PLATON - Gesammelte Werke. Platon
beim Denken, noch irgend einen anderen Sinn mit (66) zuzuziehen bei seinem Nachdenken, sondern sich des reinen Gedankens allein bedienend, auch jegliches rein für sich zu fassen trachtet, so viel möglich geschieden von Augen und Ohren, und um es kurz zu sagen von dem ganzen Leibe, der nur verwirrt und die Seele nicht läßt Wahrheit und Einsicht erlangen, wenn er mit dabei ist. Ist es nicht ein solcher, o Simmias, der wenn irgend einer das Wahre treffen wird? – Über die Maßen hast du Recht, o Sokrates, sprach Simmias. – Ist es nun nicht natürlich, daß durch dieses alles eine solche Meinung bei den wahrhaft philosophierenden aufkommt, so daß sie auch dergleichen unter sich reden. Es wird uns ja wohl gleichsam ein Fußsteig heraustragen mit der Vernunft in der Untersuchung, weil so lange wir noch den Leib haben und unsere Seele mit diesem Übel im Gemenge ist, wir nie befriedigend erreichen können, wornach uns verlangt; und dieses sagen wir doch sei das Wahre. Denn der Leib macht uns tausenderlei zu schaffen wegen der notwendigen Nahrung, dann auch wenn uns Krankheiten zustoßen verhindern uns diese das Wahre zu erjagen, und auch mit Gelüsten und Begierden, Furcht und mancherlei Schattenbildern und vielen Kindereien erfüllt er uns; so daß recht in Wahrheit, wie man auch zu sagen pflegt, wir um seinetwillen nicht einmal dazu kommen auch nur irgend etwas richtig einzusehen. Denn auch Kriege und Unruhen und Schlachten erregt uns nichts anders als der Leib und seine Begierden. Denn über den Besitz von Geld und Gut entstehen alle Kriege, und dieses müssen wir haben des Leibes wegen, weil wir seiner Pflege dienstbar sind, und daher fehlt es uns an Muße der Weisheit nachzutrachten um aller dieser Dinge willen wegen alles dessen. Und endlich noch, wenn er uns auch einmal Muße läßt, und wir uns anschicken etwas zu untersuchen: so fällt er uns wieder bei den Untersuchungen selbst beschwerlich, macht uns Unruhe und Störung und verwirrt uns, daß wir seinetwegen nicht das Wahre sehen können. Sondern es ist uns wirklich ganz klar, daß wenn wir je etwas rein erkennen wollen, wir uns von ihm losmachen und mit der Seele selbst die Dinge selbst schauen müssen. Und dann erst offenbar werden wir haben, was wir begehren, und wessen Liebhaber wir zu sein behaupten, die Weisheit, wenn wir tot sein werden, wie die Rede uns andeutet, so lange wir leben aber nicht. Denn wenn es nicht möglich ist, mit dem Leibe irgend etwas rein zu erkennen: so können wir nur eines von beiden, entweder niemals zum Verständnis gelangen oder nach dem Tode. Denn alsdann wird die Seele (67) für sich allein sein abgesondert vom Leibe, vorher aber nicht. Und so lange wir leben, werden wir, wie sich zeigt, nur dann dem Erkennen am nächsten sein, wenn wir soviel möglich nichts mit dem Leibe zu schaffen noch gemein haben, was nicht höchst nötig ist, und wenn wir mit seiner Natur uns nicht anfüllen, sondern uns von ihm rein halten, bis der Gott selbst uns befreit. Und so rein der Torheit des Leibes entledigt, werden wir wahrscheinlich mit eben solchen zusammen sein, und durch uns selbst alles ungetrübte erkennen, und dies ist eben wohl das Wahre. Dem Nichtreinen aber mag Reines zu berühren wohl nicht vergönnt sein. Dergleichen meine ich, o Simmias, werden notwendig alle wahrhaft wißbegierigen denken und unter einander reden. Oder dünkt dich nicht so? – Auf alle Weise, o Sokrates. – Wenn nun, sprach Sokrates, dieses wahr ist, o Freund, so ist ja große Hoffnung, daß wenn ich dort angekommen bin, wohin ich jetzt gehe, ich dort, wenn irgendwo, zur Genüge dasjenige erlangen werde, worauf alle unsere Bemühungen in dem vergangenen Leben gezielt haben; so daß die mir jetzt aufgetragene Wanderung mit guter Hoffnung anzutreten ist auch für jeden andern, der nur glauben kann dafür gesorgt zu haben, daß seine Seele rein ist. – Allerdings, sprach Simmias. – Und wird nicht das eben die Reinigung sein, was schon immer in unserer Rede vorgekommen ist, daß man die Seele möglichst vom Leibe absondere, und sie gewöhne, sich von allen Seiten her aus dem Leibe für sich zu sammeln und zusammenzuziehen, und soviel als möglich sowohl gegenwärtig als hernach für sich allein zu bestehen, befreit wie von Banden von dem Leibe? – Allerdings, sagte er. – Heißt aber dies nicht Tod, Erlösung und Absonderung der Seele von dem Leibe? – Allerdings, sagte jener. – Und sie zu lösen streben immer am meisten, sagte er, nur allein die wahrhaft philosophierenden; und eben dies also ist das Geschäft der Philosophen, Befreiung und Absonderung der Seele von dem Leibe; oder nicht? – Offenbar. – Also wäre es ja, wie ich anfänglich sagte, lächerlich, wenn ein Mann, der sich in seinem ganzen Leben darauf eingerichtet hätte, so nahe als möglich an dem Gestorbensein zu leben, hernach wenn eben dieses