Homer und Vergil im Vergleich. Philipp Weiß

Homer und Vergil im Vergleich - Philipp Weiß


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den Nachahmer einwirken, der dadurch nicht auf der Oberfläche lehr- und lernbarer Stilistika, sondern auch dem Wesen nach Teil an ihnen hat. Damit wird der im traditionellen imitatio-Konzept unvermeidliche Qualitätsabfall vom Modell zum Nachahmer in gewissem Sinne aufgehoben, weil das klassische Modell auf den Nachahmer nun in der Weise wirkt, dass es ihm zeigt, wie er als ein der Natur analoger Schöpfer selbst schöpferisch tätig werden kann: Der Nachahmer wird dadurch zum originalen Schöpfer und kann auf diese Weise selbst als Klassiker wirken. – Aus der Forderung nach einer Orientierung an vorbildlichen Mustern resultierten bei den griechischen Klassizisten die Bemühungen, einen festen Kanon an Modellautoren zu definieren – im Bereich der Rede waren dies hauptsächlich die attischen Redner des vierten Jhdt. v. Chr. Dies geht einher mit der Abwertung der nun als Verfallsperiode deklassierten Zwischenzeit, also der hellenistischen Periode. – In Rom war die Definition einer „klassischen“ Modellepoche aufgrund der literaturgeschichtlichen Situation ungleich schwieriger, was zu verschiedenen Versuchen einer Kanondefinition führte (Lit.: → Kap. 1.2). Quintilians Kanon in inst. 10, 1 ist der systematisch anspruchsvollste Versuch in dieser Richtung, der aus der Antike erhalten ist. – Vgl. neben dem bereits zitierten Überblick bei Bauer zum imitatio-Konzept noch Flashar (1979), pass. und Görler (1979), pass.; dazu Kroll (1924), S. 139–184 und Farrell (1991), S. 3–25.

      Dass ein intentionaler Bezug angenommen wird und dieser Umstand bei ihrer ästhetischen Wertung eine Rolle spielt, lassen die Kritiker in der Regel durch die Verwendung von Termini wie sequi, aemulari etc. erkennen.7 Dem stehen, wie bereits erwähnt, die Vergleiche gegenüber, in denen eine derartige intendierte Abhängigkeit nicht explizit unterstellt wird. Die Möglichkeit einer relativen Bewertung der fraglichen Autoren bzw. Texte ist natürlich auch hier gegeben, sie muss aber von den besonderen Bedingungen einer bewussten Bezugnahme absehen, bei welcher der Vorlagentext selbst und die Art seiner Rezeption mehr oder minder verbindliche ästhetische Maßstäbe liefern, die der spätere Autor, aber auch der Kritiker in seinem Kalkül bzw. seiner Bewertung zu berücksichtigen hat.

      Betrachtet man die überlieferten Literaturvergleiche in ihrer historischen Entwicklung, so lässt sich diese doppelte Dichotomie von Methoden- und Gattungsbegriff bzw. „neutralem“ Stellenvergleich und expliziter imitatio-Kritik auch diachron genauer verorten.8 – Eine Reihe von überlieferten Titeln zeigt, dass die gegenüberstellende Anlage in monographischen Abhandlungen zu bestimmten Dichtern (→ Synkrisis als eigenständige Gattung) schon in vorhellenistischer Zeit verbreitet war.

      Monographische Gegenüberstellungen von Dichtern und Rednern sind seit dem vierten Jhdt. v. Chr. bezeugt, wiesen aber wohl eine erhebliche Divergenz in der Zielsetzung auf. Exemplarisch sei hier auf Herkleides Pontikos (ca. 390–320 v. Chr.) hingewiesen (alle Titel bezeugt bei Diog. Laert. 5, 86 = frg. 22 Wehrli): Die drei Bücher περὶ τῶν παρ’ Εὐριπίδῃ καὶ Σοφοκλεῖ behandelten wohl stofflich-sachliche Übereinstimmungen bei den beiden Tragikern (vgl. auch → Kap. 2.2.1).9 Ob die Schrift περὶ τῶν τριῶν τραγῳδοποιῶν im Umfang eines Buches in eine ähnliche Richtung ging, ist hingegen nicht mehr festzustellen. Die beiden Bücher περὶ Ἀρχιλόχου καὶ Ὁμήρου behandelten zwei Gattungsarchegeten; inwieweit hier tatsächlich ein Vergleich der beiden Autoren, etwa nach stilistischen Kriterien, stattgefunden hat, muss auch hier dahingestellt bleiben. Der Frage nach der relativen Datierung von Homer und Hesiod gingen schließlich die beiden Bücher Περὶ τῆς Ὁμήρου καὶ Ἡσιόδου ἡλικίας (vgl. Diog. Laert. 5, 86 = frg. 22 Wehrli) nach.10 – Eigenständige Schriften, die den Terminus σύγκρισις im Titel führten, sind dann erst aus späthellenistischer Zeit bezeugt: Kleochares von Myrlea stellte einen monographischen Vergleich zwischen Demosthenes und den Isokrateern an (Photios bibl. 176.121 B 9–15: … ἐν τῇ πρὸς τὸν Δημοσθένην συγκρίσει …)11, und von Poseidonios (135–51 v. Chr.) – nicht vom Astronomen Dionysios, wie Focke (1923), S. 343 vermutet – dürfte ein Schrift des Titels Περὶ συγκρίσεως Ἀράτου καὶ Ὁμήρου περὶ τῶν μαθηματικῶν stammen, in der die beiden Epiker nach ihren astronomischen Kenntnissen verglichen wurden.12

