Fremdsprachliches Lernen und Gestalten nach dem Storyline Approach in Schule und Hochschule. Doris Kocher
Lernumgebung: “the provision of exposure to the target language; the provision of opportunities for learners to use the target language for real communication; and the provision of motivation for learners to engage in the learning process. In addition, focused instruction – drawing attention to language form – will help learners to improve more rapidly and to continue improving“ (Ebd., 19). Diese Prämissen gelten grundsätzlich auch für das Storyline-Klassenzimmer.
2.4.3 Von der Theorie zur Praxis: TBL-framework und Storyline
Laut Schmenk (2012) gehört das aufgabenbasierte Fremdsprachenlernen „in die heutigen Top Ten fremdsprachendidaktischer Begrifflichkeiten“ (Ebd., 57). Doch obwohl aufgabenorientiertes Lernen in den vergangenen zwanzig Jahren in der fachdidaktischen Diskussion auf internationaler Ebene viel positive Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat und in Teilen Europas, Asiens und Nordamerikas unzählige Publikationen und Forschungsarbeiten entstanden sind, wird die Praxistauglichkeit von Task-based Language Learning immer wieder in Frage gestellt.1 Nüchtern stellt Nunan (2013), einer der wichtigsten Vertreter der Aufgabenforschung, fest: “Despite all of this activity, the concept is still widely misunderstood, and is only slowly beginning to gain traction in the classroom“ (Ebd., 25). Er resümiert: “TBLT remains a source of mystery for many teachers around the world“ (Ebd., 19). Van den Branden (2006a) zählt in diesem Zusammenhang eine Reihe kritischer Fragen auf, die in unterschiedlichen Kreisen regelmäßig thematisiert werden:
Does TBLT work for teachers and learners in the classroom as well as it does for SLA researchers? Further, is TBLT more than a fascinating pedagogical approach that looks good and convincing on paper? Can it really inspire language teachers when they prepare their lessons or does it only frighten them because of the high demands it places on them and on their learners? (...) How do learners react to the idea of no longer having the particulars of grammar spelled out before being confronted with a speaking task? Does TBLT work as well for children as for adults? Can it be implemented in classes of 25 students with a wide range of cultural backgrounds and different levels of language proficiency? How (...) does the syllabus developer select, order and sequence some 720 tasks? (Ebd., 1f.).
Die „Transformationsproblematik“ (Thaler 2008, 183) dieses relativ komplexen Ansatzes besteht offenbar trotz intensiver Forschung weiterhin und außer den erwähnten werden häufig auch die folgenden Argumente genannt: Unklare Vorstellungen von Konzept und Begrifflichkeiten2; zu hoher Zeitaufwand; Überforderung der in der Regel nicht-muttersprachlichen Lehrkräfte hinsichtlich der erforderlichen Sprachkompetenz; Überforderung von jüngeren Lernenden bezogen auf die zur Verfügung gestellten Entscheidungsfreiräume; Unsicherheiten der Lehrkräfte in Bezug auf Kontrollverlust3, gepaart mit möglichen Disziplin- oder Motivationsproblemen; Ängste im Umgang mit unvorhersehbaren Situationen4; Unsicherheiten hinsichtlich der erforderlichen Diagnose- und Beratungskompetenzen; Dilemmasituation zwischen offenen Unterrichtsformen wie TBL und starren Formen der Leistungsmessung usw.5
Ergänzt werden kann dieser komplexe Fragenkatalog noch durch ganz grundsätzliche Fragen hinsichtlich der konkreten Vorgehensweise bei der Aufgabenentwicklung: „Wie fängt man an, wie baut man Aufgaben aufeinander auf, wie integriert man inhaltlich [sic] und sprachliche Arbeit, wie kommt man von der Einzelaufgabe zum Aufgaben-Setting?“ (Müller-Hartmann/Schocker-von Ditfurth 2006, 5). Hier ist es vor allem Willis (1996) zu verdanken, dass sie die Umsetzung des Konzepts von der Theorie in die Praxis wesentlich erleichtert hat, indem sie mit ihrem TBL-framework eine sinnvolle Strukturierungshilfe für Lehrkräfte schuf und die Idee der Aufgabenorientierung konkretisierte.6 Dennoch wird auch heute noch häufig beklagt, dass Praxismaterialien und konkrete Umsetzungshilfen für den fremdsprachlichen Unterricht rar bzw. unzureichend sind.7
Müller-Hartmann und Schocker-von Ditfurth (2006, 3) geben zudem zu bedenken, dass die bisher vorliegenden Aufgaben in der Regel auf Teilfertigkeiten reduziert und nicht ausreichend kontextualisiert seien sowie wichtige inhaltliche Bereiche wie die Auseinandersetzung mit Literatur oder kulturellem Lernen vermissen lassen. Dieser Problematik kann allerdings durch die integrative Arbeit nach dem Storyline Approach positiv begegnet werden, da hier die verschiedenen Fertigkeiten selten isoliert auftreten, sondern meist kombiniert und durch den narrativen Rahmen vor allem kontextualisiert werden, so dass eine Aufgabenbearbeitung stets organisch und sinnvoll erscheint. Durch die narrative Vernetzung verschiedener Texte treten Aufgaben zudem nie isoliert auf, sie wirken bei Storyline nie künstlich oder konstruiert, sondern sind immer harmonisch in den Rahmen der Geschichte eingebettet.
