tali dignus amico. Vicente Flores Militello
(100‑102). Ist das gegeben, so dürfe man sich frei entscheiden, ob die Zufriedenheit in honos und dulce lucellum (102f.) oder in einem epikureischen λάθε βιώσας (secretum iter et fallentis semita vitae: 103) erreicht wird.25 Mit dem eigenen Beispiel erklärt der Horaz-Sprecher seine Zufriedenheit: Im Gebet an Jupiter um den Erhalt des Zustands (den er dank der cultura potentis amici gewonnen hat26) bringt er zum Ausdruck, dass letztendlich jeder Mensch für sein Glück (aequus animus, 112) selbst verantwortlich ist.
Die Epistel geht also das Problem des amicus-Begriffs an, indem die moralphilosophische Theorie und die praktische Erfahrung innerhalb des patronus-cliens-Verhältnisses zusammengeführt werden. Zunächst wird der Fehler von Extrempositionen (scurrantis species – species libertatis/virtutis) in der aristotelischen Mitte27 vermieden. Dann werden die Motive des scurra aus der wirtschaftlichen und sozialen Perspektive der patroni beurteilt, also unabhängig von allgemeingültigen moralischen Bewertungskriterien. Anschließend werden „Tugenden“ eingeführt, die zunächst eher auf sozial verträgliche Verhaltensweisen (nachgeben: cedere) als auf moralphilosophische virtutes hinweisen.28
Die wichtigste Aussage, auf die Horaz die Argumentation hinauslaufen lässt, ist dabei: Diese Verhaltensweisen erfordern größte Disziplin und Selbsterkenntnis. Sie können also nur auf der festen Basis moralphilosophischer Prinzipien verwirklicht werden (beim Adressaten wird daher genau das vorausgesetzt – er wurde schon in der an ihn adressierten epist. 1,2 als an Literatur und Philosophie interessierter junger Mann präsentiert29). Der ideale amicus ist also kein scurra, kein angepasster Schmeichler, und auch kein demonstrativer „Freigeist“, sondern ein ethisch gefestigter Mensch, dessen Verhalten gegenüber anderen (und besonderes gegenüber den patroni) auf der eigenen tranquillitas animi und der Zufriedenheit mit sich selbst (se sibi reddere amicum) beruht.30 Er muss sich nicht anpassen oder anderen etwas demonstrieren, weil er sich selbst ein amicus ist.
Resümee
In den besprochenen Episteln 1,7; 1,17 und 1,18 widmet sich der Horaz-Sprecher dem Problem der sozialen und finanziellen Abhängigkeit von einem mächtigen Gönner im moralphilosophischen Kontext. Dabei setzt er sein eigenes Verhältnis zu Maecenas als wirkungsmächtiges Beispiel ein, um die Probleme aus eigener Betroffenheit heraus glaubwürdig zu erörtern. Die Rezeption bei Martial und Juvenal weist darauf hin, dass Maecenas nicht kritisiert werden sollte, sondern vielmehr die demonstrierte Möglichkeit der freien Diskussion solcher Themen als Beweis einer echten Freundschaftsbeziehung verstanden werden konnte.
Aus einer Doppelperspektive (der des Klienten und der eines Kenners der Patrone) erteilt der Sprecher Ratschläge, die ethische Diskurse und ihre praktische Anwendung im sozialen Umfeld verbinden. Die philosophische Grundlage ist deswegen wichtig, weil das richtige Verhalten von Entscheidungsprozessen abhängt, die jeder selbst durchlaufen muss. Die Philosophie kann zwar Entscheidungshilfen und Denkanstöße geben, aber kein starres Regelwerk mit einer rigiden Unterteilung in Gut und Schlecht zur Verfügung stellen. Der Versuch, solche absoluten Regeln im Verhalten durchzusetzen, wird regelmäßig als Absurdität und als Scheintugend bloßgestellt. Die innere Freiheit, die vorher selbstverantwortlich erworben werden muss, ist damit der Schlüssel zur Freiheit innerhalb eines sozialen Abhängigkeitsverhältnisses.
