Gesammelte Werke. Sinclair Lewis

Gesammelte Werke - Sinclair Lewis


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seinen Riesenschritten nach, dann lehnte sie sich an einen Ahornstamm; ein vorübergehender Kommis kicherte.

      Am nächsten Sonntag erschien sie nicht in der Kirche. Elmer freute sich so darüber, daß er daran dachte, sich noch einmal mit ihr zu verabreden.

      4

      Diakon Bains und seine gute Frau hatten bemerkt, wie bleich und geistesabwesend ihre sonst gesunde Tochter war.

      »Wahrscheinlich ist sie in den neuen Prediger verliebt. Na, wir wollen unsere Finger da nicht reinstecken. Das wäre eine hübsche Partie für sie. Ich hab' noch nie einen jungen Prediger gekannt, der so die Kraft gehabt hat. Er redet wie besessen, weiß Gott,« sagte der Diakon, während sie in ihrem ungeheuren, hohen alten Bett gähnten und sich streckten.

      Dann kam Floyd Naylor aufgeregt zum Diakon.

      Floyd war ein Verwandter der Familie; ein unbeholfen gehender Mann von fünfundzwanzig Jahren, riesenstark, ziemlich beschränkt, ein armer, sehr zuverlässiger Bauer. Seit vielen Jahren umschwärmte er Lulu. Es wäre übertrieben romantisch, wollte man sagen, daß er sich in einsamer Verehrung verzehrt hätte. Doch immer war Lulu für ihn das schönste, sprühendste und tiefsinnigste Mädchen der ganzen Welt gewesen. Lulu hielt ihn für einen steifen Besen, und Diakon Bains waren seine Ansichten über Luzerne zuwider. Man rechnete ihn halb zum Haushalt, etwa so wie einen Nachbarshund.

      Floyd traf Diakon Bains im Scheunenhof beim Reparieren eines Ortscheits und grunzte:

      »Hör mal, Vetter Barney, ich bin bißchen besorgt wegen Lulu.«

      »Ach, wahrscheinlich ist sie in diesen neuen Prediger verliebt. Ich weiß nicht; vielleicht werden sie 'n Paar.«

      »Ja, aber liebt Bruder Gantry sie? Ich mag den Kerl nicht.«

      »Unsinn, du hast nichts für Prediger übrig. Du warst nie in einem wirklichen Gnadenzustand. Du bist nie richtig vom Geist wiedergeboren worden.«

      »Einen Dreck bin ich nicht! Ich bin genau so gut wiedergeboren wie du! Mit den Predigern ist schon alles gut und schön, mit den meisten. Aber der Kerl, der Gantry – weißt du, jetzt so vor zwei Monaten hab' ich ihn mit Lulu den Schulweg herunterkommen gesehen, und die beiden haben sich auf Deibel komm raus geknutscht und geküßt, und er hat Schatz zu ihr gesagt.«

      »He? Bist du sicher, daß sie's waren?«

      »Totsicher. Ich war, äh – also, Tatsache, noch ein anderer und ich –«

      »Wer war sie?«

      »Das ist ja jetzt ganz egal. Auf jeden Fall sind wir unter dem großen Ahornbaum vor dem Schulhaus gesessen, im Schatten, aber der Mond hat hell geschienen, und Lulu und dieser Prediger sind vorbeigekommen, so nah, wie ich jetzt vor dir steh', hübsch nah. Na, denk' ich, wahrscheinlich werden sie sich bald verloben. Dann bin ich ein- oder zweimal nach der Andacht in der Nähe von der Kirche geblieben, und einmal guck' ich so bißchen ins Fenster rein und da seh' ich sie richtig im vordersten Kirchstuhl, ganz zärtlich miteinander, so als ob sie sich sicher heiraten würden. Ich hab' nichts gesagt – ich hab abwarten wollen und sehen, ob er sie heiratet. Es geht mich weiter nichts an, Barney, aber du weißt, ich hab' Lulu immer gern gehabt, und ich mein', wir sollten wissen, ob der Bibelkaffer ehrliches Spiel gegen sie vorhat.«

      »Das wird wohl richtig sein, glaub's schon. Ich werd' mal mit ihr reden.«

      Bains hatte seine Tochter nie genau beobachtet, aber Floyd Naylor war kein Lügner; mit geöffneten Augen stapfte der Diakon ins Haus und fand sie am Butterfaß, mit schlaff herabhängenden Armen.

