Frühkindlicher Trilinguismus. Laia Arnaus Gil
Simona (2013) berichtet über ein mit den drei Sprachen TagalogTagalog (Sprache der Mutter), Spanisch (Sprache des Vaters) und Englisch (Umgebungssprache und Sprache der neun Jahre älteren Schwester) aufwachsendes Kind (Kathryn) in Los Angeles. Die Datenbasis setzt sich aus Tagebuchaufzeichnungen und 16 neunzigminütigen Sprachaufnahmen (spontane Interaktion) im Alter von zirka 1;4 bis 2;1 zusammen. Sie analysiert die lexikalischelexikalisch, phonologischephonologisch und syntaktischesyntaktisch Entwicklung des Mädchens und kommt zu dem Ergebnis, dass sehr wenige Beeinflussungen stattfinden, die Sprachen also von Beginn an getrennt werden. Zu diesem Ergebnis kommt auch ChevalierChevalier, Sarah (2015), die zwei dreisprachige Kinder (Englisch, Französisch, SchweizerdeutschSchweizerdeutsch) in der Schweiz untersucht, jeweils in einsprachiger (deutscher bzw. französischer) Umgebung. Die Studie von KazzaziKazzazi, Kerstin (2011) über zwei mit FarsiFarsi (Sprache des Vaters), Deutsch (eine der Sprachen der bilingualen Mutter, die sie aber in der Interaktion mit ihren Kindern kaum benutzt, vgl. Kazzazi 2011:68) und Englisch (die andere Sprache der Mutter, die sie in der Interaktion mit ihren Kindern gebraucht) in Deutschland aufwachsende Kinder darf ebenso als Beleg für eine sehr frühe Sprachentrennung interpretiert werden. HoffmannHoffmann, Charlotte & WiddicombeWiddicombe, Susan (1999) untersuchen einen von Geburt an trilingual aufwachsenden Jungen (Englisch-ItalienischItalienisch-Französisch) im Alter von 4;4 und stellen fest, dass gemischtsprachliche Äußerungen mit allen drei Sprachen sehr selten sind (vgl. WiddicombeWiddicombe, Susan 1997). Von 174 Mischungen mit der BasisspracheBasissprache Englisch (Sprache der Mutter) und den Sprachen Französisch (UmgebungsspracheUmgebungssprache) oder Italienisch (Sprache des Vaters) enthalten nur 12 Beispiele Sprachmaterial aus allen drei Sprachen, z. B.: I’m going to leave some ATTREZZI to to to RÉPARER LA MAISON (vgl. HoffmannHoffmann, Charlotte 1999:20).
Mit Blick auf die grammatische Entwicklung ist MontanarisMontanari, Simona Studie weltweit die ausführlichste, weshalb sie hier genauer vorgestellt werden soll. MontanariMontanari, Simona (2010, 2013) geht der Frage nach, ob die trilinguale Kathryn bereits in den ersten Aufnahmen über drei getrennte Lexika verfügt. Hierzu werden die ÜbersetzungsäquivalenteÜbersetzungsäquivalent in einem Zeitraum von 1;4 bis 2;0 angesehen. Diese Methode ist aus der Bilinguismusforschung hinreichend bekannt und beispielsweise bei VolterraVolterra, Virginia & TaeschnerTaeschner, Traute (1978) und HolowkaHolowka, Siobhan, Brosseau-LapréBrosseau-Lapré, Françoise & PetittoPetitto, Laura-Ann (2002) nachzulesen (vgl. DeucharDeuchar, Margaret & QuayQuay, Suzanne 2000:53). Übersetzungsäquivalente sind bei Mehrsprachigen, was Synonyme bei Einsprachigen darstellen. Im Durchschnitt hatten 26,4% von Kathryns Wörtern im Zeitraum von 1;4 bis 2;0 ein phonetisch distinktes Übersetzungsäquivalent in einer ihrer Sprachen (auch Dublette genannt, z.B. frío/maginaw „kalt“) oder in ihren beiden Sprachen (auch Triplette genannt, z.B. perro/aso/dog „Hund“). Die durchschnittliche Anzahl von DublettenDublette bzw. TriplettenTriplette unter den ersten 50 Wörtern betrug 28, also ein Drittel. Hiermit ist die von GeneseeGenesee, Fred & NicoladisNicoladis, Elena (2009) genannte Anzahl von 20 %-25% an ÜbersetzungsäquivalentenÜbersetzungsäquivalent als Evidenz für die Differenzierung von mehreren Lexika erreicht und es darf ab dem Alter von 1;6/1;7 bei Kathryn von einer Trennung der Lexika ausgegangen werden. In diesem Zusammenhang muss allerdings erwähnt werden, dass die ersten TriplettenTriplette erst ab einem Alter von 1;7 auftraten und insgesamt bis 2;0 nur 10 solcher TriplettenTriplette verzeichnet wurden. Die geringe Anzahl an TriplettenTriplette wird damit begründet, dass der Wortschatz des Tagalog zu 40 % aus englischen und spanischen Lehnwörtern besteht. MontanariMontanari, Simona kommt auf der Basis von Kathryns Erwerbsdaten zu dem Schluss, dass Evidenz für die Trennung von drei Lexika von Beginn an vorhanden ist: „productive trilingualism might be more easily attained when cognate languages are at play because lexical development in one language might bootstrap lexical development in the other“ (MontanariMontanari, Simona 2013:73).
