PLATON - Gesammelte Werke. Platon

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auf diese Art zu besitzen zwar, aber nicht zu haben; sondern wie wenn Jemand wilde Vögel, Tauben oder von anderer Art, gejagt und zu Hause einen Taubenschlag bereitet hat, worin er sie hält. Denn auf gewisse Weise würden wir dann sagen können, daß er sie immer hat, da er sie ja besitzt. Nicht wahr?

      Theaitetos: Ja.

      Sokrates: In einem andern Sinne aber auch, daß er gar keine hat, sondern daß ihm nur eine Gewalt über sie zukommt, indem er sie in einem ihm eigentümlichen Behältnis sich unterwürfig gemacht, sie zu nehmen und zu haben, wann er Lust hat, indem er fangen und wieder loslassen kann welche er jedesmal will, und dieses ihm frei steht zu tun so oft es ihm nur gefällt.

      Theaitetos: So ist es.

      Sokrates: Wie wir also in dem Vorigen ich weiß nicht mehr was für ein wächsernes Machwerk in der Seele bereiteten, so laß uns jetzt in jeder Seele einen Taubenschlag von mancherlei Vögeln anlegen, einige die sich in Herden zusammenhalten und von Andern absondern, andere die nur zu wenigen, noch andere welche einzeln unter allen wie es kommt umherfliegen.

      Theaitetos: Er sei angelegt. Was wird nun aber daraus?

      Sokrates: In der Kindheit muß man sagen sei dieses Behältnis leer, und statt der Vögel muß man sich Erkenntnisse denken. Welche Erkenntnisse nun Einer in Besitz genommen und in seinen Schlag eingesperrt hat, von denen sagt man, er habe die Sache, deren Erkenntnis dies war, gelernt oder gefunden, und dies sei eben das Wissen.

      Theaitetos: So soll es sein.

      Sokrates: Daß er aber, welche von diesen Erkenntnissen er (198) will, jagt und greift, und sie dann festhält und wieder losläßt; siehe nun zu, welchen Namen dieses wird führen müssen, ob denselben wie zuvor da er sie in Besitz nahm, oder einen andern? Du kannst aber hieraus noch deutlicher abnehmen, was ich will. Du nimmst doch eine Rechenkunst an?

      Theaitetos: Ja.

      Sokrates: Diese denke dir nun als die Jagd nach allen Erkenntnissen vom Geraden und Ungeraden.

      Theaitetos: So denke ich sie.

      Sokrates: Vermittelst dieser Kunst nun, meine ich, hat Jemand sowohl für sich die Erkenntnis der Zahlen in seiner Gewalt, als auch auf Andere überträgt sie vermittelst ihrer wer dies tut.

      Theaitetos: Ja.

      Sokrates: Und wir sagen, wer sie übergibt der lehre, und wer sie überkommt der lerne, wer sie aber hat, so daß er sie besitzt in jenem Taubenschlage, der wisse.

      Theaitetos: Sehr wohl.

      Sokrates: Nun merke schon auf das Folgende. Wer nun vollkommen ein Rechenkünstler ist, weiß der nicht alle Zahlen? denn die Erkenntnisse von allen Zahlen sind in seiner Seele.

      Theaitetos: Wie sonst?

      Sokrates: Nun rechnet ein solcher doch wohl einmal etwas bei sich entweder Zahlen selbst oder auch etwas anderes außer ihnen, was Zahl an sich hat.

      Theaitetos: Wie sollte er nicht.

      Sokrates: Und das Rechnen selbst wollen wir doch als nichts anderes setzen als das Suchen, die wievielste Zahl eine ist.

      Theaitetos: Dafür.

      Sokrates: Was er also weiß scheint er zu suchen als ein nicht wissender, da wir doch eingeräumt haben, daß er alle Zahlen wisse. Denn du hörst doch von solchen Streitfragen?

      Theaitetos: O ja.

      Sokrates: Werden wir nun nicht dies mit dem Besitz der Tauben und mit der Jagd auf sie vergleichend sagen, daß es eine doppelte Jagd gibt, die eine vor dem Besitz, des Besitzes wegen, die andere für den Besitzer, wenn er greifen und in Händen haben will was er schon lange besessen hat. Eben so auch kann Jemand dieses nämliche, wovon er durch Lernen schon seit langer Zeit Erkenntnis hatte und es wußte, doch sich vergegenwärtigen, indem er die Erkenntnis einer Sache wieder aufnimmt und festhält, welche er zwar schon lange besaß, sie aber nicht bei der Hand hatte in Gedanken.

