tali dignus amico. Vicente Flores Militello
und die Streitfrage, was bene vivere bedeutet. Aristipp vertritt den Menschentyp, der sich in ein Abhängigkeitsverhältnis zu mächtigen Menschen begibt und dessen Vorteile hervorhebt. Diogenes kritisiert den Verlust der Freiheit – wobei sich das Kynikerleben im Nachhinein als wahrhaft unfrei entlarvt. Natürlich scheint der Kyniker zunächst die moralisch bessere Position zu vertreten. Denn nach Diogenes gibt der cliens seine Freiheit auf, nur um sich etwas besseres Essen zu sichern7. Doch Aristipps Replik entkräftet den Vorwurf, der in der Formulierung regibus uti liegt, indem er gerade die Aktivität betont, die eben nicht Abhängigkeit, sondern eigenständiges Handeln bedeutet: Der verständige cliens setzt die reges für seine Bedürfnisse ein. Zwei Positionen werden jeweils mit dem Freiheitsmotiv verbunden, indem dieselbe Formulierung unterschiedlich nuanciert wird: Bescheidenheit macht zwar unabhängig von reges; die Kunst, reges für sich einzusetzen, führt dagegen zu Wohlstand. Aristipp dreht aber das Abhängigkeitsverhältnis um, indem er erklärt, dass er die Könige für seine Zwecke einsetzt – nicht sie ihn (vgl. auch Vers 20).
Dies wird im Kontrast zwischen scurror mihi und scurror populo gezeigt (19ff.). Denn Diogenes macht sich in aller Öffentlichkeit durch seine auffällige Lebensweise lächerlich, indem er sich wie ein Bettler verhält. Er macht sich vor dem populus zum Narren, indem er für die vermeintliche Freiheit (im Sinne von Unabhängigkeit) seine Würde aufgibt. Aristipp bleibt innerlich unabhängig, weil er durch sein geschicktes Handeln im Umgang mit den reges die eigene Situation bestimmt.8
Doch die semantische Nuancierung von scurror ist nicht einfach festzulegen. Wie Damon (1997, 109f.) bemerkt, wird scurra in dieser Horaz-Stelle zum ersten Mal in der römischen Literatur in einem Sinne eingesetzt, der auf die Gleichstellung mit einem Parasiten hindeutet.9 Horaz vermeide absichtlich den griechischen Begriff parasitus, um eine Differenzierung zur Νέα Κωμῳδία zu schaffen, und setzt dafür scurra ein. Tatsächlich wird scurra zu einem Begriff, der im folgenden Brief noch einmal eine zentrale Rolle spielt: als Gegensatz zu der Figur des aufrichtigen amicus im Rahmen eines patronus-cliens-Verhältnisses, vor allem als Schmeichler (dazu s.u.). In der vorliegenden Stelle deutet scurror aber offenbar auf eine gewisse parasitäre Abhängigkeit hin, die lächerlich wirkt. Aristipp wird vorgeworfen, scurra im eigentlichen Sinn (als Parasit an den Tischen der Mächtigen) zu sein; seine Replik macht Diogenes zum Parasiten des ganzen Volkes, nicht nur einzelner Mächtiger. Dass dabei Aristipps Wahl die bessere sei (rectius hoc et | splendidius multo est, 19f.), betont er selbst – und dass er Recht hat, wird im restlichen Teil der Epistel exemplifiziert.10
Da Aristipp mit seiner Lehre als Hedonist verschrien ist, muss der Horaz-Sprecher in der Ausdeutung der Anekdote explizit den Standpunkt des Kyrenaikers verteidigen (23‑32). Denn das ist der Überraschungseffekt der Epistel, dass Diogenes in der ethischen Diskussion einem Lehrer der Lust unterliegt. Der Vorteil von Aristipps Haltung liegt in der Anpassungsfähigkeit und Flexibilität, die Horaz hier als innere Freiheit zur Bewertung und Entscheidung für die Lebenssituation deutet, indem er umgekehrt die Rigidität des kynischen Wertesystems als Zwang zur Prinzipientreue auch in Äußerlichkeiten, wie der Wahl der Bekleidung und der Lebensumstände, entlarvt (epist. 1,17,23‑32):Horazepist. 1,17,23 32
omnis Aristippum decuit color et status et res, | |
temptantem maiora, fere praesentibus aequum. | |
contra, quem duplici panno patientia velat, | 25 |