      Erst in hellenistischer bzw. nachhellenistischer Zeit wurde der Terminus σύγκρισις nach unseren Zeugnissen also für literaturvergleichende Monographien verwendet, wobei auch dann noch eine gewisse thematische Varianz – rhetorische Stilkritik im Falle des Kleochares vs. Realienkritik bei Poseidonios – für die so bezeichnete Textsorte charakteristisch bleibt. – Einen Vorläufer hatten derartige literaturvergleichende Schriften – ob sie nun den Terminus σύγκρισις im Titel trugen oder nicht – in der sog. Agonliteratur, in der der Agon als institutionalisierte Form der Auseinandersetzung zwischen zwei oder mehreren Dichtern literarisiert wird – am prominentesten vertreten im sog. Certamen Homeri et Hesiodi sowie in den Fröschen des Aristophanes.

      Einen wirklichen Aufschwung nahm die Synkrisis zumal als Methode literaturkritischer Bewertungsprozesse in den Stildebatten des ersten Jhdt. v. Chr. (vgl. auch → Kap. 2.2.2). Autoren wie Dionysios von Halikarnassos formulierten ein theoretisch anspruchsvolles Programm literarischer und kultureller Erneuerung, das sich in einem klassizistischen Rückgriff auf die „goldene Zeit“ des fünften und vierten Jahrhunderts v. Chr. vollzog. Ihr Bildungs- und Literaturverständnis war stark auf der Geltung anerkannter Autoritäten aus dieser „klassischen Zeit“ gegründet. Die Methode der Synkrisis war dabei ein Weg, eben diese Autorität und kanonische Stellung auszuhandeln und auf diese Weise brauchbare Muster überhaupt erst zu legitimieren. Neben zahlreichen Stilvergleichen zwischen den verschiedenen attischen Rednern liefert Dionysios von Halikarnassos in seinem Brief an Cn. Pompeius auch einen theoretischen Versuch, die Synkrisis methodisch zu rechtfertigen (→ Kap. 1.3.2):13 Das unausgesetzte Vergleichen der Besten mit den Besten setze die Unterlegenen nicht herab, sondern finde seine teleologische Begründung in einem nicht abschließbaren Prozess der Optimierung, in dem es darum geht, sich beständig der stilistischen Qualitäten der kanonischen Muster im Modus des Vergleichs zu versichern. Von dieser Lust am ständigen Vergleich, wie sie die Attizisten wohl schon vor Dionysios ausgeprägt hatten, zeugen auch zahlreiche Stellen in Ciceros Brutus.14

      In späteren Epochen, zumal im Umfeld der zweiten Sophistik, finden sich dann viele Beispiele für synkritische Bewertungen von Autoren und konkreten Texten.15 Zwei Vergleiche griechischer Dramatiker sind aus der kaiserzeitlichen Literatur überliefert, an denen die Charakteristika rein griechischer Literaturvergleiche – von Griechisch schreibenden Autoren und nur über griechische Texte – besonders klar hervortreten. – Ein kurzes Stück, das im Korpus der Schriften Plutarchs überliefert ist, in der überlieferten Form aber nicht von diesem Autor stammt, trägt traditionell den Titel Συγκρίσεως Ἀριστοφάνους καὶ Μενάνδρου ἐπιτομή.16 Der Text gibt sich als eine Zusammenfassung von Plutarchs Einschätzung über die beiden Hauptvertreter der Alten und der Neuen Komödie, Aristophanes und Menander. Es handelt sich dabei um einen generellen Autorenvergleich – es steht also keine spezielle Komödie im Zentrum –, der aber doch konkrete Textstellen zur Stützung des Arguments heranzieht. Die Gegenüberstellung geht zunächst von der Sprache der beiden Dichter aus und stellt hier entsprechende Qualitätsunterschiede heraus (Kap. 1–2). Sein Erfolg beim Publikum bestätigt die Qualitäten Menanders (Kap. 3). Abschließend wird der urbane Witz Menanders dem bissigen Spott des Aristophanes gegenübergestellt (Kap. 4). Es handelt sich hier also um einen nach formalen – Sprache und Witz – und biographisch-literaturgeschichtlichen – Erfolg bei den Zeitgenossen – Kategorien geordneten Vergleich. Texte kommen nur insofern in Betracht, als sie eine vorab festgestellte allgemeine Differenz belegen können.

      Das zweite Beispiel, Dions berühmte 52. Rede (περὶ Αἰσχύλου καὶ Σοφοκλέους καὶ Εὐριπίδου ἢ περὶ τῶν Φιλοκτήτου τόξων), stellt stattdessen durchaus konkrete


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