Frühkindlicher Trilinguismus. Laia Arnaus Gil

Frühkindlicher Trilinguismus - Laia Arnaus Gil


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Faktor, der den Zugriff auf Sprachwissen beim DrittspracherwerbDrittspracherwerb bestimmt, ist der Sprachbeherrschungsgrad. Ein hoher Beherrschungsgrad der L2 wird hiernach den Drittspracherwerb beeinflussen, d.h. die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass der Lerner beim L3-Erwerb auf seine L2 zugreift. Auch besteht laut FalkFalk, Ylva & BardelBardel, Camilla (2010) ein Zusammenhang zwischen dem Beherrschungsgrad der L3 und der Wahrscheinlichkeit, dass sich der Lerner auf seine anderen Sprachen stützt. Ein niedriger Beherrschungsgrad in der L3 geht mit einer hohen Wahrscheinlichkeit einher, dass eine der anderen Sprachen des Lerners eine Rolle spielt. Ferner wird vermutet, dass bei einem niedrigen Beherrschungsgrad der L3 eher die weniger gut beherrschte L2 aktiviert wird als die muttersprachlich beherrschte L1. Wird die L3 auf einem hohen Niveau beherrscht, so steigt die Wahrscheinlichkeit des Zugriffs auf eine sehr gut beherrschte L2 bzw. auf die L1.

      Die genannten Unterscheidungen haben in drei große Hypothesen des Drittspracherwerbs gemündet, die wir im Folgenden vorstellen werden.

      1.2 Das Cumulative Enhancement Modell

      Cumulative Enhancement ModellFlynnFlynn, Suzanne, FoleyFoley, Claire & VinnitskayaVinnitskaya, Inna (2004) zeigen in einer Studie zum Erwerb des EnglischenEnglisch als Drittsprache durch Muttersprachler des KasachischenKasachisch, die als L2 RussischRussisch erworben haben, dass der DrittspracherwerbDrittspracherwerb kumulativkumulativ ist. Das bedeutet, dass alle vor der Drittsprache erworbenen Sprachen potenziell einen Einfluss auf den Erwerb einer weiteren Sprache haben können. Die Autorinnen gehen weiter davon aus, dass es beim Drittspracherwerb zu einer Steigerung der Fähigkeiten kommt; der Einfluss aus der L1 und der L2 ist also positiv. Dies steht im Gegensatz zu Modellen des L2-Erwerbs, bei denen von negativem Transfer bzw. Interferenzen ausgegangen wird (vgl. MüllerMüller, Natascha 2016: Kapitel 5), die den Erwerbsverlauf negativ beeinflussen, da sie ihn verzögern.

      Bevor die Verfasserinnen die eigentliche Studie vorstellen, welche sich mit dem Erwerb von Relativsätzen im EnglischenEnglisch als L3 befasst, wird das grammatische Phänomen im L1-Erwerb näher beleuchtet. Die Resultate sind hier eindeutig. Die angewandte Methode ist die der imitierten Elizitation, welche in MüllerMüller, Natascha et al. (2015: Kapitel 5) genauer vorgestellt wird. Im Erstspracherwerb werden freie Relativsätzefreier Relativsatz bevorzugt. Diese werden besser von Kindern wiederholt. Relativsätze mit einem semantischen Bezugswort (Kopf) und mit einem semantisch leeren Bezugswort werden von den Kindern oft in freie Relativsätzefreier Relativsatz umgewandelt. Der umgekehrte Fall kommt selten vor. Die Autorinnen halten für den L1-Erwerb des EnglischenEnglisch das Primat der freien Relativsätze fest.

10. Freier Relativsatz: Cookie Monster hits what pushes Big Bird
11. Semantischer Kopf: Big Bird pushes the balloon which bumps Ernie
12. Semantisch leerer Kopf: Ernie pushes the thing which touches Big Bird

      Wird das Englische als L2 erworben, so lassen sich die folgenden Resultate festhalten. Sprechen die L2-Lerner JapanischJapanisch als L1, so ist der freie Relativsatzfreier Relativsatz, wie im L1-Erwerb, ein Vorläufer für den Relativsatzerwerb. Ist die L1 Spanisch, so stellt der freie Relativsatzfreier Relativsatz keine Vorstufe im L2-Erwerb des EnglischenEnglisch dar. FlynnFlynn, Suzanne et al. (2004:7) führen diesen Unterschied auf unterschiedliche grammatische Eigenschaften der L1 zurück. Im Falle des Spanischen haben die Lerner bereits Erfahrungen mit einer Sprache gesammelt, die eine sehr ähnliche Wortabfolge aufweist wie die L2 ((S)VO und rechtsverzweigendrechtsverzweigend, d.h. der Relativsatz folgt dem Bezugsnomen). Japanisch ist eine OV-SpracheOV-Sprache und linksverzweigendlinksverzweigend, d.h. der Relativsatz steht vor dem Bezugswort. Beide Eigenschaften werden in (13) deutlich.