4. Martial: Einzelaspekte und Perspektivenwechsel
Anders als Horaz interessiert sich Martial gattungsbedingt vor allem für die Darstellung konkreter officia innerhalb des patronus-cliens-Verhältnisses,1 etwa den Besuch der cena bei einem Patron, die Auszählung der sportula oder die morgendliche salutatio sowie die anteambulatio zum Forum. Wie man sehen kann, wurden auch solche Aktivitäten bei Horaz gelegentlich thematisiert (man denke an das mane cliens et iam certus conviva in epist. 1,7,75), jedoch eher als Nebenphänomene. Sozusagen horazischer verhält sich der Sprecher bei Martial, wenn er als Dichterklient auftritt und vor allem wenn er die Spannung zwischen amicitia und clientela beleuchtet. Dies geschieht hauptsächlich, weil sich hier an die gut bekannten Kontrastdiskurse von wahrer und falscher Freundschaft, urbs-rus, sowie libertas-servitus anknüpfen lässt. Was die Perspektive des martialischen Ich-Sprechers betrifft, ist, wie schon längst in der Forschung beobachtet wurde, zu bemerken, dass selbstreferenzielle bzw. autobiographische Anknüpfungen nur da in Betracht zu ziehen sind, wo sich der Ich-Sprecher seinen Adressaten gegenüber positiv verhält. Denn dies deutet darauf hin, dass diese nicht nur nicht fiktiv sind, sondern auch tatsächlich eine patronale Rolle Martial gegenüber spielten.2 Doch das Interesse der vorliegenden Arbeit liegt vor allem einerseits in der Darstellung problematischer Aspekte im patronus-cliens-Verhältnis, andererseits in der im Laufe der Epigrammbücher entwickelten Perspektive des Sprechers bei Martial, der ähnlich demjenigen bei Horaz eine Distanzierung von den als Last empfundenen städtischen Pflichten (bei Martial entsprechen sie offensichtlicher als bei Horaz klientelären Diensten) immer häufiger in der Landruhe sucht.3
Unter den regulären Kontaktsituationen eines Klienten im Rahmen des patronus-cliens-Verhältnisses, die in den Epigrammen Martials als besonders problematisch dargestellt werden,4 finden sich drei. Da sie schon ab dem ersten Epigrammbuch in folgender Reihenfolge auftreten, werden sie in der vorliegenden Arbeit demgemäß betrachtet: a) Die Einladung zur und Teilnahme an der cena beim patronus; b) die Abgabe und der Empfang der sportula (meistens als Geldsumme, gelegentlich auch als kleine Essensportion) als Belohnung für den cliens und schließlich, am unbeliebtesten, c) die salutatio, zu der der Klient allzu früh aufstehen und die schmutzige Stadt durchstreifen muss, um seinen Patron zu begrüßen und ihn dann auf das Forum zu begleiten (anteambulatio). Dabei wird d) das gespannte Verhältnis zwischen amicitia und clientela öfter vorausgesetzt. Denn die Terminologie der amicitia überschneidet sich mehrmals mit derjenigen der clientela. Dies heißt natürlich nicht, dass beide Begriffe gleichzusetzen sind, sondern vielmehr, dass anhand der amicitia-Begriffe verschiedene Aspekte des patronus-cliens-Verhältnisses vorgestellt werden: Einerseits als stillschweigende Voraussetzung des Abhängigkeitsverhältnisses an sich, andererseits als Ausdrucks- bzw. Kontrastmittel, um den Widerspruch zur tatsächlichen amicitia hervorzuheben. Im Folgenden werden diese vier Aspekte anhand der Analyse verschiedener Martial-Epigramme untersucht, so dass ein Gesamtüberblick über die Darstellungsweise der patronus-cliens-Problematik bei Martial möglich wird.
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