Homer und Vergil im Vergleich. Philipp Weiß

Homer und Vergil im Vergleich - Philipp Weiß


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– μανίας γὰρ τοῦτό γε –, ἀλλ’ οὐδ’ ἅπαντα ἐπίσης κατωρθῶσθαι. (Dion. Hal. Pomp. 1, 6 = 223, 3–12 Usener-Radermacher)

      („‘Beim Zeus’, sagst du, ‘doch hättest du nicht die Fehler Platons aufzählen müssen, wenn es deine Absicht war, Demosthenes zu preisen.’ Wie hätte sich dann aber meine Rede der schärfsten Prüfung unterziehen können, wenn ich nicht die besten Reden des Isokrates und Platons mit den hervorragendsten von Demosthenes verglichen und nicht völlig der Wahrheit gemäß gezeigt hätte, in welchem Bereich ihre Reden schwächer als seine sind, ohne dabei zu behaupten, dass sich jene Männer in jeder Hinsicht verfehlt hätten – das wäre nämlich reiner Wahnsinn –, sondern nur, dass nicht alles in gleicher Weise ausgearbeitet sei.“)

      Es ergibt sich also eine Akzentverschiebung: Während sich Gnaeus Pompeius ganz auf das Ergebnis der Synkrisis konzentriert, rückt dieser Aspekt für Dionysios in den Hintergrund. Diesem ist der Prozess des Vergleichens wichtiger. Zwar positioniert auch Dionysios seine drei Autoren auf einer imaginären Bestenliste, doch bringt es die Entscheidung für die „Wahrheit“ als leitendem Kriterium mit sich, dass die Bewertung der einzelnen Autoren differenzierter ausfällt, was grundsätzlich auch für den Erstplatzierten Demosthenes gelten muss – nur dass dieser eben verhältnismäßig wenig oder gar keinen Anlass zur Kritik gibt.

      Dionysios enttäuscht damit in mehrfacher Hinsicht die Erwartungen seines Lesers Gnaeus Pompeius: Die Bewertung Platons im Demosthenes widerspricht grundsätzlich der Einschätzung des Pompeius. Zugleich ist dieser aber irritiert, dass Dionysios nicht nur die negativen, sondern auch die positiven Seiten des Unterlegenen herausarbeitet und damit weder einen kunstgerechten Angriff4 noch einen ἔπαινος auf Platon vorbringt. Der vermeintliche ἔπαινος auf Demosthenes entspricht in den Augen dieses Lesers aber ebenfalls nicht den Regeln der Kunst, da Platon und Isokrates nicht wie zu erwarten pauschal abgewertet, sondern durchaus gerecht und differenziert behandelt werden.5 Der Grund für diese Verwirrungen ist klar: Gnaeus Pompeius geht nicht von der bei Dionysios getroffenen Unterscheidung zwischen ἔπαινος und διάγνωσις aus; er legt an alle Abschnitte der Schrift die Maßstäbe des ἔπαινος an.

      Zur Rechtfertigung seines methodischen Vorgehens beruft sich Dionysios in den Kapiteln 9–14 auf die Autorität Platons selbst, der mit der Gegenüberstellung verschiedener ἐρωτικοὶ λόγοι im Phaidros gewissermaßen einen Prototyp literaturkritischer Synkrisis geschaffen habe. Dionysios kommt es auf einen bestimmten Gesichtspunkt an, nämlich auf das grundsätzliche Verhältnis von Literaturvergleich und Polemik. Er setzt sich nämlich im gleichen Zug von seinem formalen Vorbild Platon ab, wenn er darauf hinweist, dass dieser im Gegensatz zu ihm aus „Eifersucht“ bzw. „Neid“ – φιλοτιμία6 – gehandelt habe, wenn er seinen Zeitgenossen Lysias durch Konfrontation mit einer selbstverfassten Rede herabsetzt; ein Charakterzug, der dann auch generell in anderen Schriften Platons, besonders aber in seinem Verhältnis zu Homer nachgewiesen wird. Das Autoritätsargument wird hier also mit dem bereits eingeführten Gesichtspunkt der Objektivität, d.h. der durch keine anderen Interessen gestörten Suche nach der „Wahrheit“, erweitert.

