Der Histamin-Irrtum. Sascha Kauffmann

Der Histamin-Irrtum - Sascha Kauffmann


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      • der Nachweis von multifokalen, dichten Mastzelleninfiltraten durch eine Knochenmarkbiopsie oder durch Biopsien aus anderen Organen außer der Haut

      Nebenkriterien:

      • ein Anteil atypischer Mastzellen von mehr als 25 Prozent der Mastzellen im Knochenmarkausstrich oder in anderen Organen

      • eine c-Kit-D816 Punktmutation in Mastzellen aus dem Knochenmark oder anderen Organen als der Haut

      • eine Exprimierung der Antigene CD2 oder CD25 durch Mastzellen aus dem Knochenmark oder anderen Organen als der Haut

      • ein dauerhaft erhöhter Spiegel der Serum-Tryptase von mehr als 20 ng/ml im Blutserum

      Systemische Mastozytosen gelten derzeit als noch nicht heilbar, aber gut behandelbar.

      Das Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS)

      Im Gegensatz zur Mastozytose finden wir beim Mastzellaktivierungssyndrom (engl. Mast Cell Activation Syndrome) in der Regel keine Veränderung der Mastzellen selbst, sondern hochsensible, hyperreagible Mastzellen. Auf viele alltägliche Reize wie Wärme, Kälte, Stress kann es zu einer nicht zielgerichteten, chaotischen Freisetzung von Histamin und anderen Mediatoren aus diesen Mastzellen kommen.

      Die Symptome der MCAS (sprich: Em-Kas) sind sehr vielfältig und können den gesamten Organismus betreffen. Manchmal treten sie aber auch nur in bestimmten Organen auf, etwa im zentralen Nervensystem (ZNS). Zudem sind die Symptome stark schwankend in ihrer Intensität und ihrem zeitlichen Auftreten. So kann es sein, dass Betroffenen monatelang symptomfrei sind und plötzlich anfallsartig eine Vielzahl von Symptomen haben, die scheinbar ohne Zusammenhang auftreten und denen der systemischen Mastozytose sehr ähneln:

      • Blutdruckabfall

      • Herzrasen

      • Schwindel

      • Synkopen (Kollaps)

      • Hauterscheinungen (Urtikaria)

      • Atemnot

      • starke Erschöpfung

      • unspezifische Schmerzen

      • Übelkeit, Erbrechen, Bauchkrämpfe

      • Angst- und Panikattacken

      

DOMS

      Wir alle kennen Muskelkater. Oft tritt er am selben oder spätestens am Tag nach der Sporteinheit auf. MCAS-Patienten hingegen haben oft einen verzögerten Schmerz nach Belastungen, der bis zu drei Tagen später auftreten kann und als DOM (Delayed Onset Muscle Soreness) bekannt ist. Wissenschaftler vermuten, dass eine Entzündungskaskade von zu viel Histamin und anderen Mediatoren in der Muskulatur zu diesem Phänomen führt.

      Wir haben in unserer Praxis schon viele Fälle behandelt und sind davon überzeugt, dass MCAS eine sehr häufige Erkrankung ist, die einfach nur sehr selten diagnostiziert wird.

      Die meisten Ärzte und Heilpraktiker kennen MCAS nicht. Das ist ein Drama für die Betroffenen, die sich oftmals alleine mit ihrer Erkrankung durchschlagen müssen und statt einer vernünftigen Diagnostik und Therapie einige dieser Diagnosen erhalten:

      • Endogene Depression

      • Allergie

      • Generalisierte Angststörung

      • Somatisierungsstörung

      • Erschöpfungssyndrom

      • Erschöpfungsdepression

      • Ein- und Durchschlafstörung

      • Zwangsstörung

      • Panikstörung

      • Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom

      • Fibromyalgie

      • Interstitielle Zystitis

      • Reizdarm-Syndrom

      Professor Dr. Gerhard J. Molderings von der Universität Bonn ist einer der weltweit führenden Forscher für Mastzellenerkrankungen. Im Jahr 2014 hat er einen umfassenden Diagnose-Fragekatalog für die systemische MCAS vorgestellt, der Ärzten die Einschätzung von Symptomen erleichtern und unnötige aufwändige Untersuchungen vermeiden soll.