      Theaitetos: Sehr richtig.

      Sokrates: Darnach nun fragte ich eben vorher, mit was für Worten man dies ausdrücken soll, wenn der Rechenkünstler geht um etwas auszurechnen, oder der Sprachkundige etwas zu lesen; als ein Wissender also, geht er in diesem Fall wieder um von sich selbst zu lernen was er weiß?

      Theaitetos: Aber das ist ja ungereimt, o Sokrates.

      Sokrates: Sollen wir also sagen, er lese oder rechne was er nicht wisse, nachdem wir jenem doch zugeschrieben haben, daß er alle Buchstaben, diesem, daß er alle Zahlen wisse?

      Theaitetos: Aber auch das ist ja unvernünftig.

      (199) Sokrates: Willst du also daß wir sagen, um die Worte bekümmern wir uns nichts, wohin jeder das Wissen und das Lernen nach seinem Belieben ziehen will; nachdem wir aber festgesetzt, etwas Anderes sei die Erkenntnis besitzen, etwas Anderes sie haben: so behaupten wir, es sei zwar unmöglich, daß, was Jemand besitzt, er auch nicht besitze, so daß dies freilich sich niemals ereigne, daß Jemand was er weiß nicht wisse; eine falsche Vorstellung davon zu haben sei jedoch möglich, indem es möglich sei, daß er nicht diese sondern eine andere Erkenntnis statt dieser gefaßt hätte, wenn, indem er auf eine von seinen Erkenntnissen Jagd macht, diese durch einander fliegen, und er dann sich vergreift und anstatt der einen eine andere bekommt; wenn er also glaubt Elf sei Zwölf, indem er die Erkenntnis der Elf anstatt der der Zwölf gegriffen, gleichsam seine Holztaube statt seiner Kropftaube.

      Theaitetos: Dies läßt sich annehmen.

      Sokrates: Greift er aber die welche er greifen wollte, dann irre er sich nicht, sondern stelle vor was ist, und das nun sei die wahre und die falsche Vorstellung; und worüber wir vorher verdrießlich wurden, das stehe uns gar nicht entgegen? Vielleicht wirst du mir beistimmen, oder was wirst du tun?

      Theaitetos: Beistimmen.

      Sokrates: So wären wir demnach das Nichtwissen dessen, was man weiß, glücklich los. Denn daß wir nicht besäßen, was wir besitzen, das ereignet sich nun nicht mehr, es mag sich Jemand irren oder nicht. Allein es scheint mir jetzt ein noch ärgeres Ereignis sich zu zeigen.

      Theaitetos: Was denn?

      Sokrates: Wenn das Verwechseln der Erkenntnisse die falsche Vorstellung sein soll.

      Theaitetos: Wie so?

      Sokrates: Zuerst schon dieses, daß Jemand eine Erkenntnis von etwas haben, und doch dieses selbst nicht kennen soll, und zwar nicht durch Unwissenheit, sondern eben vermittelst seiner Erkenntnis, ferner ein Anderes als dieses vorstellen und dieses als ein anderes: wie wäre dieses nicht ganz widersinnig, daß indem ihr Erkenntnis einwohnt, die Seele doch gar nichts erkenne, sondern Alles verkennen sollte. Denn nach demselben Verhältnis hindert nichts, daß nicht auch eine ihr beiwohnende Unwissenheit machen könnte, daß sie etwas wisse, und eine Blindheit, daß sie etwas sehe, wenn sogar eine Erkenntnis machen kann, daß sie etwas nicht weiß.

      Theaitetos: Vielleicht, Sokrates, haben wir eben die Vögel nicht richtig angenommen, indem wir sagten, sie wären sämtlich Erkenntnisse. Wir hätten vielmehr auch Unkenntnisse annehmen sollen, welche in der Seele mit herumfliegen, und daß der Jagende, indem er bald die Erkenntnis bald die Unkenntnis ergreift, denselben Gegenstand vermittelst der Unkenntnis falsch, vermittelst der Erkenntnis aber richtig vorstelle?

      Sokrates: Es ist nicht leicht, Theaitetos, dich nicht zu loben. Allein was du jetzt gesagt hast, das besieh dir doch noch einmal. Es sei nämlich wie du sagst: so wird, wer die Unkenntnis (200) ergriffen hat, wie du behauptest,


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