Des Weiteren beklagt Burwitz-Melzer (2006), dass „Aufgaben zur Evaluation in verschiedenen Inhaltsbereichen zwar gefordert, aber kaum erstellt werden, [und dass] Aufgaben zur Selbstevaluation oft noch gänzlich fehlen. Kaum Erwähnung gefunden hat bisher die Überlegung, welche Bedeutung der Faktor ‘Reflexion’ bei der Aufgabenorientierung innehat. Oft wird dieser Aspekt sogar ganz bewusst ignoriert“ (Ebd., 27f.).8 Bei Storyline dagegen haben Reflexionen schon seit jeher einen wichtigen Stellenwert. Auch verschiedene Möglichkeiten der Leistungsmessung und (Selbst-)Evaluation werden seit Jahren von verschiedener Seite immer wieder thematisiert und im Unterricht ausprobiert.9 Im topic plan (vgl. Kapitel 2.3.3.6) werden Möglichkeiten und Aspekte der Bewertung zudem ganz explizit aufgeführt.
Viele der oben aufgeführten Fragen können daher aus der Perspektive des Storyline Approach eindeutig positiv beantwortet werden, denn Storyline stellt meines Erachtens ein schlüssiges und praktikables Konzept dar, wie aufgabenorientiertes Lernen im fremdsprachlichen Klassenzimmer für alle Beteiligten gewinnbringend umgesetzt werden kann. Auf der Grundlage des allseits bekannten dreiphasigen TBL-Rahmenkonzepts nach Willis (1996), dessen Struktur preparation – core activity – follow-up language work auf spracherwerbstheoretischen Erkenntnissen aufbaut, soll hier nun kurz und exemplarisch erläutert werden, wie mit Hilfe des Storyline-Modells die verschiedenen Schritte und Prozesse realisiert werden können:10
Pre-task: Lernprozesse vorbereiten und anleitenEin Thema wird ausgewählt und als Storyline-Projekt strukturiert. Offene Schlüsselfragen (key questions) fordern die Lernenden dazu auf, all ihre Ideen, Erfahrungen und Vorkenntnisse einzubringen. Dabei werden auch themenbezogene Redemittel gesammelt und in wordbanks systematisch festgehalten, um der (auch sprachlichen) Heterogenität der Lernenden gerecht zu werden.
Task cycle: Lernprozesse unterstützenTask/Aufgabe: In Storyline-Projekten werden die Lernenden immer wieder mit größeren und kleineren Aufgaben konfrontiert, die sich sowohl auf den Inhalt der Geschichte als auch die sprachliche und handwerkliche Ausgestaltung beziehen. Dabei entstehen zahlreiche Anlässe für mitteilungsbezogene Kommunikationssituationen, in denen die Lernenden ihre Prozesse und Produkte interaktiv planen, diskutieren und reflektieren.Alle Aktivitäten für eine gestellte Aufgabe werden zunächst gemeinsam in der Gruppe überlegt, besprochen und verteilt: Wer zeichnet? Wer schneidet aus? Wer schreibt einen Text? Wer schlägt Wörter nach? Wer führt gegebenenfalls ein Interview durch? Erst danach geht es an die konkrete Arbeit. Die Lehrkraft beobachtet und koordiniert das Geschehen, inspiriert und unterstützt bei Bedarf einzelne Lernende, wenn sprachliche, inhaltliche oder anderweitige Probleme auftauchen. Dabei fungiert sie nicht als sage on the stage, sondern vielmehr als guide on the side.Selbst wenn sich alle Lernenden gelegentlich mit derselben Aufgabenstellung beschäftigen (z.B. eine Biographie oder einen Tagebucheintrag verfassen), wird es immer ganz unterschiedliche Ergebnisse hinsichtlich Quantität und Qualität geben, da die Arbeitsprodukte, anders als im herkömmlichen Frontalunterricht, nicht oder nur bedingt vorhersehbar, sondern stets Ausdruck von ganz individuellen Lernprozessen sind und dabei die multiplen Talente, Ideen und Fertigkeiten der heterogenen Lerngruppe dokumentieren.Planning/Vorbereitung: Bevor Lernprodukte im Plenum vorgestellt werden, beraten die Mitglieder der einzelnen Gruppen über die geplante Präsentation im Rahmen von kleinen Konferenzen: Je nach Aufgabenstellung werden Inhalte abgesprochen und überprüft, Texte mit Hilfe von Wörterbüchern redigiert (peer correction) oder etwa mit dem PC-Rechtschreibprogramm überarbeitet, Rollenspiele oder andere Choreographien einstudiert, Videoaufnahmen gemacht, Skizzen angefertigt, digitale Fotos geschossen und möglicherweise bearbeitet, Gedichte, Reime oder kleine Ansprachen auswendig gelernt, Hilfsmittel