PLATON - Gesammelte Werke. Platon
nicht nach, denn in diesem allen scheint sie mir sich gar weit zu unterscheiden. Warum also, könnte die Rede wohl sagen, bist du noch ungläubig, wenn du doch siehst, daß nach des Menschen Tode das schwächere noch ist? dünkt dich dann nicht, daß das dauerhaftere sich gewiß noch erhalten müsse in eben dieser Zeit? Dagegen nun überlege, ob ich hiermit etwas sage. Denn eines Bildes bedarf ich freilich auch, wie es scheint, eben so gut als Simmias. Mich dünkt nämlich dies grade eben so gesagt, wie wenn jemand, wenn ein alter Mann der ein Weber war gestorben wäre, diese Rede führen wollte. Der Mensch ist nicht umgekommen, sondern ist gewiß noch irgendwo, und zum Beweise dafür wollte er das Kleid anführen, was er anhatte und selbst gewebt hatte, daß das doch noch wohlbehalten wäre und nicht umgekommen; und wenn ihm einer nicht glauben wollte, er diesen dann fragte, was wohl seiner Natur nach dauerhafter wäre, ein Mensch oder ein Kleid, wenn es nämlich im Gebrauch wäre und getragen würde, und wenn der dann antworten müßte, der Mensch bei weitem, jener dann glaubte bewiesen zu haben, der Mensch also müsse wohl ganz gewiß wohlbehalten sein, da ja das vergänglichere nicht untergegangen wäre. Ich denke aber, o Simmias, das verhält sich nicht so. Sieh aber auch du zu, was ich meine. Denn jeder würde wohl der Meinung sein, daß das einfältig gesagt wäre, wenn es jemand sagen wollte. Denn dieser Weber hat schon gar viele solche Kleider verbraucht und gewebt, und ist zwar später umgekommen als jene vielen, aber als das letzte denke ich doch eher, und deshalb ist doch wohl ein Mensch immer nicht schlechter oder vergänglicher als ein Kleid. Und dieses selbige Bild, meine ich, läßt sich anwenden auf Seele und Leib; und wer eben dasselbige sagte von diesen, würde mir scheinen verständig zu reden, daß nämlich die Seele zwar dauerhafter ist, und der Leib schwächer und vergänglicher, doch aber, würde er hinzu setzen, verbrauche ja jede Seele viele Leiber, zumal wenn sie viele Jahre lebe. Denn wenn der Leib immer im Muß ist und vergeht, so lange der Mensch lebt, die Seele aber das verbrauchte immer wieder webt: so muß ja die Seele wohl, wenn sie umkommt, diese ihre letzte Bekleidung noch haben, und eher freilich nur als diese einzige umkommen, und erst wenn die Seele umgekommen ist, kann dann der Leib die Natur seiner Schwachheit beweisen, indem er schnell durch Fäulnis vergeht. So daß man also diesem Satz noch nicht zuverlässig trauen darf, daß wenn wir tot sind (88) unsere Seele noch irgendwo ist. Denn wenn jemand auch dem, der deine Behauptung vorträgt, noch mehr einräumen wollte, und zugeben, unsere Seele sei nicht nur in der Zeit vor unserer Geburt gewesen, sondern es hindere auch nichts, daß nicht auch nach dem Tode Einiger Seelen noch wären und sein würden, und noch oft würden geboren werden und wieder sterben, denn so stark sei sie von Natur, daß sie dieses gar vielmal aushalten könne; nur aber, indem er dieses zugäbe, nicht auch noch jenes einräumte, daß sie in diesen vielen Geburten gar nicht von Kräften komme, und auch am Ende nicht in einem von diesen Toden gänzlich untergehe, sondern sagte, Diesen Tod aber und diese Auflösung des Leibes, welche der Seele den Untergang bringt, wisse nur keiner, denn es sei unmöglich, daß irgend einer von uns ihn fühle; wenn sich nun dieses so verhält, so kann doch von keinem der über den Tod gutes Mutes ist, gesagt werden, daß er nicht auf eine unverständige Weise mutig sei, wenn er nicht zu beweisen vermag, daß die Seele ganz und gar unsterblich und unvergänglich ist; wo nicht, so muß jeder, der im Begriff ist zu sterben, für seine eigene Seele in Sorgen sein, ob sie nicht grade in dieser Trennung von dem Leibe ganz und gar untergehn werde.
Alle nun, als wir sie beide dieses hatten sagen gehört, waren wir, wie wir uns hernach gestanden, auf unangenehme Weise verstimmt, weil sie uns, die wir durch die vorigen Reden stark überzeugt waren, wieder unruhig zu machen und in Ungewißheit zurückzuwerfen schienen, nicht nur über das bereits gesagte, sondern auch wegen dessen, was nun noch würde gesagt werden, ob nicht wir ganz untaugliche Richter wären, oder auch die Sache selbst gar nicht zu entscheiden.
Echekrates: Bei den Göttern, o Phaidon, ich verzeihe euch das. Denn auch ich, da ich dies jetzt von dir gehört, habe so zu mir gesprochen, Welcher Rede soll man nun wohl noch glauben, denn die so sehr glaubliche, welche Sokrates vorgetragen, ist nun doch um allen Glauben gekommen. Denn gar wunderbar ergreift mich dieser Satz schon jetzt und immer, daß unsere Seele eine Stimmung ist; und wie er jetzt ausgesagt worden, hat er mir in Erinnerung gebracht, daß auch mir das vorher schon so gedäucht hatte. Und so bedarf ich nun wieder wie anfangs einer andern Rede, um mich zu überzeugen, daß mit dem Sterbenden die Seele nicht mitstirbt. Sage nun, beim Zeus, wie Sokrates dieses verfolgt hat, und ob auch ihm, wie du von euch sagst, etwas verdrießliches anzumerken war oder nicht, sondern er seinen Satz ruhig verteidigte, und ob er es befriedigend getan hat oder unzureichend. Dies alles berichte uns so genau als möglich.
