Literarische Mehrsprachigkeit im österreichischen und slowenischen Kontext. Группа авторов

Literarische Mehrsprachigkeit im österreichischen und slowenischen Kontext - Группа авторов


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newly kindled interest takes on some of the more intricate questions regarding the phenomenon of small literatures, not least the terminology used to designate them. By presenting and commenting on some of the terms used since the beginning of the 20th century, this article seeks to give an overview of the descriptive topics inherent in the terminology. In a second step, the paper will engage with the critical discussion on the concept of ‘littérature mineure-minor literature’ developed by Gilles DeleuzeDeleuze, Gilles and Félix GuattariGuattari, Félix in their landmark essay Kafka. Pour une littérature mineure (1975). By presenting a provisional typology of small literatures in the European context, the heterogeneity of the different types of literatures hitherto subsumed under the label ‘minor literatures’ will be highlighted and the limits of the applicability of the latter term will be pointed out. This will be done more specifically by showing how the term fails to account for the specificity of small multilingual literatures. This overall critical stance towards the authoritative concept of Deleuze and Guattari will lead us to reflect on the conceptualisation of the term ‘small literatures’ and to propose some initial ideas on its potential to figure as an analytical and functional descriptive tool.

      Keywords: small literatures, littérature mineure, comparative literature, centre–periphery, typology

      Die Forschung im Bereich der kleinen Literaturen weist seit Neuestem einen vielversprechenden Aufschwung in der Vergleichenden Literaturwissenschaft auf. Das belegen nicht nur die eigens für diesen neuen Forschungsbereich organisierten Panels bei der 2016 in Wien stattgefundenen Konferenz der International Comparative Literature Association1 und, ein Jahr später, bei der American Comparative Literature AssociationDominguez, César2 in Utrecht, sondern auch die Tatsache, dass Konferenzen und Themenbände in internationalen Zeitschriften3 kleinen Literaturen gewidmet sind. Das von César DominguezDominguez, César initiierte internationale Netzwerk Small/Minor Literary Cultures, das Forscher miteinander verbindet, die diese Literaturen von einem theoretischen und empirischen Standpunkt aus behandeln, ist ein weiterer bedeutender Meilenstein im Aufbau dieses neuen internationalen Forschungsbereichs.4 Angesichts dieses regen Interesses bietet es sich an, sich näher mit den Begrifflichkeiten zu befassen, mit denen bisher gearbeitet wurde, um das Phänomen der kleinen Literaturen zu analysieren.

      Denn ganz zu Recht stellt sich die Frage, was denn nun überhaupt mit kleinen Literaturen gemeint ist. Weshalb ist es wichtig, zwischen verschiedenen Typen zu unterscheiden? Und welche Rolle spielt die Mehrsprachigkeit in diesem Bestimmungsprozess? Diese für die Forschung grundlegenden Fragen will dieser Beitrag zumindest ansatzweise umreißen. Die im ersten Teil angeführte Übersicht über die Begriffe ist daher nicht in erster Linie als eine Aneinanderreihung der bisher gebräuchlichen Termini zu verstehen; sie verfolgt im Gegenteil einen erkenntnisorientierten Ansatz, der den Blick für die unterschiedliche Akzentsetzung schärfen soll, je nachdem, ob die Begriffe vonseiten der Forschung dominanter oder dominierter Literatursysteme vorgebracht werden. Unterschwellig geht es also auch darum, dem Blick von ‚außen‘ den Blick von ‚innen‘ entgegenzusetzen, um auf diese Weise Fremdzuschreibung und Selbstbeschreibung gegenüberzustellen. Des Weiteren erlaubt dieser Überblick über die Begriffsvielfalt, näher zu erläutern, wie der Forschungsgegenstand durch den literaturtheoretischen Diskurs bisher erfasst und mit welchen Paradigmen gearbeitet wurde.

      1 Begriffsübersicht

      Diese chronologisch angelegte Übersicht ermöglicht einen Einblick in die Beständigkeit verschiedener Beschreibungstopoi, wie zum Beispiel dem der legitimen Anerkennung und der Unbekanntheit, bzw. dem der fehlenden Sichtbarkeit, die sich seit den ersten Benennungsinitiativen am Anfang des 20. Jahrhunderts etablieren.