      »Sag mal, äh, sag mal, äh, Lu, wie steht's zwischen dir und Bruder Gantry?«

      »Wieso, was meinst du?«

      »Seid ihr zwei verlobt? Wollt Ihr euch verloben? Will er dich heiraten?«

      »Aber woher denn.«

      »Hat er dir die Cour geschnitten, was?«

      »Oh, nie.«

      »Dich nie gestreichelt oder geküßt?«

      »Nie!«

      »Wie weit ist er gegangen?«

      »Ach, gar nicht!«

      »Warum siehst du in der letzten Zeit so bißchen spitzig aus?«

      »Ach, ich fühl' mich ganz einfach nicht recht wohl. Oh, ich fühl' mich ausgezeichnet. Es ist nur der Frühling, der kommt, glaub' ich –« Sie fiel zu Boden, mit dem Kopf gegen das Butterfaß, ihre dünnen Finger schlugen einen hysterischen Trommelwirbel auf dem Boden, sie weinte würgend.

      »Na, na, Lu! Dein Vater wird schon was machen.«

      Floyd wartete im Farmhof.

      Damals gab es in jenen Gegenden eine nicht seltene Zeremonie, die als »Schießeisenhochzeit« bekannt war.

      5

      Der Reverend Elmer Gantry las in seinem Zimmer in der Elizabeth J. Schmutz-Hall am späten Nachmittag eine munter illustrierte Zeitschrift, die Preisboxern und Chormädchen gewidmet war, als zwei große Männer ohne anzuklopfen hereinkamen.

      »Nanu, guten Abend, Bruder Bains – Bruder Naylor! Das ist eine angenehme Überraschung. Ich hab' eben, äh – haben Sie schon mal diesen fürchterlichen Fetzen gesehen? Über Schauspielerinnen. Eine Erfindung des Teufels selber. Ich wollt's am nächsten Sonntag brandmarken. Ich hoffe, daß Sie's nie gelesen haben – wollen Sie nicht Platz nehmen, meine Herren? – Ich hoffe, daß Sie's nie gelesen haben, Bruder Floyd, weil die Schritte des –«

      »Gantry«, explodierte Diakon Bains, »ich möchte, daß Sie Ihre Schritte gleich jetzt zu meinem Haus lenken! Sie haben mit meiner Tochter rumgespielt, und entweder heiraten Sie sie, oder Floyd und ich rechnen mit Ihnen ab, und so wie mir jetzt zumut ist, ist mir's ziemlich egal, welches von beiden geschieht.«

      »Sie wollen sagen, daß Lulu behauptet hat –«

      »Nein, Lulu hat gar nichts gesagt. Gott, ich weiß nicht einmal, ob ich das Mädel einen Kerl wie Sie überhaupt heiraten lassen soll. Aber ich muß auf ihren guten Namen schauen, und ich glaub', Floyd und ich werden schon sehen können, ob Sie sie nach der Hochzeit anständig behandeln. Also, ich hab' rumsagen lassen, daß alle Nachbarn heute abend in mein Haus zu 'ner kleinen Geselligkeit eingeladen sind, bei der ihnen gesagt werden soll, daß Sie und Lulu verlobt sind, und Sie werden sich Ihren Sonntagskirchganganzug anziehen und mit uns kommen, gleich jetzt.«

      »Sie können mich zu gar nichts zwingen –«

      »Nimm die Seite von ihm, Floyd, aber ich hab' den ersten Schlag. Du kriegst, was übrigbleibt.«

      Sie stellten sich neben ihm auf. Sie waren kleiner, weniger breit, aber sie hatten Gesichter wie gegerbtes zähes Leder, harte Augen –

      »Sie sind 'n großer Kerl, Bruder Gantry, aber ich glaub', Sie sind nicht mehr recht in Übung. Ziemlich weich«, meinte Diakon Bains.

      Seine Faust fiel herab, an sein Knie; seine Schulter beugte sich vor; seine Faust kam hoch – und Floyd hatte plötzlich Elmers Arme gepackt.

      »Ich werd's machen! Ist recht! Ist recht!« schrie Elmer.

      Er würde schon eine Möglichkeit finden, das Verlöbnis zum Bruch zu bringen. Schon fand er sein Gleichgewicht wieder.

      »Jetzt hört mich mal an! Ich liebe Lulu und hatte vor, um sie anzuhalten, sobald ich hier fertig sein – von jetzt in nicht ganz drei Monaten – und meine erste Kirche haben würde. Und da platzt ihr zwei rein und wollt den Roman verpatzen!«

      »Hm, ja, wird schon so sein«, sagte Bains langsam, mit unbeschreiblicher Verachtung im schleppenden Ton. »Die hübschen Worte heben Sie sich alle für Lulu auf. Sie werden Mitte Mai heiraten – da bleibt genug Zeit nach der Verlobung, daß die Nachbarn nicht denken, es stimmt irgendwas nicht. Und jetzt rein in die Kleider. Der Einspänner


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