Phaidon: Gewiß, o Echekrates, wie oft ich auch schon den Sokrates bewundert hatte, nie doch war ich mehr von ihm eingenommen, als damals. Denn daß er etwas zu erwidern wußte, (89) ist wohl nichts besonderes; aber ich bewunderte ihn zuerst vorzüglich darüber, wie freundlich und sanft und beifällig er die Reden der jungen Männer aufnahm, dann wie scharf er bemerkte, was sie auf uns gewirkt hatten, und wie gut er uns heilte und gleichsam wie Flüchtlinge und Geschlagene zurückrief und uns zusprach, ihm zu folgen und die Rede mit ihm zu erwägen.
Echekrates: Wie also?
Phaidon: Das will ich dir sagen. Ich saß nämlich zu seiner Rechten neben dem Bett auf einem Bänkchen, er aber saß weit höher als ich. Nun strich er mir über den Kopf, faßte die Haare im Nacken zusammen, denn er pflegte wohl oft in meinen Haaren zu spielen, und sagte, Morgen also, o Phaidon, wirst du wohl diese schönen Locken abscheren? – So sieht es wohl aus, o Sokrates, sprach ich. – Nicht doch, wenn du mir folgst. – Was denn? fragte ich. – Heute noch, sagte er, wollen wir ich meine und du diese abscheren, wenn uns nämlich die Rede stirbt, und wir sie nicht wieder ins Leben rufen können. Und wenn ich du wäre und mir diese Rede abhanden käme, wollte ich, wie die Argeier, einen Eid darauf ablegen, nicht eher das Haar wachsen zu lassen, bis ich in ehrlichem Kampf die Rede des Simmias und Kebes besiegt hätte. – Aber, sagte ich, mit zweien kann es ja auch Herakles nicht aufnehmen. – So rufe denn mich herbei, sprach er, als deinen Jolaos, so lange es noch Tag ist. – Das tue ich denn, sagte ich, aber nicht als Herakles, sondern wie Jolaos den Herakles. – Das ist gleichviel, sagte er. Aber daß wir uns ja zuerst hüten, daß uns nicht etwas gewisses begegne. – Was doch? fragte ich. – Daß wir ja nicht Redefeinde werden, sprach er, wie andere wohl Menschenfeinde. Denn unmöglich, sagte er, kann einem etwas ärgeres begegnen, als wenn er Reden haßt. Und die Redefeindschaft entsteht ganz auf dieselbe Weise wie die Menschenfeindschaft. Nämlich die Menschenfeindschaft entsteht, wenn man einem auf kunstlose Weise zu sehr vertraut, und einen Menschen für durchaus wahr, gesund und zuverlässig gehalten hat, bald darauf aber denselbigen als schlecht und unzuverlässig erfindet, und dann wieder einen, und wenn einem das öfter begegnet, und bei solchen, die man für die vertrautesten und besten Freunde hält, so haßt man denn endlich, wenn man immer wieder anstößt, Alle, und glaubt daß nirgend an keinem irgend etwas gesundes ist. Oder hast du nicht bemerkt, daß das so zu gehen pflegt? – Ja wohl, sagte ich. – Ist das nun nicht, sprach er, schändlich, und ist nicht offenbar, daß ein solcher sich ohne die Kunst, die sich auf Menschen versteht, an den Umgang mit den Menschen wagt? Denn wenn er dieser Kunst gemäß mit ihnen umginge: so würde er, wie es sich in der Tat verhält, so auch glauben, daß es der sehr guten (90) und sehr schlechten beider immer nur wenige gibt, der mittelmäßigen aber am meisten. – Wie meinst du das, sprach ich. – Gerade, sagte er, wie mit dem sehr großen und sehr kleinen; glaubst du, daß es etwas seltneres gibt, als einen ganz ausgezeichnet großen oder ausgezeichnet kleinen Menschen oder Hund oder sonst etwas zu finden? und eben so mit schnell und langsam, häßlich und schön, weiß und schwarz? oder hast du nicht gemerkt, daß von alle dem das äußerste selten vorkommt und wenig, das mittlere aber unendlich häufig? – Freilich, sprach ich. – Und meinst du nicht, sagte er, wenn ein Wettstreit der Schlechtigkeit angestellt würde, daß auch da nur sehr wenige sich als die ersten zeigen würden? – Natürlich, sagte ich. – Freilich natürlich, sprach er; aber darin sind eigentlich die Reden nicht den Menschen ähnlich, sondern nur weil du führtest bin ich dir hieher gefolgt, wohl aber darin, daß wenn jemand einer Rede getraut hat, daß sie wahr sei, ohne die Kunst, welche sich auf Reden versteht, und sie ihm dann bald darauf wieder falsch vorkommt, manchmal mit Recht, manchmal mit Unrecht, und so wieder eine und eine andere, und vorzüglich gilt das, wie du wohl weißt, von denen, die sich mit Streitreden abgeben, daß sie am Ende glauben ganz weise