PLATON - Gesammelte Werke. Platon

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etwas das er nicht wahrnimmt. – In allen diesen Fällen ist ein Übermaß von Unmöglichkeit, daß Jemand darin falsch vorstellen sollte. Es bleibt also nur übrig, wenn irgendwo, daß in folgenden Fällen so etwas geschehe.

      Theaitetos: In welchen nur wohl? ob ich vielleicht durch sie der Sache besser inne werde: denn jetzt freilich folge ich gar nicht.

      Sokrates: Daß er das, wovon er weiß, für etwas Anderes halte, wovon er auch weiß und was er eben wahrnimmt; oder auch für etwas, wovon er nicht weiß, das er aber wahrnimmt; oder endlich etwas das er wahrnimmt und wovon er weiß für ein anderes, das er auch wahrnimmt, und wovon er weiß.

      Theaitetos: Nun bleibe ich noch viel weiter zurück als vorher.

      Sokrates: So höre es noch einmal auf diese Art. Ich der ich vom Theodoros weiß, und mich bei mir selbst erinnere, wie er beschaffen ist, und eben so auch vom Theaitetos, sehe sie doch nur bisweilen und dann wieder nicht, betaste sie und dann wieder nicht? eben so bisweilen höre ich euch oder nehme euch auf eine andere Art wahr; dann aber habe ich auch wieder ganz und gar keine Wahrnehmung von euch, erinnere mich aber eurer nichts desto weniger, und kenne euch bei mir selbst?

      Theaitetos: So ist es allerdings.

      Sokrates: Merke also von dem was ich sagen will zuerst dieses, daß man dasjenige, wovon man bereits weiß, bisweilen nicht wahrnimmt, bisweilen auch wieder wahrnimmt.

      Theaitetos: Richtig.

      Sokrates: Kann man nicht auch eben so das, wovon man nicht weiß, bisweilen auch nicht einmal wahrnehmen, dann wieder wahrnehmen allein?

      Theaitetos: Auch das verhält sich so.

      Sokrates: So sieh nur ob du mir jetzt besser folgst. Sokrates (193) kennt den Theodoros und Theaitetos, sieht aber keinen von beiden noch auch kommt ihm irgend eine andere Wahrnehmung von ihnen zu; niemals wird er sich in diesem Falle vorstellen, als ob Theaitetos Theodoros wäre. Habe ich recht oder nicht?

      Theaitetos: O ja, ganz recht.

      Sokrates: Dies war das erste unter dem, was ich aufgestellt habe.

      Theaitetos: So war es.

      Sokrates: Das zweite nun war, daß wenn ich den einen von euch kenne, den andern aber nicht kenne, und keinen von beiden wahrnehme, ich dann nie auf den Gedanken kommen kann, der, von dem ich weiß, sei der, von dem ich nicht weiß.

      Theaitetos: Richtig.

      Sokrates: Das dritte war, daß wenn ich von keinem von beiden weiß, noch auch sie wahrnehme, ich ebenfalls nicht glauben kann, der eine von dem ich nicht weiß, sei der andere von dem ich ebenfalls nicht weiß. Und so nimm an, du habest der Reihe nach noch einmal auf diese Art gehört alle die vorigen Fälle, in denen ich auf keine Weise in Hinsicht auf dich und den Theodoros falsch vorstellen kann sowohl unter der Voraussetzung, daß ich euch beide kenne, als unter der, daß ich euch beide nicht kenne, und unter der, daß ich den einen von euch kenne, den andern aber nicht. Eben so nun mit den Wahrnehmungen, wenn du jetzt folgst.

      Theaitetos: Jetzt folge ich.

      Sokrates: Es bleibt also übrig falsch vorzustellen in dem Falle, wenn ich den Theodoros sowohl als dich kennend, und von euch beiden wie von Siegelringen in jenem Wachs die Abdrücke habend, euch dann von weitem und nicht deutlich genug sehe, und indem ich mir Mühe gebe, das einem jeden zugehörige Abzeichen mit der ihm zugehörigen Gesichtswahrnehmung so zu vereinigen, daß ich diese gleichsam in ihre vorigen Spuren wieder einzuführen suche, damit eine Wiedererkennung erfolge, ich dann dies verfehle, und wie beim Wiederanlegen der Schuhe beide vertauschend die Anschauung eines Jeden zu dem fremden Abdruck hinwerfe, oder eben so fehle wie es mit dem Sehen in den Spiegel ergeht, wo was rechts ist auf die linke Seite hinüberfließt: dann entsteht die Verwechselung der Vorstellung und das falsch vorstellen.