13. John-wa Mary-ga kaita hon-o yonda
JohnThema MaryNominativ wrote bookAkkusativ read
John read the book that Mary wrote

      Die Erfahrung mit einer L1, die eine ähnliche Wortstellung aufweist wie die L2, wirkt sich beim L2 Erwerb also positiv aus.

      Kommen wir auf die eigentliche Untersuchung des DrittspracherwerbsDrittspracherwerb zurück. Mit Hinblick auf das Untersuchungsziel sind die Sprachen in der Studie sehr gut gewählt: Die L1 der Probanden ist Kasachisch, das mit Hinblick auf die Abfolge von Relativsatz und Bezugsnomen wie das Japanische funktioniert. RussischRussisch, die L2 der Lerner, ist wie das Spanische rechtsverzweigendrechtsverzweigend. Diese Sprachkombination erlaubt es der Frage nachzugehen, ob der Einfluss auf das Englische (L3) überhaupt erfolgt und wenn ja, ob die L2 die einflussnehmende Sprache darstellen kann.

      Das Untersuchungsergebnis lautet, dass der freie Relativsatzfreier Relativsatz bei den erwachsenen L3-Lernern nicht als Vorläuferstruktur beim Relativsatzerwerb im EnglischenEnglisch dient. Das Ergebnis ist identisch mit dem von spanischsprachigen Lernern des EnglischenEnglisch. Die Umwandlung von Relativsätzen mit Bezugswort in freie Relativsätzefreier Relativsatz konnte also nicht beobachtet werden. FlynnFlynn, Suzanne et al. (2004:13) folgern, dass „experience with any prior language can be drawn upon in subsequent acquisition“. Außerdem zeigen die Beobachtungen, dass „language acquisition is accumulative, i.e. the prior language can be neutral or enhance subsequent language acquisition“ (Flynn et al. 2004:14).

      Die Untersuchung von Flynn et al. (2004) umfasst auch eine Gruppe von Kindern, die Kasachisch als L1 erworben haben. Daran schloss sich bei den Kindern der Erwerb des Russischen und EnglischenEnglisch als L2 an. Interessanterweise zeigten diese Kinder Umwandlungen der Relativsätze mit Bezugswort in freie Relativsätzefreier Relativsatz und höhere Akkuratheitswerte für die freien Relativsätze. Sie sind somit den L1-Englischlernern und den L2-Lernern mit JapanischJapanisch als L1 ähnlich. Die Verfasserinnen folgern daraus, dass

      when the L2 and L3 are acquired simultaneously or near-simultaneously, as in the case of our child subjects, acquisition of relative clauses in L3 English resembles that of L1 English, or of L2 English by speakers with no right-branching language to draw on. This suggests that when the L2 is still ‘in progress’, its influence on L3 acquisition is not the same as it is when L2 and L3 are sequential. (Flynn et al. 2004:14)

      Für den in dieser Einführung im Vordergrund stehenden frühkindlichen TrilinguimusTrilinguismus kann aus der Untersuchung von Flynn et al. (2004) geschlossen werden, dass der Spracheneinfluss separat untersucht werden muss und Ergebnisse aus der L2- bzw. L3-Forschung nicht ohne weiteres auf den TrilinguismusTrilinguismus übertragen werden können. RothmanRothman, Jason (2011:110) spricht in Bezug auf die Forschungsarbeit von Flynn et al. (2004) von einem „scaffolding effect“, mit anderen Worten: „previous linguistic knowledge is predicted to transfer in multilingual development only when such knowledge has a bootstrapping effect, otherwise, transfer is expected to not obtain“. Diese Sichtweise würde, übertragen auf den frühkindlichen Trilinguismus, bedeuten, dass dieser sehr erfolgreich vonstattengeht, da durch den Erwerb von drei Sprachen Kinder mit mehr grammatischen Möglichkeiten konfrontiert werden, die sie nutzen können, um sich den Spracherwerb zu erleichtern. Sehr vorsichtig dürfen wir auf der Basis des Cumulative Enhancement ModellsCumulative Enhancement Modell (CEM) vermuten, dass trilingual aufwachsende Kinder in bestimmten grammatischen Bereichen besser abschneiden als Kinder, die nur eine oder zwei Sprachen von Geburt an erwerben.

      1.3 Das Typological Primacy Modell

      RothmanRothman, Jason (2011) argumentiert im Rahmen des Typological Primacy ModellsTypological Primacy Modell (TPM), dass Transfer selektivselektiv ist und die typologischeTypologie NäheNähe der zuvor erworbenen Sprachen zu der L3 eine Rolle spielt. Die untersuchten Sprachen in der Forschungsarbeit sind die Drittsprachen Spanisch und PortugiesischPortugiesisch. Eine Lernergruppe hatte als L1 ItalienischItalienisch, als L2 Englisch. Die andere Lernergruppe hatte als L1 Englisch und als L2 Spanisch. In der einen Gruppe war also die L1 der L3 typologischTypologie nahe, in der anderen Gruppe die L2. Das TPM besagt nun, dass die Art und


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