Literarische Mehrsprachigkeit im österreichischen und slowenischen Kontext. Группа авторов

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Kritiken und ähnlichen Rezeptionsformen die wirksame Präsenz literarischer Werke außerhalb ihres heimatlichen Umfeldes ermöglichte (vgl. Damrosch 2003: 4), entwickelte sich ab dem 19. Jahrhundert vor dem Horizont des Metadiskurses über die Wortkunst als ästhetisch autonomem Raum für den sprachlich-kulturellen Austausch zwischen den Völkern und Zivilisationen weiter. Wie Pascale CasanovaCasanova, Pascale (1999: 155) betont, waren die Nationalliteraturen im langen 19. Jahrhundert zwischen zwei Pole gespannt: Eine Seite sprach sich für die Verwurzelung der Heimatsprache und -literatur aus, die andere Seite hingegen orientierte sich an den vorgeblich höher entwickelten, moderneren Zentren. Aus dieser Perspektive hätten sich die Nationalliteraturen mit der Verinnerlichung universeller ästhetischer und humanistischer Werte der Weltliteratur auf eine höhere Entwicklungsstufe gehoben. Allgemein positionierten sich die Nationalliteraturen international, durch gegenseitige Nachahmung und wettbewerbsorientierte Vergleiche, auch wenn das von ihren Protagonisten geleugnet wurde. Als Maßstab für die internationale Anerkennung der Werke einer Nationalliteratur, die auf die Bestätigung durch die Eliten der Metropolen warteten, stellte man sich auf dem kosmopolitischen Pol eine generalisierte ästhetische Transzendenz aus Musterwerken vor, die sich im ewigen Kanon der Menschheit gefestigt hatten oder internationalen Ruhm genossen.

      Das moderne nationale Literatursystem formierte sich – insbesondere wenn es ein peripheres war – typischerweise so, dass das multifunktionale Schrifttum, das in einer Situation wirkte, in welcher die Volkssprache im Schatten der kosmopolitischen, staatlichen beziehungsweise imperialen Sprache stand, nach und nach zu einer einsprachigen Literatur mit ästhetischer Bestimmung bereinigt wurde. Das Paradoxe daran ist, dass die Standardsprache, die in der sog. nationalen Ökologie zum Identitätsmarker der Volksgruppe wurde, als Vernakular nach dem Muster einer kosmopolitischen oder kaiserlich-imperialen Sprache – zum Beispiel des Lateinischen – grammatikalisch standardisiert wurde (vgl. Beecroft 2015: 153–178). Dabei wurde die nationale Standardsprache grammatikalisch, lexikalisch und rhetorisch auf eine Weise kultiviert, die mit dem Verhältnis zwischen dem Nationalen und dem Weltweiten in der Literatur übereinstimmt: Über den Wissenschafts- und Kunstdiskurs sowie die bildungsbürgerliche Eloquenz absorbierte sie Thematiken, Register und Imaginationen, die von internationalem Prestige, zivilisatorischer Zentralität und Universalität zeugen sollten.

      Die dialektische Wechselbeziehung zwischen Nationalem und Weltweitem bei der Entstehung der ästhetischen Literatur kann durch die Geschichte vom Übergang vom multifunktionalen, mehrsprachigen Schrifttum in Slowenien zur einsprachigen slowenischen Literatur veranschaulicht werden (vgl. Juvan 2012: 235–284). Ende des 18. Jahrhunderts formuliert der Protagonist des ersten slowenischen Lyrik-Almanachs Pisanice od lepeh umetnost, der Klassizist Anton Feliks DevDev, Anton Feliks, in seinen slowenischen Gedichten das utopische Programm für die lexikalisch-grammatikalische Standardisierung einer (Krainer) Volkssprache, auf welche die Blütezeit der Krainer Literatur und die Geburt der hiesigen Klassik nach Vorbild des antiken Parnass folgen sollten. Wie BeecroftBeecroft, Alexander also für die Vernakularisierung allgemein feststellt, positioniert Dev das entstehende nationale literarische Ökosystem vor dem normativen Hintergrund des latinistischen Kosmopolitismus und der griechisch-lateinischen Klassik. Fortgesetzt wird die Geschichte mit dem romantischen Dichter PrešerenPrešeren, France, der zwar auch in der Kaisersprache Deutsch publizierte, seine Lyrik in slowenischer Sprache jedoch als Beitrag zum Kultivierungsprozess verstand, durch welchen die slowenische Standardsprache gerade auf dem Gebiet der Lyrik die Stufe einer höher entwickelten und einflussreicheren Kultursprache erreichen sollte. Im Kreise des Lyrik-Almanachs Krajnska čbelica stellte er, unterstützt durch die ästhetisch-philosophischen und komparatistischen Konzepte Matija ČopsČop, Matija, die im Entstehen begriffene nationale Ökologie vor den Hintergrund einer globalen Ökologie, d.h. in Beziehung zur Weltliteratur. Diese erhielt in Goethes Weimar gerade zu dieser Zeit ihre Begrifflichkeit. Im Geiste des ästhetischen Universalismus der Gebrüder SchlegelSchlegel, August Wilhelm versuchte Prešeren das lyrische Slowenisch auf eine international vergleichbare Ebene zu stellen, indem er die Vorstellungswelten, Versformen und Stilregister der Weltliteratur von der antiken Klassik über europaweit anerkannte mittelalterliche und neuzeitliche Meister der Dichtkunst bis hin zu neueren berühmten Autoren wie zum Beispiel Gottfried A. BürgerBürger, Gottfried A., George N. ByronByron, George N. oder Adam MickiewiczMickiewicz, Adam intertextuell verarbeitete.Prešeren, France5 Als die Nationalbewegung in ihrer politischen Phase Prešeren bis zum Ende des Jahrhunderts posthum als Nationaldichter kanonisierte, vollendete sich auch der Prozess, durch welchen die einsprachige ästhetische Literatur zur nationalen Institution wird (vgl. Močnik 2006: 219–226). Der Kulturnationalismus begreift die slowenische Literatur auf Grundlage des nationalen Ökosystems nach BeecroftBeecroft, Alexander als fundamentale gesellschaftliche Bindung, die in den öffentlichen Medien die in unterschiedliche Klassen, Territorien, verwaltungspolitische und dialektale Einheiten gespaltene Gemeinschaft der Slowenen vereinheitlicht. Die Ansätze einer nationalen Literaturgeschichte mit ihren narrativen Interpretationen ergänzen auf fachlicher Ebene die innerliterarischen und politischen Strategien, mit welchen sich eine Nation ein Vergangenheitsbild erschafft, indem sie sich – wie in BeecroftsBeecroft, Alexander allgemeinem Konzept der nationalen Literaturökologie (2015: 197–215) dargestellt – selektiv die vernakuläre Überlieferung aneignet, andererseits aber die frühere Mehrsprachigkeit marginalisiert und auf die Vorherrschaft des kosmopolitischen Lateinischen vergisst. Mehr noch, im 19. Jahrhundert entsteht die lang andauernde ideologische Vorstellung von der Nationalliteratur als Ersatz für die fehlenden politischen Institutionen.

