerinnen ausreden, versucht an deren Redebeiträge anzuknüpfen oder ihnen zu widersprechen. Rechtschreibgespräche sind ein Setting im Unterricht, in dem die Kompetenz, mit anderen zu sprechen, ebenso wie das verstehende Zuhören gefordert ist.
Kinder können, bevor sie geboren werden, hören und beginnen wenige Monate nach der Geburt, sprachlich zu interagieren. Diese ersten Sprechakte finden bei Kindern mit DaZ in einer oder mehreren anderen Erstsprachen statt. Die sprachlichen Kompetenzen, die sie in dieser/n Sprache/n in ihren ersten Lebensjahren aufbauen, sind ebenso wertvoll wie die sprachlichen Fähigkeiten, die Kinder mit DaE erwerben. Für jede Sprache gilt, dass das Kind deren phonologische, semantische, morphologische und syntaktische Bausteine erwirbt sowie pragmatische Kompetenzen entwickelt. Im Unterschied zum Lesen und Schreiben bringen die SuS im Kompetenzbereich Sprechen und Zuhören also langjährige Vorerfahrungen aus Familie, Kindertagesstätte (Kita) und Freizeit mit und sammeln weitere auch in ihrem außerschulischen Alltag (zu anderen und mit anderen sprechen, (zu-)hören, szenisches Spiel). Weniger vertraut sind viele SuS dagegen mit dem Unterbereich über Lernen sprechen. Die Vorerfahrungen im Zusammenhang mit schulisch relevanten Diskurspraktiken wie dem Erklären oder Argumentieren sind ebenfalls sehr unterschiedlich (u.a. Morek 2012; Heller 2012; Isler 2014). Kinder und Jugendliche mit DaZ haben also Vorerfahrungen im Sprechen und Zuhören – sogar in mehreren Sprachen. Unser Bildungssystem trägt jedoch den Erstsprachkompetenzen von SuS mit DaZ bislang kaum Rechnung (u.a. Rösch 2011: 164). So fokussiert der Unterricht insgesamt und auch der Deutschunterricht die Schul- und Bildungssprache Deutsch.
Ziel dieses Kapitels ist, den Lerngegenstand zu skizzieren, die Besonderheiten der Lernausgangslagen von SuS mit DaZ anhand von Fallbeispielen aufzuzeigen und auf sprachdidaktische Konzeptionen für den Kompetenzbereich einzugehen, die für SuS mit DaZ im gemeinsamen Unterricht gewinnbringend sein können. Im Sinne einer Mehrsprachigkeitsdidaktik wird auch erläutert, wie Kinder und Jugendliche ihre Fähigkeiten in der L1 im Deutschunterricht einbringen können.
2.1 Fachliche Grundlagen: Mündliche Sprachproduktion und -rezeption in Unterricht und Alltag
Eine Besonderheit des Kompetenzbereichs Sprechen und Zuhören ist, dass gesprochene Sprache1 Lerngegenstand und -medium zugleich ist. Jedoch unterscheidet sich ein Unterrichtsgespräch in vielerlei Hinsicht von einem Alltagsgespräch: Die Zahl der (potentiellen) SprecherInnen ist höher und es bestehen hierarchische Unterschiede zwischen SuS und Lehrperson (Hochstadt et al. 2015). Die Charakteristika von Unterrichtskommunikation wurden bereits umfangreich erforscht (u.a. Ehlich/Rehbein 1979, Becker-Mrotzek/Vogt 2009, Grundler/Vogt 2013, Heller/Morek 2015). Die Herausforderung, als Lehrkraft nicht immer als Gesprächsleiter(in), Gesprächsteilnehmer(in) mit einem hohen Redeanteil oder Aufgabensteller(in) aufzutreten, ist groß. Ebenso relevant ist jedoch, sich eben dieser immer wieder praktizierten Handlungsmuster von Unterrichtskommunikation als Lehrkraft bewusst zu sein und dann mit Blick auf die Sprachförderung von SuS mit DaZ die Rolle des Sprachvorbilds ernst zu nehmen (Jeuk 2013: 119). Es gibt bislang wenig Forschung zur Unterrichtskommunikation mit dem Fokus auf die sprachliche Heterogenität der Klasse. Aus diesem Grund greifen wir in diesem Kapitel auch auf Methoden der Sprachheilpädagogik und Fremdsprachdidaktik zurück, sofern diese uns einsetzbar für den Regelunterricht in mehrsprachigen Klassen erscheinen. Bei der Darstellung der fachlichen Grundlagen setzen wir zwei Schwerpunkte: 1. Besonderheiten der deutschen Sprache (mit Fokus auf die gesprochene Sprache) und 2. Bildungssprache. Der Zweitspracherwerb ist in der Förderung des Sprechens und verstehenden Zuhörens eine zentrale Orientierungsgröße und wird im folgenden Abschnitt in Auszügen beschrieben.
