Der Aufstieg der Ultra-Läufer. Adharanand Finn
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Es war ein Uhr morgens, als der Flug mit mir und etwa zehn weiteren Läufern an Bord – inklusive dem deutschen Paar Gudrun und Hansmartin, die ich bereits im Flugzeug kennengelernt hatte – in Muscat ankam. Eigentlich dachten wir, dass man uns bereits erwartete und direkt in unser Hotel brächte. Umso verärgerter war ich dann, als der Veranstalter, der uns am Flughafen empfing, meinte, dass wir hier auf den Bus warten müssten, dieser aber erst um neun Uhr käme.
„Wartet einfach da in dem Café“, bemerkte er flapsig, ganz so, als ob ein Kind ihm eine lästige Frage gestellt hätte. Sein Englisch war auch nicht gerade das Beste und ich fragte mich, ob ich ihn nicht vielleicht missverstanden hätte.
„Im Café warten? Für acht Stunden?“, fragte ich nach, wobei ich meine Stimme wohl etwas zu viel erhob. Das konnte wohl nicht sein Ernst sein. Vor uns lag ein 165-Kilometer-Marathon durch die Wüste. Wir brauchten unsere Erholung. Doch er zuckte nur mit den Achseln, zog seine Kappe tiefer ins Gesicht und gab vor, mich nicht zu verstehen.
Ich war knapp davor, ihm zu sagen, dass ich von der Financial Times sei und er mit uns nicht so umgehen könne. Um mir etwas moralische Unterstützung zu sichern, drehte ich mich jedoch erst zu meinen Mitstreitern um. Aber da war niemand mehr. Nur noch die leere Ankunftshalle. Wo waren die alle hin?
Als ich schmollend davontrabte, bemerkte ich, dass, während ich die ganze Zeit auf Rumpelstilzchen gemacht und lautstark protestiert hatte, die anderen Läufer – nachdem sie von der Verzögerung gehört hatten – ruhig ihre Schlafmatten und Schlafsäcke hervorgeholt und sich in der Ankunftshalle einen Platz zum Schlafen gesucht hatten. Einen Moment lang stand ich verwirrt da. Wussten die etwas, das ich nicht wusste? Oder war das so ein Ding bei Ultra-Läufern, alles einfach so hinzunehmen?
Schlussendlich kam der Bus dann drei Stunden früher als erwartet und brachte uns alle in eine komfortable Hoteloase in einem engen Tal, umgeben von berghohen Dünen. Die Reaktion der anderen Läufer auf diesen kleinen Vorfall war jedoch etwas, an das ich die nächsten Jahre immer wieder denken sollte, als ich ein verrücktes Ultra-Rennen nach dem anderen bestritt.
Die Dünen rund um die Hoteloase waren so hoch, dass man darauf mit Snowboards hätte fahren können, aber die Einheimischen bevorzugten es, sie mit ihren auf Hochglanz polierten Geländefahrzeugen immer wieder auf und ab zu fahren. Im Gegensatz dazu verwendeten wir Läufer da natürlich unsere Beine, als wir alle nacheinander aus den Zimmern kamen und zum Grat der Düne hochstiegen, um den Sonnenuntergang zu genießen. So standen wir also da, in kleinen Gruppen, alle noch etwas scheu und zurückhaltend, da wir uns erst kennenlernen mussten. Über uns nur das weite und klare Firmament und der Wind, der warm über unsere Haut strich. Nach einiger Zeit begannen wir in der Dunkelheit die Düne lachend durch den Sand hinunterzustolpern.
Morgen wäre dies allerdings bitterer Ernst und zwar stundenlang durch die Tageshitze und mit unserer ganzen Ausrüstung für die sechs Tage auf dem Rücken.
Die Veranstalter hatten mir – via dem FT-Redakteur – das Rennen als einen „machbaren“ ersten Ultra-Marathon verkauft. Es wäre eine kürzere und einfachere Form des berüchtigten Marathon de Sables, sagte man mir. Der MdS war eines der bekanntesten Rennen der Welt, 251 Kilometer durch die Sahara. Das Rennen rühmt sich, das härteste der Welt zu sein, doch hatten mir schon einige Ultra-Läufer gesagt, dass dem bei weitem nicht so wäre. Aber einmal abgesehen von dieser sprachlichen Übertreibung war der MdS schon eine richtig ernste Angelegenheit. Das war definitiv nicht die Art von Rennen, die ich auf dem Radar hatte, also war ich recht erfreut zu hören, dass das Rennen im Oman die einfachere Option sei. „MdS-lite“, wie es jemand so schön formulierte. Ja gut, das Rennen ging durch die Wüste, aber die Veranstalter meinten, ich würde hier ja nicht auf lockerem Sand laufen, sondern auf hartem Boden. Und 165 Kilometer über sechs Tage, nun, das hörte sich jetzt auch nicht so schlimm an. Ähnlich einem Trainingslager im heißen Süden.
