Literarische Mehrsprachigkeit im österreichischen und slowenischen Kontext. Группа авторов
Rainier 2016: 171) Kafka. Pour une littérature mineure (1975) wird es konzeptualisiert und drei Charakteristika werden festgehalten. Ausgehend von Kafkas Überlegungen zu der Literatur kleiner Nationen definieren Deleuze und Guattari als ,littérature mineure‘ Literatur, die von einer Minderheit in einer großen (hyperzentralen, superzentralen) Sprache verfasst ist (Deleuze/Guattari 1975: 29). Ihre Auffassung begreift daher nicht prinzipiell Literaturen in kleinen (peripheren) Sprachen. Als Erkennungsmerkmale halten sie die Deterritorialisierung der großen Sprache, die Verzweigung individueller mit politischen Angelegenheiten und den Kollektivcharakter der Aussagen fest (ebd.: 29–33).
Die Wirkung des Begriffs in der Ausprägung durch die beiden französischen Philosophen ist, wie man weiß, beachtlich und hat die Herangehensweise an kleine Literaturen nachhaltig geprägt. Jede Anstrengung in Richtung einer Neukonzeptualisierung des Begriffs muss sich an ihren festgefahrenen Prämissen abarbeiten. Hervorragende Arbeit in diesem Sinne wurde bereits von Pascale CasanovaCasanova, Pascale (1997), Lise GauvinGauvin, Lise (2003) und Charles SabatosSabatos, Charles (2013) geleistet. Weiter unten will ich dagegen näher auf die Probleme eingehen, die sich aus der Anwendung des Begriffs ergeben.
Interregionale Literaturen / contact literatures
Der Begriff der Interregionalität wird Ende der 1980er Jahre von Johann StrutzStrutz, Johann entwickelt, um die spezifische sprachliche und kulturräumliche Situation der literarischen Kultur im Alpen-Adria-Raum zu beschreiben. Der Begriff erlaubt es, auf die konkreten vielschichtigen Interferenzen und Inkongruenzen zwischen den sprachkulturellen und politischen Zusammenhängen der Literatur(en) dieser spezifischen Region hinzuweisen (Strutz 1988: 201) und diese sowohl unterhalb (auf der Ebene der Region) als auch oberhalb der Nationalliteratur zu analysieren, ein Ansatz, der auch in dem von Andreas LebenLeben, Andreas geleiteten Forschungsprojekt zu ,überregionalen Interaktionsräumen‘ weiterentwickelt wurde.1 Im Mittelpunkt von Strutz’Strutz, Johann Untersuchungen stehen nicht Dominanzverfahren oder Fragen der internationalen Verbreitung, sondern Überlegungen zur Ausprägung von Interkulturalität und Mehrsprachigkeit. Beide Phänomene haben in der Erforschung großer, dominanter literarischer Kulturen seit einiger Zeit Hochkonjunktur und gehen hier auf das Aufkommen postkolonialer Literatur und Migrationsliteratur zurück. Strutz’Strutz, Johann Arbeiten unterstreichen dagegen, dass Verfahren der Interkulturalität und der Mehrsprachigkeit für kleine Literaturen immer schon relevant waren und es auch verstärkt noch immer sind.
Ähnlich regional wie StrutzStrutz, Johann verfährt auch der niederländische Komparatist Geert LernoutLernout, Geert, wenn er in Bezug auf kleine Literaturen von ,contact cultures‘ spricht. Bei Lernout wird der Einfluss anderer, großer Literaturen positiv gewendet:
The Low Countries, like the Alsace, Switzerland or Luxembourg, have always been ‘contact-cultures’, smaller cultural regions where often two or more national or linguistic cultures rub against each other. In that sense the cultural traditions in these regions have tended to be particularly open to other influences […]. (LernoutLernout, Geert 2014: 410)
Außerdem versteht LernoutLernout, Geert die Verarbeitung fremdliterarischer Einflüsse, wegen der kreativen Rezeption, die daraus erfolgt, nicht als einen Mangel an eigener Originalität oder Kreativität, sondern als Resultat literarischer und kultureller Vernetzungen in kleinen Literaturräumen:
In a small culture, it is difficult if not impossible to read the national literature without reference to its wider international artistic context, and writers in small countries themselves very often define their own poetics in terms of foreign influences. (ebd.: 417)
Dieses Selbstverständnis der kreativen Prozesse innerhalb kleiner Literaturen widersetzt sich der vor allem in der Weltliteratur lange anhaltenden Annahme, dass kleine Literaturen sich lediglich ‚reaktiv‘ zu den in den Zentren hervorgebrachten Neuerungen und Moden verhalten, selbst aber nur sehr wenig generatives Potential besäßen (Damrosch 2006: 214; D’haen 2012: 153).
