Fremdsprachliches Lernen und Gestalten nach dem Storyline Approach in Schule und Hochschule. Doris Kocher
sondern auch in der Ausbildung von Lehrkräften, um zu ermöglichen und zu gewährleisten, dass sich ganzheitliche und integrative Konzepte im Klassenzimmer nachhaltig durchsetzen können:
The challenge for teacher education is to:
practice what it preaches; i.e. to model values;
give more responsibility to student teachers as learners;
provide an explanation of continuity and change in relation to the professional role of the teacher
make learning truly experiential (Ebd., 57).
Ähnliche Gedanken bezüglich einer effektiven Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften werden auch von Van den Branden (2006b) im Kontext des Task-based Learning formuliert.3
Mir persönlich scheint das Storyline-Konzept als vielversprechende Möglichkeit, um die im vorigen Kapitel genannten Desiderate hinsichtlich des lebenslangen (Fremdsprachen-)Lernens in einer komplexen, schnelllebigen und sich ständig wandelnden Wissensgesellschaft erfolgreich in die Praxis umsetzen zu können – vorausgesetzt, das Modell wird in seiner Ganzheit betrachtet und verstanden. Dies ist allerdings nicht über das Lesen eines einzelnen Fachartikels möglich, sondern erfordert von Lehrenden eine entsprechende pädagogische Einstellung mit vielfältigen und anspruchsvollen Kompetenzen4 sowie eine handlungsorientierte und reflektierte Rezeption des Konzepts, die wiederum den Bogen zur Theorie spannt.5 Dabei darf nicht vergessen werden: Das Lernen und Lehren nach dem Storyline-Modell kann man nicht verordnen! Man muss davon überzeugt sein – wie eine Kollegin aus England: “I began to understand the power of the Storyline method and most importantly the fun which it can bring to teaching, both for the pupils and for the teachers“ (Mitchell-Barrett 2010, 178).
Ich selbst würde Storyline heute allerdings nicht mehr als „Methode“ bezeichnen (vgl. z.B. Kocher 1999), sondern eher als umfassendes Lernkonzept (vgl. z.B. Kocher 2016), das auf einer spezifischen pädagogischen und philosophischen Einstellung basiert und den ganzen Menschen im Blick hat, nicht nur einzelne (fremdsprachenbezogene) Fertigkeiten und Teilkompetenzen: “Storyline is in the heart an attitude, not an instrument“ betont Letschert (2006, 31). Dem kann ich nur beipflichten. Schwänke und Plaskitt (2016) behaupten: “Storyline is more than a method; you might call it a pedagogy. Certainly it is a unique approach to active learning (and teaching)“ (Ebd., 54). Storyline ist definitiv kein „schnelles Rezept“, das man unreflektiert kopieren kann, sondern ein kreativer und komplexer Ansatz6, den man verstehen, würdigen und verinnerlichen muss, um Storyline-Projekte konzipieren und implementieren zu können. In Fallstudie 7-9 (Teil B) soll untersucht werden, wie Lehramtsstudierende in diesen Prozess einbezogen werden können.
3 Grundlagen einer konstruktiv(istisch)en Lernkultur
3.1 Einleitung
Sage mir, was du denkst, und ich denke mir, was du meinst (Theodor Bardmann)
Die häufig zu vernehmende Unzufriedenheit mit schulischen Leistungen, die noch dazu in internationalen und nationalen Studien als berechtigt attestiert wird, hat in den vergangenen Jahren zu vielseitigen Überlegungen geführt, die auch für den Fremdsprachenunterricht und die Hochschullehre von Bedeutung sind. Unter dem Vorzeichen der angestrebten Optimierung von Lernprozessen und der Vermittlung von entsprechenden Werkzeugen, die das lebenslange Lernen fördern sollen, beschäftigt man sich in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen verstärkt mit Theorien und Modellen, die das Problem des „trägen Wissens“ und der Kluft zwischen Wissen und Handeln erklären und vor allem beheben sollen (Gruber u.a. 2000).1 Es stellt sich darüber hinaus immer wieder die generelle Frage danach, wie wir Wissen erwerben und wie wir lernen.
