Der Histamin-Irrtum. Sascha Kauffmann

Der Histamin-Irrtum - Sascha Kauffmann


Скачать книгу
Kost empfehlen, ist bei systemischen Histamin-Erkrankungen das Mastzellen- und Gehirn-Histamin das Problem, und nicht das Nahrungs-Histamin. Die häufig ausgesprochene Empfehlung, sich histaminarm zu ernähren, kann nicht das Ende der Therapie sein, sondern nur der Anfang. Das Ziel muss es sein, Ernährungseinschränkungen möglichst überflüssig werden zu lassen.

      Wenn Histamin seine Mission erfüllt hat, muss auch wieder Ruhe in den Organismus einkehren. Dafür gibt es zwei Enzymgruppen, die überschüssiges Histamin abbauen:

      • Diaminoxidasen (DAO)

      • Histamin-N-Methyl-Transferasen (HNMT)

      Diese Enzymgruppe wird vor allem in der Dünndarmschleimhaut gebildet und in das Darmlumen abgegeben. Dort patrouillieren die DAO auf der Suche nach Arbeit auf und ab. Sie bestehen überwiegend aus Kupfer und benötigen als Cofaktoren Vitamin B6 (Pyridoxal-5-Phosphat), Zink und ein wenig Mangan. Sind sie gut versorgt, bauen sie anflutendes Histamin aus der Nahrung oder auch aus Darmbakterien in der Regel zuverlässig zu Imidazol-Acetaldehyd ab, welches nach einem weiteren enzymatischen Schritt als Imidazol-Essigsäure über den Urin ausgeschieden wird. Eigentlich war Histamin für die DAO in den vielen Jahren der Evolution nicht die hauptsächliche »Beute«. Sie waren in erster Linie für die Entsorgung anderer, für uns schädlicher biogener Amine zuständig, nämlich:

      • Cadaverin

      • Spermidin

      • Putrescin

      Diese Substanzen entstehen beim Verderb von Lebensmitteln. In den Jahrtausenden der Evolution ohne Kühlschrank und Gefrierfach war die DAO unser Schutz vor einer häufig tödlich verlaufenden Lebensmittelvergiftung. Daher waren DAO-Enzyme auch in vielen Jahren eher histaminarmer Ernährung nie arbeitslos. In unseren modernen Zeiten mit Smart-Kühlschränken mussten sich die Darm-Diaminoxidasen neu anpassen und umlernen. Mangels relevanter Mengen anderer biogener Amine überwachen sie jetzt quasi nur noch den Histaminabbau im Darm.

      Ein weiteres wichtiges Betätigungsfeld der DAO ist die Gebärmutter und während der Schwangerschaft auch die Plazenta. In beiden Organen befinden sich viele Mastzellen. Ihre Zahl und Aktivität schwankt unter dem Einfluss von Östrogen und Progesteron. Während der monatlichen Blutung, bei der Gewebe der Gebärmutterschleimhaut abgestoßen wird, wird Mastzellen-Histamin in die Gebärmutterhöhle freigesetzt und dort von der DAO abgebaut. Ein zu hoher Histaminspiegel in der Gebärmutter und in der Plazenta kann Frühwehen auslösen, dies gilt es zu verhindern. Zudem muss auch der Fötus selbst vor zu viel Histamin geschützt werden. Aus diesem Grund steigt im Verlauf der Schwangerschaft die Anzahl der DAO-Enzyme bis zu 300-fach an. Dieser Effekt tritt allerdings erst etwa ab der 13. Schwangerschaftswoche ein. Wir kommen auf diesen enorm wichtigen Aspekt noch später zu sprechen.

      Die DAO baut also in erster Linie Nahrungs-Histamin und Histamin in der Gebärmutter ab. Aber auch in der Niere – unserem Blutreinigungsorgan – sitzen jede Menge Diaminoxidasen, die, während das Blut gefiltert und rückresorbiert wird, ebenfalls noch Histamin abbauen können. Daher ist eine ausreichende Trinkmenge so enorm wichtig bei Histamin-Erkrankungen.

      Histamin-N-Methyl-Transferasen befinden sich im Gegensatz zur DAO innerhalb der Zellen, oft in der Nähe der Histamin-Rezeptoren, und kümmern sich in erster Linie um den Abbau von körpereigenem, selbst produziertem Histamin (Mastzellen- und Gehirn-Histamin). Mehr als die Hälfte des täglich anfallenden Histamins gehen damit zulasten der HNMT. Diese Enzymgruppe ist daher viel mehr gefordert als die DAO. Darüber hinaus ist sie auch für den Abbau von Histamin zuständig, wenn die DAO ihren Job nicht schafft. Dann gelangt überschüssiges Histamin aus dem Darm ins Blut und wird in der Leber über die HNMT abgebaut.

