Der Histamin-Irrtum. Sascha Kauffmann

Der Histamin-Irrtum - Sascha Kauffmann


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alt=""/>Lebensmittel ohne Histamin

      Die Liste der Lebensmittel ohne Histamin ist sehr übersichtlich: Wasser, reines Pflanzenöl, raffiniertes Salz und raffinierter Zucker. Alles andere, was auf den Tisch kommt, hat mehr oder minder große Anteile an Histamin.

      Nach vielen Monaten oder sogar Jahren der Ärzte-Odyssee wird dann endlich eine Magen-Darm-Spiegelung gemacht, die oftmals nichts Erhellendes ergibt. Per Zufall gerät der verzweifelte Patient dann an einen, der sagt: »Wir messen noch mal Ihre Diaminoxidase, sonst fällt mir nichts mehr ein. Außer der Überweisung zum Psychiater.«

      Liegt der Diaminoxidase-Wert im Blut gemessen dann bei 8 U/ml (Normwert > 10 U/ml) – heißt es dann: »Ah, wir haben jetzt eine Diagnose. Sie sind histaminintolerant – meiden Sie ab sofort dies und das. Damit müssen Sie jetzt leben. Und nehmen Sie DAOSIN®, künstliche Diaminoxidasen aus der Apotheke. Ich habe so etwas Ähnliches – Laktoseintoleranz, ich nehme Lactrase®. Leider werden diese Medikamente von der Kasse nicht übernommen.«

      Und schon glaubt der Patient, Histamin in der Nahrung sei sein Problem und hält sich fortan möglichst an die Verbotslisten. Wer diese Diagnose bekommt, hat zumindest das Mitgefühl der Umgebung auf seiner Seite. Denn von nun an ist es vorbei mit italienischen Abenden, bayrischen Brotzeiten und anderen Genüssen. Stattdessen bestimmen seitenlange Listen über erlaubte und verbotene Nahrungsmittel das Leben. Nur in den wirklich sehr seltenen Fällen von genetisch bedingtem DAO-Mangel, der sich als DAO-Wert von weniger als 3 U/ml zeigt, gibt es durch Nahrungsverbote eine dauerhafte Heilung. In den meisten Fällen aber nicht, weil ein DAO-Mangel fast immer tiefer liegende Gründe hat, auf die wir in diesem Buch ausführlich zu sprechen kommen werden.

      »Unter einer Straßenlaterne steht ein Betrunkener und sucht und sucht. Ein Polizist kommt daher, fragt ihn, was er verloren habe, und der Mann antwortet: »Meinen Schlüssel.« Nun suchen beide. Schließlich will der Polizist wissen, ob der Mann sicher ist, den Schlüssel gerade hier verloren zu haben, und jener antwortet: »Nein, nicht hier, sondern dort hinten – aber dort ist es viel zu finster.«

      aus: Paul Watzlawick »Anleitung zum Unglücklichsein«

      So verhält es sich auch mit der Histamindiagnostik: Die Lösung eines Problems wird an der falschen Stelle gesucht, weil es Mühe macht weiterzudenken und sich auf unbekanntes Terrain zu begeben. Übrigens ein häufiges Phänomen in der Schulmedizin.

      Die funktionelle Medizin hingegen versucht, Stoffwechselstörungen aus der Sichtweise des Körpers zu betrachten. »Was bezweckt der Organismus, wenn er Histamin in hohen Mengen ausschüttet?«, ist eine zentrale Frage, die wir uns immer wieder gestellt haben. In den letzten zehn Jahren haben wir viele Hundert Untersuchungen des Histaminstoffwechsels durchgeführt. Bei Menschen mit und ohne Magen-Darm-Beschwerden. Dabei beschränkten wir uns nicht wie üblich auf die Untersuchung der DAO, sondern schauten uns den gesamten Prozess an.

      Mit der Zeit ergaben sich immer wieder Konstellationen, die nicht ins Lehrbuch passten. Wir stellten fest, dass eine hohe Histaminbelastung im Darm, im Blut oder im Urin nicht zwangsläufig mit einer Verminderung der Diaminoxidase(aktivität) oder einer Allergie einhergeht. Es gab Patienten mit sehr niedriger DAO, die aber keinerlei Probleme hatten beim Verzehr von Thunfischpizza mit Gorgonzola, sowie Menschen mit normaler DAO und einem hohem Histaminspiegel. Zudem fiel uns auf, dass hohe Histaminwerte auch bei vielen chronischen Erkrankungen vorkamen, zum Beispiel bei autoimmunen Schilddrüsenerkrankungen, Osteoporose, Pyrrolurien, Burnout-Syndrom, Chronic Fatigue Syndrome, Schwindel, plötzlichen Ohnmachtsattacken, Hormonstörungen, ADHS, Depressionen und Panikattacken.