Separate Lexika implizieren nicht notwendigerweise separate phonologischephonologisch Systeme. Aus diesem Grund geht MontanariMontanari, Simona (2013) der Frage nach, ob bei Kathryn die phonologischenphonologisch Systeme getrennt vorliegen. Sie kommt auch für diese zu dem Ergebnis, dass eine Trennung von Beginn an beobachtet werden kann (MontanariMontanari, Simona 2013:68).
Zur Ermittlung der sprachspezifischen Wortstellung hat MontanariMontanari, Simona (2013) die Mehrwortäußerungen von Kathryn im Alter von 1;7 bis 2;1 genauer betrachtet. TagalogTagalog ist eine Sprache, in der das Prädikat satzinitial steht. Englisch ist SVO geordnet, das Spanische variiert zwischen SVO und VOS in Abhängigkeit vom Informationsgehalt der einzelnen Konstituenten (vgl. 2.3.2.2)Konstituente. Obwohl die absolute Anzahl an analysierbaren Kombinationen gering ist, kann MontanariMontanari, Simona einen Unterschied zwischen Tagalog und Englisch aufzeigen. Sowohl Kathryn als auch der interagierende Erwachsene verwenden im Tagalog fast ausschließlich Mehrwortäußerungen, bei denen das Prädikat am Anfang steht. Im EnglischenEnglisch dominiert sowohl beim Kind als auch beim Erwachsenen die Abfolge Argument-Prädikat. Im Spanischen finden sich – wie erwartet – sowohl beim Kind als auch beim Erwachsenen beide Abfolgen, Prädikat-Argument und Argument-Prädikat. „These results confirm that Kathryn was displaying different ordering patterns depending on the language in which she was interacting and following input-dependent preferences“ (MontanariMontanari, Simona 2013:69).
MontanariMontanari, Simona (2013) untersucht ferner, inwieweit es Kathryn gelingt, ihre SprachwahlSprachwahl der des Interaktionspartners anzupassen. QuayQuay, Suzanne (2001, 2008), die über einen mit drei Sprachen (JapanischJapanisch, Englisch, Deutsch) aufwachsenden Jungen in Japan und ein mit ChinesischChinesisch, Japanisch und Englisch aufwachsendes Mädchen in Japan berichtet, und ChevalierChevalier, Sarah (2015) zeigen, dass es trilingual aufwachsenden Kindern schwer fällt, die schwache Spracheschwache Sprache zu gebrauchen, wenn diese von ihnen verlangt wird. Die Sprachwahl von Kathryn untersucht MontanariMontanari, Simona im Alter von 1;9-1;11 anhand von Sprachmaterial von insgesamt sechs Stunden, das sie in simultaner Interaktion mit der tagalogsprachigen Mutter, dem spanischsprachigen Vater bzw. der spanischsprachigen Großmutter und einer englischsprachigen Person zeigt. Hierfür wurden Kathryns einsprachige und gemischte Äußerungen analysiert. Bei den gemischten Äußerungen (meistens wurde ein Wort gemischt) wurde anhand von Vokabellisten geprüft, ob Kathryn aufgrund einer lexikalischen Lückelexikalische Lücke ihre Sprachen gemischt hat. In einem weiteren Schritt wurden die Gesprächsstrategien der Erwachsenen als Reaktionen auf Kathryns Mischungen untersucht. Hierbei war von Interesse, ob sich die Interaktionspartner als Reaktion auf die kindliche Mischung monolingual, bilingual oder trilingual verhalten haben. Das generelle Ergebnis ist hier, dass Kathryn in der Tat mehr TagalogTagalog als Englisch bzw. Spanisch mit der tagalogsprachigen Person verwendet; genauso für die anderen beiden Sprachen. Immerhin waren 80 % aller Wortmischungen im EnglischenEnglisch und Tagalog durch das Fehlen eines ÜbersetzungsäquivalentsÜbersetzungsäquivalent bedingt. Im Spanischen betrug die Anzahl nur 60 %, weshalb auch andere Faktoren für die SprachmischungenSprachmischung verantwortlich sein müssen als das Fehlen von Äquivalenten. Während die Erwachsenen SprachmischungenSprachmischung im Tagalog und EnglischenEnglisch eher sanktionierten, verhielten sich die spanischsprachigen Erwachsenen positiv hinsichtlich der SprachmischungenSprachmischung und tolerierten sie nicht nur, sondern förderten sie sogar, indem sie selbst vom Spanischen ins Englische wechselten: „the Spanish-speaking interlocutors repeatedly showed comprehension and appreciation of her English utterances, involuntarily suggesting to her that her mixes were not only being understood but they were appropriate“ (MontanariMontanari, Simona 2013: 71). Abschließend darf mit Hinblick auf die SprachwahlSprachwahl geschlussfolgert werden, dass diese bei Kathryn bereits mit unter zwei Jahren in Abhängigkeit vom Interaktionspartner erfolgt und dass SprachmischungenSprachmischung oft, aber nicht nur Vokabellücken als Grund haben.
Beim Umfeld 2 „Zwei Sprachen zu Hause, eine weitere Sprache im institutionellenInstitution Kontext“ handelt es sich im weiteren Sinne um simultansimultan bilinguale Kinder, die bereits während ihrer Kindheit eine dritte Sprache erwerben. In diesen Studien geht es um den Erwerb einer dritten Sprache im institutionellenInstitution Kontext und die Beantwortung der Forschungsfrage, ob es bilingualen Kindern leichter fällt, eine dritte Sprache zu lernen, als Kindern, die einsprachig in die Institution kommen. Diese Forschungsrichtung ist in den letzten zehn Jahren regelrecht explodiert. Im Gegensatz zu den longitudinallongitudinal (über mehrere Untersuchungszeitpunkte) angelegten Studien des Umfelds 1 werden