      Der Umfang der Synthese von HNMT und damit des Abbaus von körpereigenem Histamin hängt in erster Linie von der Methylierungsfähigkeit unseres Körpers ab. Die Methylierung ist ein Stoffwechselprozess, bei dem ein Molekülteil, bestehend aus einem Kohlenstoff- und drei Wasserstoffatomen (sogenannte Methylgruppe), von einem Molekül auf ein anderes übertragen wird. Die Entgiftung von Histamin über HNMT erfolgt im ersten Schritt über die Methylierung des Histamins, d. h. das Anfügen einer Methylgruppe.

      Dreh- und Angelpunkt des Histaminabbaus über die HNMT ist die Synthese von s-Adenosylmethionin (SAM/SAMe). Diese chemische Verbindung ist der wichtigste Methylgruppenüberträger, den wir haben. Seine ausreichende Produktion ist die zwingende Voraussetzung für den regelrechten Abbau von körpereigenem Histamin, aber auch für die Bildung von Neurotransmittern, wie Adrenalin und Melatonin, für die Entgiftung und für viele andere Prozesse. Daher möchten wir ein wenig detaillierter darauf eingehen.

      Der Methylierungszyklus läuft fast in jeder Körperzelle ab und regelt die optimale Bereitstellung von Methylgruppen. Er besteht im engeren Sinne aus dem Methionin- und dem Folsäure-Zyklus; im weiteren Sinne auch aus dem Biopterin-Zyklus. Der Methioninzyklus sichert die Bereitstellung des wichtigsten Methylgruppen-Übertrages, des s-Adenosylmethionins (SAMe). Ausgangspunkt ist die essenzielle Aminosäure Methionin. Diese wird unter Verbrauch von Mangan, Magnesium, Vitamin B12 und mitochondrialem ATP zu SAMe. Sobald dieses wiederum seine Methylgruppe abgibt, zum Beispiel an das HNMT, wird es zu S-Adenosyl-Homocystein, das wiederum in einem weiteren Schritt zu Homocystein enzymatisch umgewandelt wird. Dieses neurotoxische und gefäßschädigende Molekül wird über drei Wege abgebaut, zwei davon recyceln es über den Verbrauch von B12/Folat bzw. Betain/Cholin zu Methionin zurück. Im dritten Weg wird Homocystein unter Verbrauch von Vitamin B6 in Cystathionin und Cystein umgewandelt und weiter zu Glutathion und Taurin umgebaut.

      Bei der Methylierung spielen vor allem die Enzyme MTHFR, CBS und MAT eine entscheidende Rolle. Der sehr häufig vorkommende Polymorphismus beim MTHFR-Gen kann die Methylierung nachhaltig stören und somit auch den Histaminabbau beeinträchtigen.

      Monoaminoxidasen (MAO) sind ebenfalls am Abbau von körpereigenem Histamin beteiligt, allerdings erst im allerletzten Schritt. N-Methyl-Histamin, methyliertes Histamin, wird durch das Enzym MAO-B in N-Methyl-Imidazol-Essigsäure abgebaut und dieses dann über den Urin ausgeschieden. Die MAO haben aber eigentlich noch viele weitere Aufgaben, wie zum Beispiel auch den Abbau von Tyramin, das vor allem nach dem Verzehr von Schokolade und Käse anfällt.

      WENN DAS FASS üBERLäUFT: HISTAMINOSEN

      Der Mensch ist ein lebendiges System, das sich ständig an seine Umwelt anpassen muss. Dadurch kommt es kurzfristig zu Veränderungen, wie beispielsweise einem Anstieg der Körpertemperatur oder des Blutdrucks. Wenn es zu einer Abweichung kommt, beispielsweise Fieber, verfügt der Körper über Regulationsmethoden (zum Beispiel Schwitzen, Schüttelfrost), um bestimmte Werte wieder zurück zum Sollwert zu bringen. Die Natur hat dafür ausgeklügelte Systeme, die sich in Millionen von Jahren der Evolution entwickelt und bewährt haben.

      Ist der Mensch gesund, regelt der Körper dieses im Allgemeinen selbstständig ohne Eingriff von außen. Einen akuten Anstieg des Histaminspiegels, zum Beispiel weil uns ein Insekt gestochen hat, kann der Körper normalerweise gut selbstständig in den Griff bekommen. Nach wenigen Tagen ist die Schwellung vorüber, der Juckreiz und die Schmerzen lassen nach.


Скачать книгу