Linguistische Stil- und Textanalyse. Lars Bülow
Regelwissens eingeschätzt werden. Dabei ist Grammatikalität zu unterscheiden von Kategorien wie ‚Akzeptabilität‘ und ‚Angemessenheit‘, die insbesondere für die stilistische Analyse bedeutsam sind (vgl. Kap. 3.2.4). So können Sätze auch dann für kompetente Sprecher nicht akzeptabel sein, wenn sie grammatisch sind. Relevant können hierbei etwa die Satzlänge oder der Komplexitätsgrad eines Satzes in Zusammenhang mit einer bestimmten Kommunikationssituation sein. Beispielsweise ist der nachfolgende Satz (2) wohl nicht nur wegen seines Themas für ein Kinderbuch inakzeptabel, obwohl er das Kriterium der Grammatikalität erfüllt:
1 Die Anglerin, die die Rute, welche sie sich von ihrer Freundin, die sie bereits aus der Schule kennt, geborgt hatte, nicht zum Blinkern, das in manchen Gewässern verboten ist, einsetzen wollte, verhält sich meistens nach den Vorschriften.
Was von den Sprechern einer Sprache als akzeptabel oder inakzeptabel bzw. als grammatisch oder ungrammatisch bewertet wird, kann sich mit der Zeit und mit Blick auf den jeweils dominanten Sprachgebrauch und die jeweilige Kommunikationssituation ändern, denn Sprache unterliegt einem stetigen Wandel. Dieser Sprachwandel bewirkt auch, dass es Uneinheitliches und Schwankungen in Bezug auf die Bewertung von Sprache gibt. So wäre der Satz Die hebe ich auch immer auf, weil die ist so witzig. vor einigen Jahren noch eindeutig als inakzeptabel empfunden worden (weil in Hauptsatzstellung), ebenso wie die doppelte Negation im folgenden Textbeispiel (3), die im Mittelhochdeutschen akzeptabel und grammatisch war, heute als ungrammatisch gilt.3
1 Nû giengen sî ouch ezzen,und enwart des niht vergezzensî enbuten dem gastevolleclîcher vastealsô grôze êre4(Hartmann von Aue „Iwein“, Vers: 6545–6549 [Hervorhebung nicht im Original])
Zur Beschreibung von Sätzen
Das den Regularitäten des Deutschen entsprechende Inbezugsetzen von Wörtern ergibt größere Einheiten, die Verbindung dieser größeren Einheiten ermöglicht die Bildung von Sätzen. Nach Dürscheid können Sätze wie folgt definiert werden:
Sätze sind sprachliche Einheiten, die relativ selbständig und abgeschlossen sind. Sie bauen sich aus Phrasen auf; und sie erscheinen normalerweise in größeren selbständigen und abgeschlossenen, sprachlichen Einheiten, in Texten. (Dürscheid 2012, S. 56)
Syntaktische Beziehungen beziehen sich auf die Regularitäten des Satzbaus bzw. der Syntax. Neben der Linearität sind diese Beziehungen durch die Eigenschaften der Elemente bestimmt (Nominalphrasen können so u.a. Subjekt- oder Objektstatus haben). Wesentliche syntaktische Bausteine sind die Phrasen. Da der Kern bzw. Kopf von Phrasen jeweils durch eine spezielle Wortart und ihre Eigenschaften bestimmt ist, werden zunächst kurz die verschiedenen Wortarten charakterisiert, im Anschluss daran häufige Phrasentypen beschrieben.
Wortarten
Wörter lassen sich aufgrund ihrer grammatisch-lexikalischen Eigenschaften Wortarten zuordnen.1 Gängige Wortartklassifikationen gehen in der Regel von morphologischen Kriterien aus, wie der grundlegenden Unterscheidung zwischen flektierbaren und nicht-flektierbaren Wörtern bzw. bei erstgenannten zwischen deklinierbaren und konjugierbaren (vgl. Abb. 8):
Wortartendifferenzierung nach morphologischen Kriterien
Substantive, Adjektive, Artikel und Pronomen sind deklinierbar, d.h., sie enthalten Kasus-, Numerus-und Genusinformationen. Diese Kategorien sind im Deutschen folgendermaßen gegliedert:
Kasus: | Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ |
Numerus: | Singular, Plural |
Genus: | Maskulinum, Neutrum, Femininum |
Verben sind konjugierbar. Sie können nach Merkmalen der Kategorien ‚Person‘, ‚Numerus‘, ‚Tempus‘, ‚Modus‘ und ‚Genus verbi‘ bestimmt werden, worin sich folgende Teilkategorien spiegeln:
Person: | 1., 2., 3. |
Numerus: | Singular, Plural |
Tempus: | Präsens, Präteritum, Perfekt, Plusquamperfekt, Futur I, Futur II |
Modus: | Indikativ, Konjunktiv I und II, Imperativ |
Genus verbi: | Aktiv, Passiv |
Darüber hinaus wird zwischen offenen und geschlossenen Wortklassen unterschieden. Offene Wortklassen können insbesondere durch Wortbildung ständig erweitert werden. Zu ihnen gehören die lexikalischen Inhaltswörter, sog. Autosemantika (Substantive, Verben, Adjektive). Geschlossene Wortklassen umfassen die grammatischen Funktionswörter, sog. Synsemantika, die die Inhaltswörter eines Syntagmas verbinden (z.B. Präpositionen, Konjunktionen). Geschlossene Wortklassen unterliegen diachron betrachtet deutlich geringeren und langsameren Veränderungen als offene.