Wirft man einen Blick allein auf die Veröffentlichungen in der Allgemeinen Pädagogik bzw. Didaktik2 sowie in der fachspezifischen Didaktik3 der letzten Jahre, dann gewinnt man den Eindruck, dass konstruktivistische Strömungen im Bildungsbereich immer mehr an Bedeutung gewinnen und „derzeit große Aufmerksamkeit“ erfahren (Haß 2010, 179), obwohl das Gedankengut an sich nichts Neues darstellt, sondern auf eine sehr lange Entwicklung zurückblicken kann. Erst durch die Thematisierung und äußerst kontrovers geführte Diskussion des Radikalen Konstruktivismus ist das konstruktivistische Denken vor einigen Jahren wieder ins Zentrum des Interesses geraten, und zwar auf internationaler Ebene und in ganz unterschiedlichen Bereichen – so auch in der Fremdsprachendidaktik im deutschen Sprachraum. Vergessen scheinen heute so manche Grabenkämpfe, man geht nun offensichtlich dazu über, die Theorie in pädagogische Praxismodelle zu integrieren, was meines Erachtens der aussichtsreichere Weg ist. „Der Konstruktivismus hat sich zu einer der führenden Lerntheorien der Gegenwart entwickelt“, behaupten Urhahne, Wilde, Marsch und Krüger (Urhahne u.a. 2011, 116), und Volkmann (2010, 206) geht mit seiner Aussage sogar noch einen Schritt weiter: „Der Konstruktivismus hat sich als moderne Auffassung des Lehr-Lern-Vorgangs durchgesetzt“.
Wie aber sieht die Unterrichtspraxis aus? Aus meiner Sicht herrschen behavioristische Ansätze mit einem starken Fokus auf Instruktion in vielen Lernkontexten noch immer vor – auch im Fremdsprachenunterricht, wenn man an die sinnentleerten Drills und wenig kommunikativen „Frage-Antwort-Spielchen“ des gängigen Unterrichtsalltags denkt. Offenbar fehlt es vielerorts noch an Konzepten und Modellen, die zeigen, wie die Theorie konkret in die Praxis umgesetzt werden kann. Der Storyline Approach bietet hier meines Erachtens viele Chancen.
Klarzustellen ist zunächst einmal, dass es „den“ Konstruktivismus nicht gibt (auch wenn ich den Begriff aus Gründen der Leserfreundlichkeit hier vorläufig so verwende), sondern dass es sich dabei um eine Denkströmung handelt, die sich aus vielen verschiedenen Einzeldisziplinen speist und auf diese wieder zurückwirkt. Beteiligt sind an der heutigen wissenschaftlichen Diskussion vor allem Philosophie, Biologie, Neurophysiologie, Kybernetik, Sprachwissenschaften, Psychologie und die Pädagogik. Vermutlich ist gerade dies mit ein Grund dafür, dass die Diskussion um konstruktivistische bzw. verwandte Ansätze sehr uneinheitlich und verwirrend geführt wird, da unter dem Begriff „Konstruktion“ ganz unterschiedliche Vorstellungen subsumiert werden, so dass es wohl angemessener wäre, von „Konstruktivismen“ zu sprechen (Reich 2004, 33).4
Disziplinen | Personen | Disziplinen | Personen |
Evolutionstheorie | Riedl | Wissenschaftstheorie | Janich, Mittelstraß |
Neurobiologie | Maturana, Varela | Gehirnforschung | Roth, Singer |
Kognitionsforschung | von Glasersfeld, Mandl | Emotionsforschung | Ciompi |
Kommunikationswissenschaft | Watzlawick | Sprachwissenschaft | Vygotskij |
Wissenssoziologie | Luckmann, Searle | Systemtheorie | Luhmann |
Psychotherapie | Stierlin, Simon | Pädagogik | Reich, Kösel |
Sozialpsychologie | Gergen | Philosophie | Schmidt |
Tab. 1:
Disziplinen des Konstruktivismus und ihre Vertreterinnen bzw. Vertreter (Siebert 2005, 15)
Unbestritten ist dagegen die Tatsache, dass die traditionellen, einseitig behavioristisch geprägten Vorgehensweisen im Unterricht nicht zukunftsfähig sind und deshalb