Als ich dann endlich an der Startline in einem kleinen Ort namens Bidiyah stand, fühlte ich mich recht entspannt. Es war ja eigentlich kein Rennen, sondern ein Abenteuer. Das erste Mal in meinem Läuferleben machte ich mir keine Gedanken über Geschwindigkeit. Schließlich war ich nur hier, um diese Erfahrung zu genießen. Das nahm mir den ganzen Druck. Ohne auf die Pace zu achten, konnte ich einfach nur dahinjoggen und ein Teil in mir schien auch fest daran zu glauben, dass ich das ewig durchhalten könnte. Einmal ehrlich, wie hart könnte es schon sein, seine eigenen Füße immer in Bewegung zu halten? Einzig die Hitze bereitete mir ein wenig Sorgen und irgendwo beunruhigte mich auch die Rennvorschrift, eine Vakuumpumpe gegen Schlangengift, ein Messer und einen Signalspiegel mit im Gepäck tragen zu müssen. Während ich es in den Wochen vor dem Rennen genossen hatte, allen zu erzählen, dass ich durch die Wüste laufen würde, als wäre ich ein Actionheld, wurde mir plötzlich bewusst, dass ich vielleicht doch in eine richtig gefährliche Situation geraten könnte. Wäre ich in der Lage, damit überhaupt umzugehen?
Die Einwohner des Dorfes hatten sich inzwischen am Hauptplatz versammelt, um uns zu verabschieden. Sie führten einen zeremoniellen Tanz vor und überall waren Männer in langen weißen Gewändern zu sehen, mit wertvoll verzierten Krummdolchen und iPhones, die in ihren Gürteln steckten.
Mitten in diesem Trubel stand eine Frau aus Schweden, Elisabet Barnes. Ihr Blick war nicht auf die Tänzer gerichtet, sondern ernst und fokussiert auf die vor ihr liegende Aufgabe. Am Abend zuvor hatte ich mich in der Hoteloase ein wenig mit Elisabet angefreundet. Sie lebte in England und hatte erst vor kurzem den Marathon de Sables gewonnen gehabt. Während wir auf Kissen saßen und Couscous mit gegrillten Paprikas von den niedrigen Tischen aßen, bat ich sie um ein paar hilfreiche Ratschläge.
„Hast du deine Gamaschen an deine Schuhe angenäht oder angeklebt?“, fragte sie mich. Elisabet war die Besitzerin eines auf Ultra-Running spezialisierten Sportgeschäfts in Essex. Sie kannte sich also aus. Meine Laufgamaschen ließen sich mit Schlaufen an meinen Schuhen befestigen. War das etwa nicht genug? Ich hatte sie so gekauft. Ich dachte, das wäre echt raffiniert.
„Aha“, meinte sie und tat ihr Bestes, nicht besorgt dreinzusehen. „Naja, das wird schon passen. Bist du schon oft auf Sand gelaufen?“
Äh, … eigentlich noch nie. Aber man sagte mir, dass das Rennen auf hartem Boden verläuft.
Sie lächelte als ob sie sich da nicht so sicher wäre. „Kann schon sein“, meinte sie. „Wie schwer ist dein Rucksack?“
Ich hatte keine Ahnung. Sie atmete einmal tief durch. Ich erzählte ihr, dass mir einer der Veranstalter Angst machen wollte, indem er mir gesagt hätte, ich solle keine Bilder meiner Familie mitnehmen. „An irgendeinem Punkt vergräbst du sie sowieso im Sand“, sagte er zu mir. „Die Leute stutzen sogar die Borsten ihrer Zahnbürste, um Gewicht zu sparen.“ Elisabet sagte kein Wort und aß weiter.
„Das sind aber alles nur Märchen, oder?“, bohrte ich weiter. „Lächerlich. Nicht wahr?“ Doch ihrem Blick entnahm ich, dass sie meine Meinung nicht unbedingt teilte. Und plötzlich fühlte ich mich irgendwie hilflos.
„Natürlich muss man das nicht tun“, antwortete sie. „Es geht mehr darum, die richtige mentale Einstellung zu finden, zu wissen, dass man alles Menschenmögliche getan hat, um Gewicht einzusparen. Es hilft einfach, dich mental bereit zu fühlen.“
Um es also kurz zusammenzufassen: Ich hatte nie auf Sand trainiert, meine Laufgamaschen waren nutzlos und mein Rucksack wahrscheinlich zu schwer. Und die Borsten meiner Zahnbürste hatte ich auch nicht gestutzt. Aber jetzt ganz ehrlich, wie hart konnte es schon werden. Gudrun und Hansmartin waren in ihren Sechzigern und dann gab es da noch eine blinde Französin Ende 50. Solange ich nur meine Pace kontrollierte, einfach joggte und vor mich hin trabte, sollte alles gut sein.
Und damit trotteten wir aus Bidiyah hinaus, vorbei an winkenden Kindern und den letzten Bäumen, die wir während der nächsten sechs Tage zu Gesicht bekommen