      Theaitetos: Es ist gar nicht zu sagen, Sokrates, wie sehr was bei der Vorstellung vorkommt dem gleicht was du anführst.

      Sokrates: Eben so auch ferner wenn ich beide kennend, den einen außer dem Kennen auch wahrnehme, den andern aber nicht, wenn nämlich meine Kenntnis des einen der Wahrnehmung nicht entsprechend ist, welches ich vorher eben so sagte, und du damals nicht verstandest.

      Theaitetos: Ich verstand es nicht.

      Sokrates: Ich sagte nämlich dieses, daß wer den einen kennt und wahrnimmt, und eine der Wahrnehmung entsprechende Kenntnis von ihm hat, gewiß niemals glauben wird, dieser sei ein Anderer, den er auch kennt und wahrnimmt, und von dem er ebenfalls eine der Wahrnehmung entsprechende Kenntnis hat. So war es doch?

      Theaitetos: Ja.

      Sokrates: So blieb also eben das jetzt angeführte übrig, wobei wir behaupten, daß eine falsche Vorstellung entstehen könne, daß nämlich wer beide kennt, und beide sieht oder sonst eine (194) Wahrnehmung von ihnen hat, die Abdrücke von beiden der Wahrnehmung vielleicht nicht ähnlich besitzt, und so wie ein schlechter Schütze anderswohin treffen und sein Ziel verfehlen kann, welches eben auch falsch genannt wird.

      Theaitetos: Und ganz mit Recht.

      Sokrates: Also auch wenn nur zu dem einen Abdruck die Wahrnehmung hinzukommt, zu dem andern aber nicht, und sie den der abwesenden Wahrnehmung dann der anwesenden zuschreibt, in dem allen kann die Seele sich irren. Und mit einem Worte, in dem, wovon jemand nicht weiß, noch es jemals wahrgenommen hat, findet, wie es scheint, das Irren nicht statt und die falsche Vorstellung, wenn wir anders jetzt irgend etwas vernünftiges gesagt haben. In dem aber, wovon wir wissen und was wir wahrnehmen, darin dreht und wendet sich die Vorstellung bald richtig bald falsch geratend; wenn sie nämlich grade gegenüber geht und zusammengehörige Abbilder und Urbilder mit einander verbindet, wird sie wahr; wenn sie aber verdreht und kreuzweise verbindet, wird sie falsch.

      Theaitetos: Das ist vortrefflich gesagt, Sokrates.

      Sokrates: Hast du erst auch dieses gehört: so wirst du es noch mehr sagen. Das richtig vorstellen ist doch etwas schönes, das sich irren aber etwas schlechtes?

      Theaitetos: Wie sollte es nicht.

      Sokrates: Dieses nun sagt man entstehe daher. Wenn Jemandes Wachs in der Seele stark aufgetragen ist und reichlich und glatt und gehörig erweicht, dann und bei solchen Menschen sind alle aus den Wahrnehmungen kommenden und in dieses Mark der Seele, wie Homeros die Ähnlichkeit mit dem Wachs andeutend sagt, eingezeichneten Abdrücke, da sie rein sind und Tiefe genug haben, auch dauerhaft, und solche Menschen selbst sind zuerst gelehrig, dann auch von gutem Gedächtnis, ferner verwechseln sie nicht die Abdrücke der Wahrnehmungen, sondern stellen immer richtig vor. Denn sie können ihre festen und geräumig gelegenen Abbilder leicht an das ihnen zugehörige verteilen, was das wirkliche heißt, und solche Menschen selbst heißen weise. Oder dünkt dich das nicht?

      Theaitetos: Überaus sehr.

      Sokrates: Wenn nun jemandes Mark rauh ist, welches der in allen Dingen weise Dichter gar loben will, oder wenn es schmutzig ist und nicht von reinem Wachs, oder auch zu feucht oder zu hart: so sind die mit dem feuchten gelehrig zwar, aber auch vergeßlich, die mit dem harten aber das Gegenteil. Die aber haariges und rauhes, und steiniges oder mit Erde und Schmutz vermischtes haben, die haben auch undeutliche Abdrücke: undeutlich auch die zu hartes haben, denn sie sind nicht tief genug; undeutlich auch die feuchtes, (195) denn weil sie sich verlaufen, werden sie bald unkenntlich. Sind sie nun überdies noch aus Mangel an Raum übereinander gedrängt, wenn jemandes Seelchen nur klein ist: so werden sie noch undeutlicher als jene. Also diese nun werden falsch vorstellende; denn wenn sie etwas sehen oder hören oder überdenken, so können sie nicht schnell jedem das seinige zuweisen, sondern sind langsam, und weil sie falsch anweisen, so versehen und verhören und verdenken sie sich oftmals,


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