Littératures de l’exiguïté – Literaturen der Kleinheit
Der Begriff wird 1992 von dem frankokanadischen Literaturwissenschaftler François ParéParé, François in seiner Studie Les littératures de l’exiguïté vorgeschlagen. ParésParé, François Begriff ist sehr weit angelegt und umfasst minoritäre Literaturen (wie die Literaturen verschiedener ethnischer Gemeinschaften Kanadas), koloniale Literaturen, Inselliteraturen und kleine nationale Literaturen. ParéParé, François hält für diese Literaturen fest, dass sie wenig verbreitet sind und dass ihr internationaler Stellenwert sich proportional umgekehrt zu dem Ansehen, das diese Literaturen in ihren Gesellschaften haben, verhält (GauvinGauvin, Lise 2003: 34). Relevant für Parés Studie ist, dass sie auf das literaturtheoretische Potential, das die Erforschung kleiner Literaturen bietet, verweist, besonders was das Hinterfragen von den aus den großen Literaturen abgeleiteten ästhetischen und literaturhistorischen Normativitäten anbelangt (Major 2001: 9).
Ultraminor literatures
In der neueren und vor allem in der systemisch angelegten Weltliteraturforschung wird auf eine terminologische Differenzierung zwischen groß/klein bzw. major/minor zurückgegriffen, um der Dynamik, dem Austausch und dem Wandel in dem in Zentren und Peripherien aufgeteilten Weltliteratursystem Rechnung zu tragen. Die Bezeichnung ‚kleine Literatur‘ findet hier eine breite, undifferenzierte Anwendung und wird sowohl für ,minority-group writing‘ als auch für die Literatur kleiner Länder verwendet (Damrosch 2009: 194). Des Weiteren gebrauchen die Forscher das Begriffspaar ,major/minor‘ in perspektivischer Sicht, was sich besonders gut am nordamerikanischen Kontext beobachten lässt. Mit ‚minor literatures‘ können hier folglich auch „works from languages and regions rarely represented on North American syllabi“ (ebd.) gemeint sein, also theoretisch gesehen auch solche, die in superzentralen Sprachen wie Swahili oder Türkisch geschrieben sind.
Einen letzten Begriff, den ich hier noch anführen möchte, ist das rezent von Bergur Rønne MobergMoberg, Bergur Rønne und David DamroschDamrosch, David vorgeschlagene Konzept der ,ultraminor literatures‘. Die Autoren nehmen Ausmaß und Raum als definierende Kriterien für ,ultraminor literatures‘ an. Räumlich verorten sie diese in ethnischen Enklaven und auf kleinen Inseln. Bezüglich des Ausmaßes heben MobergMoberg, Bergur Rønne und DamroschDamrosch, David hervor, dass
[…] the ultraminor size entails structural handicaps and a systemic lack of capacity and resources connected both to space and to time. In case of small islands, no hinterland, no metropolis, and perhaps not even any large towns, and for ultraminor communities generally, a sense of belatedness, clustered ideas, and a short historicity of modernity. (Moberg, Damrosch 2017: 134)
Neben diesen Defizit- und Prekaritäts-Kriterien werden Ausmaß der Sprachgemeinschaft, Alphabetisierungsrate, Vitalität mündlicher Traditionen, Zugang zu Publikations- und Archivierungsmöglichkeiten und Verbreitung als zusätzliche Kriterien angeführt.
Der analytische Nutzen des Konzeptes ergibt sich nach Aussage Mobergs und Damroschs ausschließlich, wie für die weltliterarische Perspektive üblich, im Vergleich mit größeren Literaturen. Die hier vorgeschlagenen Untersuchungsansätze sind spezifischer als der von DeleuzeDeleuze, Gilles und GuattariGuattari, Félix (siehe unten), da hier konkrete sozioliterarische Überlegungen mit soziohistorischen Fragestellungen verbunden werden. Andererseits ist, ähnlich wie bei DeleuzeDeleuze, Gilles und GuattariGuattari, Félix, die politische Dimension von Bedeutung, denn ,ultraminor literatures‘ sind nicht selten gefährdete Literaturen, die dazu gezwungen sind, Überlebensstrategien zu entwickeln.
Das Aufkommen des Begriffs der ,ultraminor literatures‘ kann als Reaktion auf die Kritik an der neueren Weltliteraturforschung gesehen werden. Beanstandet wurde unter anderem, dass trotz der Verlagerung von einer eurozentrischen zu einer globaleren und inklusiveren Auffassung des Weltliteraturbegriffs die neuen Forschungsansätze frühere Prinzipien der Exklusion, der Provinzialisierung, der Peripheralisierung und der Marginalisierung kleiner Literaturen aufrechterhalten (D’haen 2013).
2 DeleuzeDeleuze, Gilles und GuattariGuattari, Félix revisited