      Und die Weltliteratur? In ihrem ursprünglichen Konzept, das den transnationalen Kreislauf, den gleichberechtigten interkulturellen Austausch zwischen den Nationen und Zivilisationen, ihren wechselseitigen Dialog und ihr gegenseitiges Verständnis begrüßte, war die Weltliteratur mehrsprachig. Sie forderte kosmopolitische Offenheit und Polyglottismus, pries jedoch gleichzeitig die vermittelnde Bedeutung des Übersetzens. Die vergleichende Literaturwissenschaft als neue literaturgeschichtliche Disziplin, die ab der Mitte des 19. Jahrhunderts versuchte, die nationale Literaturgeschichte zu übertreffen, berücksichtigte von ihren Anfängen an den über das Nationale hinausgehenden Horizont (vgl. Schulz/Rein 1973). Auch bei der Behandlung der Weltliteratur betont sie bis heute die Mehrsprachigkeit und fordert deshalb den philologischen Vergleich von Texten im Original (vgl. Étiemble 2012; Spivak 2003; Apter 2013). Anders als die vergleichende Literaturwissenschaft halten sich die World Literature Studies, die sich aus der akademischen Auseinandersetzung mit den großen Werken der Menschheitsgeschichte entwickelt haben, lieber an die Übersetzung. Wie unter anderen auch Astradur EysteinssonEysteinsson, Astradur (2006) betont, ist die überwiegende Daseinsform der Weltliteratur gerade die Übersetzung. Jede Sprache und jede Nationalliteratur aktualisiert über die Übersetzungen auf ihre Weise die Repertoires der Weltliteratur. Die Weltliteratur ist also mehrsprachig, jedoch nicht so sehr aufgrund der Mehrsprachigkeit der Originale als vielmehr wegen der Mehrsprachigkeit der Übersetzungen.

      Jedoch waren die Sprachen, deren Literaturen die Weltliteratur bilden, nie gleichberechtigt, und auch die einzelnen Literaturen hatten nicht den gleichen Zugang zu transnationaler Zirkulation. Davon sprachen bereits vor Jahren Pascale CasanovaCasanova, Pascale (1999) und Franco MorettiMoretti, Franco (2000, 2016), die beiden Theoretiker der Asymmetrie zwischen den Zentren und Peripherien im weltweiten literarischen Raum. So beherrschen die Weltliteratur bereits seit zumindest zweihundert Jahren die Nationalliteraturen der großen, staatspolitisch und militärisch einflussreichen Staaten, welche dem Zentrum des wirtschaftlichen Welt-Systems angehören. Unter den Sprachen, welche die Repertoires der Weltliteratur bildeten und distribuierten, herrschen also die sog. Weltsprachen vor (vgl. Eoyang 2003; Heilbron 2010). Wie bei der ersten unter ihnen, dem globalen Englisch, handelt es sich hierbei in der Regel um große Sprachen mit imperialem oder kolonialem Hintergrund.

      Den ökonomischen Schnittpunkt zwischen den beiden asymmetrischen Systemen der Sprachen und der Literaturen bildet das transnationale Verlagswesen. Die Metropolen, in welchen sich die transnationalen Verlage befinden, sind also der bedeutendste Faktor, sie „konsekrieren“ ein einzelnes Werk und schicken es durch die Übersetzung in eine Weltsprache und mit den Empfehlungen der Autoritäten aus den Metropolen in den weltweiten Umlauf (Casanova 1999: 165–175, 180–187; Sapiro 2016). Erich Auerbach ahnte bereits im Jahr 1952 die Gefahr hinter einer derartigen Globalisierung des Literarischen. Er sah voraus, dass sich die Weltliteratur


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