      Wie passt das alles zusammen? Die Erklärung ist eigentlich simpel und logisch: Es wird bei der Erfassung von Histaminstörungen nicht korrekt und vor allem nicht gründlich genug untersucht. In aller Regel wird nur die DAO im Blut bestimmt. Ein weiterer Irrtum. Und leider halten sich Irrtümer in der Medizin sehr hartnäckig und machen nur sehr langsam der Wahrheit Platz.

      Die Evolution muss sich etwas dabei gedacht haben, wenn sie ein einziges Molekül eine so große Rolle in der gesamten belebten Natur spielen lässt und es zudem mit enormer Robustheit ausgestattet hat. Weder große Hitze noch extreme Kälte, starke Säuren oder Basen können ihm wirklich etwas anhaben. Durch Kochen oder Braten lässt es sich nicht zerstören. Welcher Naturstoff kann da schon mithalten?

      In der Pflanzenwelt dient Histamin der Abwehr von Fressfeinden. Wusstest du, dass die Brennnessel sehr viel Histamin enthält und der Hautkontakt mit ihren Blättern zur sogenannten Urtikaria, im Volksmund Nesselsucht genannt, führt? In der Tierwelt ist es ähnlich, denn viele Tiergifte enthalten Histamin zum Schutz vor Feinden.

      Wir nehmen dich nun mit auf eine Reise in die spannende Welt des Histaminstoffwechsels. Dazu benötigst du ein wenig Rüstzeug. Das heißt, wir vermitteln zunächst einige biologische und physiologische Grundlagen. Biologen und Histamin-erfahrene Mediziner mögen es uns nachsehen, dass wir an der einen oder anderen Stelle die Zusammenhänge ein wenig vereinfachen. Wer Lust auf mehr Fachinformation und wissenschaftliche Aufsätze hat, der findet im Anhang ausreichende Literaturempfehlungen zum Vertiefen.

      Histamin hat gleich zwei große Aufgabenbereiche von der Natur übertragen bekommen. Es wirkt:

      1. als Gewebshormon, das an allen Organsystemen Wirkungen entfalten kann

      2. als Neurotransmitter, der im zentralen und peripheren Nervensystem Informationen überträgt

      Der Bauplan von Histamin ist sehr überschaubar: Der Grundbaustoff ist die Aminosäure Histidin. Diese wird in nur einem einzigen Umbauschritt durch das Enzym Histidin-Decarboxylase in Histamin umgewandelt. Hierfür ist aktives Vitamin B6 als Hilfsstoff notwendig. Überall in der Natur läuft diese Synthese gleich ab, sei es in Pflanzen, in Tieren oder im Menschen.

      Der sehr kurze Syntheseweg hat einen entscheidenden Vorteil: Histamin ist jederzeit schnell verfügbar, auch wenn es plötz.lich vermehrt gebraucht wird. Die Speicher für Histamin sind dadurch in der Regel immer gut gefüllt.

      

Die Aminosäure Histidin

      Histidin ist eine Aminosäure, die der Körper nur bedingt selbst herstellen kann. Es kommt aber in fast allen Nahrungsmitteln vor, in großen Mengen in Fleisch, Sojabohnen, Mais und Weizenkeimen. Neben der Synthese für Histamin, wird Histidin auch für die Herstellung von Carnosin benötigt, ein wichtiger Schutzfaktor gegen oxidativen Stress.

      Histamin wirkt in erster Linie über Rezeptoren, d. h. um eine Reaktion auszulösen, muss es an einer Körperzelle mit einem Histamin-Rezeptor andocken. Bislang sind vier verschiedene Rezeptortypen und die über sie vermittelten verschiedenen Wirkungen bekannt:

      H1-Rezeptoren:

      • Darm: Kontraktion der Darmmuskulatur

      • Bronchien: Kontraktion der Bronchien

      • Blutgefäße: Gefäßerweiterung der kleinen Arterien und Gefäßverengung der kleinen Venen

      • Nerven: Schmerz und Juckreiz

      • Zentrales Nervensystem: erhöhte Wachheit

      • Nebenniere:


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