Homer und Vergil im Vergleich. Philipp Weiß

Homer und Vergil im Vergleich - Philipp Weiß


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eine geeignete Zielscheibe für seine Plagiatsvorwürfe gefunden.12 Der Kritikpunkt war dabei nicht die Benutzung fremden Materials an sich, denn für diese Praxis bot Lysimachos selbst das beste Beispiel, sondern die Absicht, unverändert übernommene wörtliche Zitate zu verschleiern, was er Ephoros mit dem Schlagwort κλοπή unterstellte. Diese Vorwürfe wurden in der zeitgenössischen Jambographie und Epigrammatik aufgegriffen, wie Porphyrios’ Hinweis auf Alkaios von Messene zeigt.13 Wie wir aus einer anderen Nachricht schließen können, dürften die unter dem Titel Συγκρίσεις gesammelten skoptischen Gedichte des Alkaios zumindest in Teilen der vergleichenden Methode gefolgt sein.14

      Der zweite Gewährsmann für Plagiate im Bereich der Geschichtsschreibung ist ein gewisser Pollio, dem Porphyrios drei Titel zuweist.15 Die ersten beiden Schriften wiesen unstatthafte Entlehnungen bei den Historikern Ktesias (ἐπιστολὴ πρὸς Σωτηρίδαν περὶ τῆς Κτησίου κλοπῆς)16 und Herodot (τοῦ δ҆ αὐτοῦ καὶ περὶ τῆς Ἡροδότου κλοπῆς ἐστι βιβλίον) nach. Auch bei der letzten Schrift, die den bezeichnenden Titel Ἰχνευταί (‘Spürnasen’) trug, standen wohl literarische Anleihen bei Geschichtsschreibern im Vordergrund (καὶ ἐν τῷ ἐπιγραφομένῳ Ἰχνευταί πολλὰ περὶ Θεοπόμπου λέγεται).

      Im Falle Theopomps, dem Pollios Interesse im letztgenannten Werk galt, ist die eingehende Auseinandersetzung mit den historiographischen Vorgängern und Konkurrenten bekannt. Neben einer Epitome aus Herodot17 trat er mit seiner griechischen Geschichte in direkte stoffliche Konkurrenz zu Xenophon.18 Dass es dabei zu zahlreichen inhaltlichen Entsprechungen kam, die ein übelwollender Kritiker als Plagiat schmähen konnte, liegt nahe. Bei Ktesias und Herodot liegt die Sache allerdings anders. Diese beiden Autoren vertraten in ihren Werken ausdrücklich einen Originalitätsanspruch, der sich aus dem von ihnen proklamierten Ideal der αὐτοψία ergab. Beschreibenswert war demnach nicht, was andere bereits geschildert hatten, sondern das, was man mit eigenen Augen gesehen hatte.19 Trotzdem ist auch bei den diese Autoren betreffenden Plagiatsvorwürfen davon auszugehen, dass sie sich auf umfangreichere stoffliche Anleihen bezogen, was jedoch bei Herodot und Ktesias schwerer als bei Theopomp wiegen musste.20

      Wie lässt sich der Autor aber chronologisch einordnen? Schon der Name des Pollio weist in die Kaiserzeit. Einen Datierungshinweis enthält außerdem die Angabe des Adressaten der Schrift über Ktesias. Es handelt sich bei Soteridas mit großer Wahrscheinlichkeit um den Vater der unter Nero lebenden Philologin Pamphila, von der wir wissen, dass sie neben anderen Geschichtswerken eine drei Bücher umfassende Epitome des Ktesias verfasst hatte.21 Die gelehrten Interessen der Tochter wären demnach bereits beim Vater vorgeprägt gewesen, dem in der biographischen Überlieferung eine Reihe von grammatischen Schriften zugewiesen wird.22

      Wenn man vom Interesse der Tochter an Ktesias auf die literarischen Vorlieben des Vaters schließen darf, so wird man in πρὸς Σωτηρίδαν im Titel der Plagiatsschrift des Pollio eine polemische Absicht erkennen dürfen und den Ausdruck nicht als bloße Angabe des Widmungsträgers zu verstehen haben. Pollion dürfte mit seiner Schrift also die Absicht verfolgt haben, den von Soteridas geschätzten Ktesias als Plagiator bloßzustellen.23

      Von der Schrift Περὶ συνεμπτώσεως πραγματεία des Aretades, die Porphyrios im Anschluss an Pollion erwähnt, können wir uns heute wohl keine nähere Vorstellung mehr machen.24 Immerhin begegnet die Vorstellung des συμπίπτειν gelegentlich im Zusammenhang mit Plagiatsfragen. Artemidoros von Daldis etwa erläutert in der Vorrede zum zweiten Buch der Traumdeutung seine wissenschaftliche Methode und weist nachdrücklich darauf hin, dass er unbeabsichtigte sachliche Übereinstimmungen mit seinen Vorgängern vermeiden möchte; in diesem Zusammenhang fällt der Begriff συμπίπτειν.25 Aretades hat demnach Parallelstellen verglichen, ohne dass man dabei eine polemische Tendenz gegen den bloßen Umstand der sachlichen oder sprachlichen Entsprechung annehmen dürfte. Wahrscheinlich hat Aretades nicht nur einen Autor behandelt, da er ja keine näheren Angaben im Titel macht; Porphyrios Einordnung der πραγματεία unter die Plagiatsschriften über Geschichtsschreiber legt aber immerhin eine entsprechende Gattungswahl bei Aretades nahe. Eine Datierung ins 2. Jhdt. v. Chr. erscheint zumindest plausibel.26