      Der Fragebogen kann hier heruntergeladen werden:

       www.humangenetics.uni-bonn.de/de/forschung/forschungsprojekte/mastzellerkrankungen/checklistepatientenversion

      Wenn sich anhand des Fragebogens die Verdachtsdiagnose erhärtet, muss diese anhand weiterer Untersuchungen gesichert werden. Die Kriterien, die die Diagnose MCAS festigen, sind von Professor Dr. Molderings und Kollegen zusammengestellt worden und lauten wie folgt:

      Hauptkriterien:

      • Vermehrung der Mastzellen an verschiedenen Stellen im Körper. Der Nachweis erfolgt durch eine Knochenmarkbiopsie und bzw. oder durch Biopsien aus anderen Organen mit Ausnahme der Haut.

      • Typische Beschwerden, die eindeutig als Folge einer Mastzellüberaktivität einzuordnen sind.

      Nebenkriterien:

      • Nachweis einer pathologisch vermehrten Freisetzung von Mastzellmediatoren durch Bestimmung der Konzentration von Tryptase im Blut (entweder absolute Erhöhung über den assayspezifischen Referenzwert oder Anstieg von > 20 % + 2 ng/ml innerhalb von 4 Stunden gegenüber einem Ausgangswert vor Beginn der akuten Erkrankungsverschlimmerung), Heparin im Blut, N-Methyl-Histamin im Sammelurin oder von anderen relativ mastzellspezifischen Mediatoren (Leukotriene, Prostaglandin).

      • Nachweis von genetischen Veränderungen in Mastzellen aus dem Blut, Knochenmark oder aus einem anderen Organ (außer der Haut), für die eine Auswirkung auf den Aktivitätszustand der betroffenen Mastzelle im Sinne einer gesteigerten Aktivität belegt ist.

      • Besserung oder Verschwinden von Beschwerden unter einer spezifisch gegen Mastzellmediatoren gerichteten Therapie, zum Beispiel mit Antihistaminika oder Mastzellstabilisatoren.

      Diese Kriterien von Prof. Dr. Molderings und Kollegen sind in Deutschland der gegenwärtige Standard für die korrekte MCAS-Diagnostik.

      Beide Hauptkriterien oder das zweite Hauptkriterium und mindestens ein Nebenkriterium müssen erfüllt sein.

      Interview mit Frau Sabine F.

      Die Patientin erkrankte an einer schweren Verlaufsform des Mastzellaktivierungssyndroms

      Für Gesunde ist es kaum vorstellbar, welchen zerstörerischen Einfluss das MCAS auf das eigene Leben nehmen kann: von topfit und leistungsfähig zu dauerhafter Arbeitsunfähigkeit innerhalb kürzester Zeit. Das Schlimmste ist für viele sicherlich die Zeit vor der Diagnose, die eine Periode des Wartens, Suchens, An-sich-Zweifelns ist, da niemand die Störung kennt oder die Symptome erst nimmt. Es vergehen im besten Fall mehrere Jahre bis zur richtigen Diagnose. Viele Betroffene werden zeit ihres Lebens nicht diagnostiziert und entsprechend therapiert.

      Aber was nützt die richtige Diagnostik, wenn dann erst der Kampf um die Therapie und die Übernahme der Therapiekosten beginnt. Bei unserer Patientin Frau Sabine F., 39 Jahre, haben wir monatelang verfolgen können, wie sie nach der Diagnose in einem Krankenhaus lange Zeit keinen Arzt fand, der sie in ihrem Heimatort (600 Kilometer entfernt) weiter behandeln und die sehr teuren Medikamente verordnen wollte. Wir haben für dieses Buch mit Frau F. gesprochen und sie gebeten, uns ihre Krankheitsgeschichte zu erzählen.

      Frau F., welche waren die ersten Symptome, die mit der MCAS zusammenhingen?


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