mirabor, vitae via si conversa decebit. | |
alter purpureum non exspectabit amictum, | |
quidlibet indutus celeberrima per loca vadet | |
personamque feret non inconcinnus utramque; | |
alter Mileti textam cane peius et angui | 30 |
vitabit chlanidem, morietur frigore, si non | |
rettuleris pannum. refer et sine vivat ineptus. |
Die clientela wird im folgenden Abschnitt (33‑42) neu bewertet, und zwar nicht als passive Unterstützung und Abhängigkeitsverhältnis, sondern als eine aktive Leistung: principibus placuisse viris wird als ruhmvolle Tat (non ultima laus est) beinahe mit den prestigeträchtigen Betätigungen und dem Gipfelpunkt im Leben eines römischen Staatsmanns gleichgesetzt: Taten zu vollbringen und einen Triumph feiern zu dürfen. Das sind patrizische Werte, die nur der Elite zustehen.11 Diesen Vergleich, der den Widerspruch eines jeden Lesers herausfordern müsste, soll ein verbreitetes Sprichwort plausibel machen12Diogenianus7,16Zenobios5,37Aulus Gellius1,8,4(33‑37). Die Reise nach Korinth kann mit der Lebensreise verglichen werden: Der Aktive wird ans Ziel kommen, wer aus Angst daheimbleibt, erreicht nichts. Mit einer logischen Schlussfolgerung wird die Deutung der clientela als Lebensleistung vorbereitet.13 Grundlage ist die Definition von virtus. Sie wird etymologisch als viriliter facere (38) gedeutet; mit der semantischen Festlegung auf die Aktivität kann der Begriff auch inhaltlich gefüllt werden, er bleibt kein ungreifbares Abstraktum aus der Philosophie, kein nomen inane (41), sondern zeigt sich auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlichen Lebensbereichen, nämlich bei jedem, der etwas leistet, indem er onus auf sich nimmt (subit et perfert). Schlussfolgerung aus dieser Definition ist: Ein experiens vir, ein aktiver Mann, kann in jedem Bereich decus und pretium erwerben, auch als Klient.14
Pausanias39,1Strabogeogr. 12,3,36Nach dieser moralphilosophischen Rechtfertigung und theoretischen Vorbereitung folgen im letzten Teil der Epistel praktische Ratschläge für die erfolgreiche Betätigung als cliens. So ist das offene Betteln zu vermeiden (epist. 1,17,43‑45):Horazepist. 1,17,43 45
coram rege suo de paupertate tacentes | |
plus poscente ferent – distat, sumasne prudenter | |
an rapias –: atqui rerum caput hoc erat, hic fons. | 45 |
Der Ratgeber bietet also dem neugierigen Leser eine ars placendi. Wiederum verblüfft er in einem Paradoxon mit dem Hinweis, dass das Hauptziel (rerum caput) zwar das poscere ist, dass es aber nicht ausgeführt werden dürfe, weil sonst die finanzielle Unterstützung zur Überwindung der paupertas15 ausbliebe. Man dürfe sie also nicht offen ansprechen.16 Eine dialogische Szene, in der zunächst die Perspektive des cliens eingenommen wird, veranschaulicht, was dabei passiert. Der pauper trägt seine familiäre Notlage vor. Der Ratgeber zeigt, wie dieses Jammern auf andere wirkt: Der pauper degradiert sich zum Bettler (qui dicit, clamat: ‘victum date’, 48). Er sinkt noch tiefer als der scurra: Das ist ein Nachteil auf der Ebene der Selbstachtung (decus). Aber sogar auf der materiellen Ebene ist dieses Vorgehen unvorteilhaft. Denn durch sein Vorbild lässt er auch alle anderen pauperes in seinem Umfeld in den Bettelchor einstimmen. Das bedeutet, dass er die Almosen, die er beim Betteln erhält, sogar teilen muss. Horaz resümiert den Rat zum Verhältnis von tacere und plus habere mit einer Art Epimythion, indem er den cleveren Raben einführt, der sein Futter heimlich verzehrt (epist. 1,17,46‑51):Horazepist. 1,17,46 51
‘indotata mihi soror est, paupercula mater | |
et fundus nec vendibilis nec pascere firmus’ | |
qui dicit, clamat: ‘victum date.’ succinit alter: |