      Wir greifen mit den behandelten fünf Titeln also einen Forschungszweig, der spätestens seit alexandrinischer Zeit bestand. Kein Anlass besteht zu der Annahme, dass die in einem Teil dieser Schriften artikulierten Plagiatsvorwürfe stilistische bzw. sprachliche Entlehnungen betrafen. Vielmehr tadelte man – wenn überhaupt eine polemische Tendenz zu erkennen ist – die dreisten Versuche der Geschichtsschreiber, sachliche Einzelinformationen bzw. ganze Abschnitte ohne Ausweis der Quelle zu übernehmen. Ein wie auch immer theoretisierter Begriff von literarischer imitatio o.Ä. spielt dabei keine Rolle.

      Was lässt sich aber über die auf Dichter bezogenen Plagiatsschriften bei Porphyrios sagen? Zwei der genannten Werke behandelten Plagiate Menanders. Die Schrift des Aristophanes von Byzanz27 wird folgendermaßen umschrieben: ἐν ταῖς Παραλλήλοις αὐτοῦ τε καὶ ἀφ᾿ ὧν ἔκλεψεν ἐκλογαῖς. Es erscheint bedenklich, den Titel des Werks mit Παράλληλοι Μενάνδρου τε καὶ ἀφ᾽ ὧν ἔκλεψεν ἐκλογαί zu rekonstruieren, da der damit ausgedrückte κλοπή-Vorwurf der verschiedentlich bezeugten Hochachtung des alexandrinischen Grammatikers vor Menander widersprechen würde. Aristophanes sticht unter den alexandrinischen Gelehrten gerade wegen seiner Vorliebe für Menander hervor. Einmal lobt er in einem berühmten, bei Syrian erhaltenen Vers den Realismus Menanders28, ein andermal stellt er den Komödiendichter in einem inschriftlich überlieferten Epigramm sogar dem Homer an die Seite.29 Übrigens weist ja schon die Notiz des Porphyrios διὰ τὸ ἄγαν αὐτὸν φιλεῖν auf die positive Haltung des Aristophanes Menander gegenüber hin. Man rekonstruiert den überlieferten Titel also am besten als Παράλληλοι ἐκλογαί und weist den Einschub, der den eigentlichen Plagiatsvorwurf markiert (ἀφ᾿ ὧν ἔκλεψεν), dem Porphyrios zu.

      Nimmt man den Titel der Schrift aber ernst, dann dürfte es sich um nichts weiter als um eine tendenzlose Sammlung von einzelnen Passagen bzw. sprichwörtlicher γνώμαι gehandelt haben, in denen Menander bewusst auf andere Autoren zurückgegriffen hat bzw. zufällig mit ihnen übereinstimmt.30 Dass Aristophanes dabei insbesondere ältere und zeitgenössische Komödienautoren im Blick hatte, liegt nahe.31 Solche sammelnd-vergleichenden Studien passen auch gut zu den sonst bezeugten Forschungsinteressen der alexandrinischen Philologie. Ob Aristophanes in seinen Παράλληλοι ἐκλογαί auch die Überlegenheit Menanders hervorheben wollte, muss dahingestellt bleiben. Jedenfalls stellt er sich nicht nur mit dieser Schrift32 in die Tradition gnomologischer Sammelwerke; eine polemische Tendenz im Sinne eines Plagiatsvorwurfs ist in diesem Fall aber auszuschließen.

      Wir haben zumindest einen weiteren Hinweis, dass solche Parallelensammlungen auch in monographischer Form vorlagen. Ein Grammatiker namens Ptolemaios verfasste, wie wir aus dem zugehörigen Sudaartikel wissen, eine Sammlung ähnlicher Ausdrücke bei den Tragikern mit dem Titel Τὰ ὁμοίως εἰρημένα τοῖς Τραγικοῖς (= 79 frg. 1 Bagordo).33 Ptolemaios ist wohl in augusteische Zeit zu datieren.34 Jedenfalls hat er wie Aristophanes synkritische Studien betrieben und sich inhaltlich entsprechende Sentenzen (ὁμοίως εἰρημένα) zusammengestellt, ohne dabei freilich die Autorität der behandelten Tragiker – wohl eher die kanonische Trias als die spätere hellenistische Πλειάς – durch κλοπή-Vorwürfe in Frage zu stellen.

      In der Schrift des Latinos, der in sechs Büchern Περὶ τῶν οὐκ ἰδίων Μενάνδρου schrieb, finden wir diesen Typus der alexandrinischen Parallelensammlung vielleicht schon ins Polemische gewendet.35 Der Inhalt der Schrift wird aus dem erklärenden Zusatz τὸ πλῆθος αὐτοῦ τῶν κλοπῶν ἐξέφηνε deutlich – wenn wir hier


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