      Ein letzter Rechtfertigungsgrund kommt am Ende des Gedankengangs nur kurz ins Spiel, nämlich in Kapitel 16. Hier verweist Dionysios darauf, dass sich eine objektive, um die Wahrheit bemühte kritische Behandlung Platons auf eine Tradition berufen kann, die bis in die unmittelbare Zeitgenossenschaft Platons – verwiesen wird auf Aristoteles – zurückreicht:

      πολλοὶ γὰρ εὑρεθήσονται πρὸ ἐμοῦ τοῦτο πεποιηκότες, οἳ μὲν κατὰ τὸν ἐκείνου γενόμενοι χρόνον, οἳ δὲ λίαν ὕστερον ἐπακμάσαντες. καὶ γὰρ τὰ δόγματα διέβαλον αὐτοῦ τινες καὶ τοὺς λόγους ἐμέμψαντο πρῶτον μὲν ὁ γνησιώτατος αὐτοῦ μαθητὴς Ἀριστοτέλης, ἔπειτα οἱ περὶ Κηφισόδωρόν τε καὶ Θεόπομπον καὶ Ζωΐλον καὶ Ἱπποδάμαντα καὶ Δημήτριον καὶ ἄλλοι συχνοί, οὐ διὰ φθόνον ἢ διὰ φιλαπεχθημοσύνην κωμῳδοῦντες ἀλλὰ τὴν ἀλήθειαν ἐξετάζοντες. (Dion. Hal. Pomp. 1, 16 = VI 226, 6–15 Usener-Radermacher)

      („Viele aber wird man finden, die das vor mir getan haben, wobei die einen zu seiner Zeit gelebt haben, die anderen hingegen viel später. Manche aber kritisierten seine Lehren, andere tadelten seine Redeweisen, an erster Stelle der Schüler, der ihm am nächsten kam, Aristoteles, dann auch Männer um Kephisodoros, Theopompos, Zoilos, Hippodamas, Demetrios und viele andere, die ihn nicht aus Neid oder Streitsucht verlachten, sondern weil sie nach der Wahrheit suchten.“)

      Der Vergleich der Guten mit den Guten – ἀγαθοὺς ἀγαθοῖς ἀντεξετάζειν7 – kann sich also auf drei Argumente stützen: Die Autorität Platons selbst, die Objektivität einer von φιλοτιμία freien Wahrheitssuche, und die Tradition der in diesem Sinne tadellosen kritischen Vorgänger. Eine solcherart legitimierte synkritische Lektüre fügt sich – damit beendet Dionysios seine Rechtfertigung – ein in das Konzept einer „philosophischen Rhetorik“ (φιλόσοφος ῥητορική), ein Schlüsselterminus klassizistischer Literaturkritik:8

      τοσούτοις δὴ καὶ τηλικούτοις ἀνδράσι παραδείγμασι χρώμενος καὶ παρὰ πάντας τῷ μεγίστῳ Πλάτωνι οὐδὲν ἡγούμην τῆς φιλοσόφου ῥητορικῆς ποιεῖν ἀλλότριον ἀγαθοὺς ἀγαθοῖς ἀντεξετάζων. περὶ μὲν οὖν τῆς προαιρέσεως, ἣν ἔσχον ἐν τῇ συγκρίσει τῶν χαρακτήρων, ἱκανῶς ἀπολελόγημαι καὶ σοί, Γεμῖνε φίλτατε. (Dion. Hal. Pomp. 1, 17 = VI 226, 15–21 Usener-Radermacher)

      („Mit so vielen und so bedeutenden Männern als Vorbildern und insbesondere mit dem größten unter ihnen, Platon selbst, glaubte ich nichts zu tun, was der philosophischen Rhetorik widerspricht, indem ich die Guten mit den Guten verglich. Über meine Absichten, die ich beim Vergleich der Stile verfolgte, habe ich mich nun sogar für deine Begriffe, mein bester Geminos, ausreichend erklärt.“)

      An dieser Stelle wird deutlich, dass Dionysios die von ihm vorgeschlagene Methode der vergleichenden διάγνωσις über den i.e.S. rhetorisch-stilistischen Bereich hinaushebt und ihr eine allgemeine erzieherisch-bildende Funktion zuweist. Für die vorliegende Untersuchung ist diese spezifische Einbettung in ein geschlossenes didaktisches System mit hohen kulturellen Ansprüchen nur in Teilen von Relevanz. Wichtiger ist der allgemeine Hinweis, den Dionysios mit seiner Unterscheidung von ἔπαινος und διάγνωσις gibt: Nicht jede vergleichende Bewertung von Autoren impliziert automatisch eine Hierarchisierung dieser Autoren nach denselben Kriterien. Der Fokus verschiebt sich bei Dionysios wie erwähnt vom Ergebnis des Vergleichs hin zum Prozess des Vergleichens. Der Vergleich hat bei Dionysios nicht mehr das primäre Ziel, eine fixe Rangliste zu erstellen, sondern dient als heuristisches Instrument zur Identifizierung nachahmenswerter Stileigentümlichkeiten. Das eröffnet grundsätzlich die Möglichkeit, Autoren nach ihrer literaturgeschichtlichen Eigengesetzlichkeit zu beurteilen. Gerade


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