      Littératures à rayonnement limité – weniger verbreitete Literaturen

      Paul van TieghemTieghem, Paul van, der erste Historiker der französischen Komparatistik, spricht bereits in seinem 1931 erstmals veröffentlichten Band La littérature comparée von littératures à rayonnement limité, also von weniger verbreiteten Literaturen. Bezeichnend für die erste Phase der Schule der französischen Komparatistik war der Fokus auf internationale und vergleichende Literaturgeschichtsschreibung. In seinem Buch plädiert van Tieghem für die gleichwertige Anerkennung weniger verbreiteter Literaturen, wenn er fordert, dass die vergleichende Literaturhistoriographie ihnen ihren gleichmäßigen Platz einräumen soll. Anstatt sie in Kurznotizen oder in Addenda-Kapiteln auszulagern, sollte der Beitrag kleiner Literaturen in der allgemeinen Entwicklung der Literatur hervorgehoben werden, indem man sie und ihre wichtigsten Vertreter konkret mit den großen modernen Literaturen in Zusammenhang bringt (Van Tieghem [1931] 1946: 205–206). Ein ähnlich inklusiver Ansatz wurde schon von Hugó von MeltzlMeltzl, Hugo von verfolgt, der zwischen 1877 und 1888 das erste komparatistische Journal Acta Comparationis Litterarum Universarum (kurz ACTA) in Cluj herausgegeben hat. Meltzls Grundidee war darauf ausgerichtet, das komparatistische Prinzip für Goethes kosmopolitische Konzeption von Weltliteratur fruchtbar zu machen und es so von den reduzierenden und nationalistischen Auffassungen, denen es in diesem Zeitalter nationaler Literaturgeschichtsschreibung unterworfen war, zu emanzipieren (DamroschDamrosch, David 2008: 48). Meltzl war sich der Konsequenzen, die der Machtkampf zwischen Europas führenden Literaturen für die Sichtbarkeit kleiner Literaturen hatte, bewusst und sah in der Vergleichenden Literaturwissenschaft ein geeignetes Mittel, diese auf der internationalen Ebene zu fördern. So schreibt er in der ersten Ausgabe der ACTA:

      Our secret motto is: nationality as individuality of a people should be regarded as sacred and inviolable. Therefore, a people, be it ever so insignificant politically, is and will remain, from the standpoint of comparative literature, as important as the largest nation. The most unsophisticated language may offer us most precious and informative subjects for comparative philology. (Meltzl [1877] 2009: 45)

      Die Gleichstellung der Literaturen der Welt, wie sie hier gefordert wird, spiegelt sich in der ACTA in der Nebeneinanderstellung von Essays und Volksliedern auf Armenisch, Gälisch und Aztekisch mit Texten aus den damals dominierenden Literatursprachen wider.

      Wie in Meltzls Ausführungen dargestellt wird, ist der Topos der Unbekanntheit kleiner Literaturen, welcher sozioliterarisch betrachtet ein literatursystemisches und weltliterarisches Problem ist, nicht zuletzt dem Bekanntheitsgrad der jeweiligen Literatursprachen geschuldet, wie es die Formulierung ,literatures in lesser known languages‘ festhält. Letztere verdeutlicht die Korrelation zwischen dem Status und dem Bekanntheitsgrad der Sprachen und folglich der limitierten Sichtbarkeit von Literaturen in diesen Sprachen. Um zu veranschaulichen, wie die Verbreitung von Sprache und Literatur zusammenhängt, kann auf Abram de SwaansSwaan, Abram de Words of the World. The global language system (2001), eine linguistische Untersuchung zum ökonomischen Wert der Sprachen, hingewiesen werden. De SwaanSwaan, Abram de unterteilt die Sprachen der Welt in eine vierstufige Hierarchie und ordnet sie in den Kategorien ‚hyperzentrale‘, ‚superzentrale‘, ‚zentrale‘ und ‚periphere‘ Sprachen an. Als hyperzentrale Sprache identifiziert er das Englische, zu den superzentralen Sprachen zählen Arabisch, Chinesisch, Französisch, Deutsch, Hindi, Japanisch, Malaiisch, Portugiesisch, Russisch, Spanisch, Swahili und Türkisch. Über die etwa 100 zentralen Sprachen schreibt de Swaan, dass sie von 95 % der Weltbevölkerung gesprochen werden und allgemein in Bildungseinrichtungen, den Medien und der Verwaltung verwendet werden. Zudem handele es sich um die ‚nationalen‘ Sprachen unabhängiger Staaten. Als periphere Sprachen gelten 98 % aller Sprachen der Welt, die von weniger als 10 % der Weltbevölkerung gesprochen werden. Im Gegensatz zu den zentralen Sprachen sind periphere Sprachen als Sprech- und Erzählsprachen, nicht aber als Lese- und Schriftsprachen, als Gedächtnis- und Erinnerungssprachen, nicht aber als Aufzeichnungssprachen zu verstehen (De Swaan 2001: 4–6). Das von de Swaan angewandte Zentrum-Peripherie-Paradigma und die in ihm implizierten Dominanzstrukturen spielt, wie wir noch sehen werden, für die Untersuchungen zu der Verortung kleiner Literaturen in der Weltliteratur eine führende Rolle.

      Littérature mineure – minor literature – ‚kleine Literatur‘

      Der von Gilles DeleuzeDeleuze, Gilles und Félix GuattariGuattari, Félix geprägte Begriff der ‚littérature


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