kommt sich ungebärdig stellen wollte? wäre das nicht lächerlich? – Wie sollte es nicht? – In der Tat also, o Simmias, trachten die richtig philosophierenden danach zu sterben und tot zu sein ist ihnen unter allen Menschen am wenigsten furchtbar. Erwäge es nur so. Wenn sie auf alle Weise mit dem Leibe entzweit sind, und begehren die Seele für sich allein zu haben, geschieht dieses aber, dann sich fürchten und unwillig sein wollten; wäre das nicht die größte Torheit, wenn sie dann nicht mit Freuden dahin gehn wollten, wo sie Hoffnung haben, (68) dasjenige zu erlangen, was sie im Leben liebten; sie liebten aber die Weisheit, und des Zusammenseins mit demjenigen entledigt zu werden, was ihnen zuwider war? Oder sollten nur Viele denen menschliche Geliebte und Weiber und Kinder gestorben sind, freiwillig haben in die Unterwelt gehen gewollt, von dieser Hoffnung getrieben, daß sie dort die wieder sehn würden nach denen sie sich sehnten und mit ihnen umgehn; wer aber die Weisheit wahrhaft liebt und eben diese Hoffnung kräftig aufgefaßt hat, daß er sie nirgend anders nach Wunsch erreichen werde als in der Unterwelt, den sollte es verdrießen zu sterben, und er sollte nicht freudig dorthin gehn? Das muß man ja wohl glauben, Freund, wenn er nur wahrhaft ein Weisheitliebender ist. Denn gar stark wird ein solcher dieses glauben, daß er nirgend anders die Wahrheit rein antreffen werde als nur dort. Wenn sich aber dies so verhält, wie ich eben sagte, wäre es nicht große Unvernunft, wenn ein solcher den Tod fürchtete? – Gar große, beim Zeus, sagte jener. – Also, sagte er, ist dir auch das wohl ein hinlänglicher Beweis von einem Manne, wenn du ihn unwillig siehst indem er sterben soll, daß er nicht die Weisheit liebte, sondern den Leib irgendwie; denn wer den liebt, derselbe ist auch geldsüchtig und ehrsüchtig, entweder eines von beiden oder beides. – Vollkommen verhält es sich so, wie du sagst. – Wird nun nicht auch, o Simmias, sagte er, was man Tapferkeit nennt den so gesinnten vorzüglich zukommen? – Ganz gewiß wohl, antwortete er. – Nicht auch die Besonnenheit, was auch alle Leute Besonnenheit nennen, sich von Begierden nicht fortreißen lassen, sondern sich gleichgültig gegen sie verhalten und sittsam, kommt nicht auch sie denen allein zu, welche den Leib am meisten geringschätzen und in der Liebe zur Weisheit leben? – Notwendig, sagte er. – Denn, fügte jener hinzu, wenn du nur recht betrachten willst die Tapferkeit und Besonnenheit der Andern, so wird sie dir ganz wunderlich vorkommen. – Wie das, o Sokrates? – Du weißt doch, sagte er, daß den Tod die Andern Alle unter die großen Übel rechnen. – Allerdings. – Ist es also nicht aus Furcht vor noch größeren Übeln daß die Tapfern unter ihnen den Tod erdulden, wenn sie ihn erdulden? – So ist es. – Also weil sie sich fürchten, und aus Furcht sind Alle tapfer, bis auf die, welche die Weisheit lieben. Wiewohl das doch ungereimt ist, daß einer aus Furcht und Feigheit tapfer sein soll. – Freilich wohl. – Und wie die Sittsamen unter ihnen? hat es mit denen nicht dieselbe Bewandtnis? Aus irgend einer Zügellosigkeit sind sie besonnen, wiewohl wir freilich sagen dies sei unmöglich, aber doch geht es ihnen wirklich ganz ähnlich bei dieser einfältigen Besonnenheit. Denn aus Besorgnis einiger Lust beraubt zu werden, und weil sie diese begehren, enthalten sie sich der einen weil von Anderen beherrscht, und wiewohl man das Zügellosigkeit nennt, (69) von Lüsten beherrscht werden, begegnet ihnen doch, daß sie von Lüsten beherrscht andere Lüste beherrschen, und dies ist doch dem ganz ähnlich, was eben gesagt wurde, auf gewisse Weise aus Zügellosigkeit besonnen geworden zu sein. – Das leuchtet ein. – O bester Simmias, daß uns also nur nicht dies gar nicht der rechte Tausch ist um Tugend zu erhalten, Lust gegen Lust, und Unlust gegen Unlust, und Furcht gegen Furcht austauschen, und größeres gegen kleineres wie Münze; sondern jenes die einzige rechte Münze gegen die man alles dieses vertauschen muß, die Vernünftigkeit, und nur alles was mit dieser und für diese verkauft ist und eingekauft in Wahrheit allein Tapferkeit ist und Besonnenheit und Gerechtigkeit, und überhaupt wahre Tugend nun mit Vernünftigkeit ist, mag nun Lust und Furcht und alles übrige der Art dabei sein oder nicht dabei sein; werden aber diese abgesondert von der Vernünftigkeit gegen einander umgetauscht, eine solche Tugend dann immer nur ein Schattenbild ist und in der Tat knechtisch, nichts gesundes und wahres an sich habend, das wahre aber gerade Reinigung von dergleichen allem ist, und Besonnenheit und Gerechtigkeit und Tapferkeit und die Vernünftigkeit selbst Reinigungen sind. Und so mögen auch diejenigen, welche uns die Weihen angeordnet haben, gar nicht schlechte Leute sein, sondern schon seit langer Zeit uns andeuten, wenn einer ungeweiht