Im Vergleich zu anderen deklinierbaren Wortarten verfügen Substantive über ein relativ festes Genus. Gelegentlich kommt es auch zu Genusschwankungen, die in den meisten Fällen regional bedingt sind (z.B. die/das Cola; vgl. Kap. 3.2.2). Die Genuszuweisung erfolgt nicht zufällig, sondern ist von semantischen, phonologischen, morphologischen und pragmatischen Kriterien abhängig (vgl. Köpcke/Zubin 2009). In semantischer Hinsicht können Substantive in Abstrakta (z.B. Freiheit, Liebe, Würde), Konkreta wie Appellativa (z.B. Stuhl, Bibliothek) und Stoffsubstantive (‚nicht zählbare Entitäten‘ z.B. Wasser, Mehl) sowie Eigennamen (z.B. Paul, Bello) unterschieden werden.
Die Besonderheit der Wortart Adjektiv besteht in ihrer Fähigkeit zur Bildung von Vergleichsformen (Komparation), die sie neben dem Positiv (z.B. schön) auch Komparativ- und Superlativformen bilden lässt (z.B. schöner – am schönsten). Adjektive lassen sich attributiv (4a), prädikativ (4b) und adverbial (4c) verwenden. In der prädikativen und adverbialen Verwendung werden sie nicht dekliniert.
1 a) die schöne Fraub) Die Frau ist schön.c) Die Frau schreibt schön.
Innerhalb der Wortart Artikel wird zwischen bestimmten und unbestimmten Artikeln unterschieden. Mit dem bestimmten Artikel werden – im Gegensatz zum unbestimmten – Substantive verbunden, die in der Kommunikationssituation von den beteiligten Kommunikationspartnern eindeutig zugeordnet werden können. Von den Artikeln lassen sich die Pronomen mitunter schwer abgrenzen, weshalb sie in einigen Grammatiken zu einer Wortart zusammengefasst werden (vgl. Duden-Grammatik 2006 oder Boettcher 2009a). Auch Pronomen determinieren die Referenz des Substantivs, wobei sie als Begleiter an die Position des Artikels treten oder als Stellvertreter das Substantiv (bzw. die ganze Nominalphrase) ersetzen können. Eine mögliche Unterscheidung von Pronomen ist die folgende:
Personalpronomen: | z.B. ich, du, er |
Possessivpronomen: | z.B. mein, dein, sein |
Demonstrativpronomen: | z.B. dieser, diese |
Indefinitpronomen: | z.B. alle, einige, manche |
Reflexivpronomen: | z.B. sich |
Interrogativpronomen: | z.B. wer, was, welches |
Relativpronomen: | z.B. der, die |
Verben bilden die konjugierbare Wortart. Sie besteht zum überwiegenden Teil aus Vollverben, die sich durch eine selbstständige lexikalische Bedeutung auszeichnen und durch Wortbildung erweitert werden können. Vollverben lassen sich u.a. folgenden semantischen Gruppen zuordnen:
Handlungsverben: | z.B. waschen, anrufen |
Zustandsverben: | z.B. schlafen, sitzen |
Vorgangsverben: | z.B. blühen, regnen |
Als spezifische Gruppen von Verben können darüber hinaus Hilfsverben, Modalverben und Kopulaverben unterschieden werden.
Als Hilfsverben werden die Verwendungsweisen von haben, sein und werden als Exponenten morphologischer Kategorien, d.h. etwa als analytische Tempus- und Diathesenformen (z.B. Perfekt,