Um im Unterricht den SuS ein sprachliches Vorbild zu sein, ihre sprachlichen Fähigkeiten zu fördern, dem Erwerbsstand angemessene Aufgaben zu formulieren und Leistungen zu bewerten, gilt es, mindestens die Sprache, in der der Unterricht stattfindet, genauestens zu kennen. Daher möchten wir ausgewählte Besonderheiten des Deutschen hier kurz darstellen.
Phonologie
Während es sich beim stimmlosen [t] und dem stimmhaften [d] um verschiedene Phoneme handelt (z.B. <tanken> und <danken>), liegen bei [x] (wie in lachen) und [ç] (wie in sicher) Allophone desselben Phonems /χ/ vor, die je nach lautlicher Umgebung eingesetzt werden. Damit handelt es sich um ein seltenes Spezifikum, das für Fremdsprachenlerner und vermutlich auch für SuS mit Deutsch als später L2 eine Erwerbshürde darstellen kann. Während nach den vorderen Vokalen ein am vorderen Gaumen gebildetes [ç] produziert wird (sicher, echt, Bücher …), folgt auf die zentralen bzw. hinteren Vokale der am hinteren Gaumen gebildete Frikativ [x] (acht, kochen, Buch …). Gerade die Artikulation des [x] als Reibelaut, der durch eine Engstelle am Velum (hinterer Gaumen) produziert wird, stellt Truckenbrodt (2014: 46) als schwierig heraus. Die Beispiele zeigen, dass innerhalb eines Wortstamms das Phonem, in Abhängigkeit vom vorangehenden Vokal, unterschiedlich artikuliert wird (z.B. Buch vs. Bücher); diese Opposition kann auch zu Schwierigkeiten im Lesen führen (s. Kap. 3).
Das Deutsche verfügt über ein sehr umfangreiches Vokalinventar. In der Standardsprache des Arabischen treten dagegen nur die Vokale [a], [ɪ], [ʊ] sowie deren langen Versionen [ɑ:], [i:], [u:] auf (Zeldes/Kanbar 2014). SuS mit Arabisch als L1 erwerben demnach völlig neue Phoneme im Zweitspracherwerb, verfügen jedoch nicht mehr über die sprachenübergreifende Fähigkeit zur intuitiven Lautdifferenzierung, mit der Säuglinge ausgestattet sind (Kauschke 2012). (Weiterführend s. Hirschfeld/Reinke 2016.)
Morphologie
Das Deutsche ist eine sehr wortbildungsfreudige Sprache – ein Beispiel dafür sind die häufig auftretenden Komposita. Auch im Englischen sind zusammengesetzte Nomen wie springbreak möglich, während im Polnischen kaum Komposita gebildet werden. Ihre Länge im Deutschen ist jedoch beachtlich, so sind drei Wurzeln wie in Fahrradanhänger normal und mehr als drei Wurzeln zwar selten, aber durchaus möglich (z.B. Sprachstandserhebungsverfahren). Prinzipiell lässt sich das nahezu unendlich fortsetzen, wie die berühmte Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitänsmütze zeigt. Bei der häufigsten Variante, den Determinativkomposita, gilt, dass das erste Element das zweite spezifiziert: So unterscheiden wir z.B. Fuß- und Handball. Wann ein Fugenelement eingefügt wird (und wenn ja, welches), ist lexikalisch zu erwerben. Das häufigste Fugenelement ist das [s], z.B. in Freundschaftsbändchen. Unklar ist, wieso das Hühnerei kein Huhnei ist, ist es doch von einem Huhn gelegt (Truckenbrodt 2014: 53).
Abb. 2: Deklination der attributiven Adjektive mit definitem Artikel, aus: Granzow-Emden 2014: 267
Die Konjugation der Verben ist im Deutschen kein leichtes Unterfangen, vergleicht man die Suffixe im Präsens (ich geh-e, du geh-st, er/sie/es geh-t etc.) z.B. mit dem Englischen, in dem die Regel he, she, it das <s> muss mit für die einzige Abweichung vom Infinitiv bereits ausreicht. Wesentlich komplexer als die Konjugation ist jedoch die Deklination im Deutschen, die wohl den Begriff ‚Stolperstein‘ verdient.
Im Unterschied zu vielen anderen Sprachen wird auch das Adjektiv an den Kasus des attribuierten Nomens angepasst (Abb. 2). Dabei ist zu beachten, dass sich dessen Flexion auch an der Umgebung orientiert: Während bei definiten Artikeln eine ‚schwache‘ Endung (-e bzw. -en) verwendet wird (Abb. 2), erfolgt bei indefiniten Artikeln eine deutlichere Markierung (z.B.