Bilanzen erstellen und lesen für Dummies. Michael Griga
was die Erstellung von Jahresabschlüssen betrifft, wird in entsprechenden Rechnungslegungsvorschriften wie etwa dem Handelsgesetzbuch (HGB) oder dem International Financial Reporting Standard (IFRS) mehr oder weniger streng geregelt.
Allerdings gibt es durchaus noch ein paar Stellschrauben, mit denen Unternehmen ihre Bilanzen noch ein wenig aufhübschen können. Diese Stellschrauben bestehen beispielsweise aus
bestimmten Wahlrechten bezüglich Ansatz und Bewertung von Vermögensgegenständen,
zeitlichen Verlagerungen von Investitionsvorhaben,
Ermessensspielräumen bei der Bildung von Rücklagen und Rückstellungen.
All das ermöglicht dem Unternehmen, sich nach außen hin so darzustellen, wie man es gerne hätte.
Wird der Jahresabschluss im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten bewusst so ausgestaltet, dass dem Leser der Bilanz ein bestimmter Eindruck vermittelt werden soll, nennt man das Bilanzpolitik.
Je nachdem, wem durch den Jahresabschluss welcher Eindruck vermittelt werden soll, kann die Bilanzpolitik unterschiedliche Richtungen verfolgen. Möglich wäre es zum einen, die Ertragslage schlechter auszuweisen, als sie eigentlich ist, oder – im Umkehrschluss – besser.
Gründe, weshalb es manchmal sinnvoll sein kann, sich schlechter darzustellen, sind unter anderem:
Durch den Ausweis möglichst geringer Gewinne können die Steuerlast und die Ausschüttung an die Aktionäre reduziert werden.
Schlechte Bilanzergebnisse können ein gutes Gegenargument bei hohen Lohnforderungen der eigenen Arbeitnehmer sein.
Preiserhöhungen lassen sich bei der Kundschaft besser kommunizieren.
Die Gründe, weshalb es sich manchmal lohnt, das Ergebnis besser auszuweisen, sind unter anderem:
Potenzielle Geldgeber sind aufgrund einer augenscheinlich guten finanziellen Lage des Unternehmens eher bereit, Kredite zu gewähren.
Gute Ergebnisse können helfen, das eigene Image in der Öffentlichkeit aufzupolieren.
Houston, wir haben ein Problem: Obwohl die Bilanz eigentlich ein möglichst realistisches Bild von der wirtschaftlichen Lage eines Unternehmens liefern soll, kann die aktuelle Situation durch Bilanzpolitik verzerrt dargestellt werden. Dies hat natürlich auch Folgen für die Bilanzanalyse.
Doch keine Panik: Im weiteren Verlauf dieses Buches erfahren Sie, welche bilanzpolitischen Möglichkeiten es gibt und an welchen Stellen Sie deshalb bei der Bilanzanalyse etwas aufpassen sollten.
Schiefe Bilanzen
Ab und zu wird Bilanzpolitik leider auch jenseits aller Grenzen der Legalität ausgeübt. Kommen solche Machenschaften ans Tageslicht, spricht man von einem »Bilanzierungsskandal« und »raffgierigen Managern«.
Wenn Sie so etwas interessiert, lesen Sie doch den Kasten »Wirecard: Nur ein weiterer Fall in einer endlosen Reihe von Bilanzierungsskandalen«, dort erzählen wir Ihnen die Geschichte eines großen Bilanzierungsskandals.
Wirecard: Nur ein weiterer Fall in einer endlosen Reihe von Bilanzierungsskandalen
Das Topmanagement von Wirecard wusste vorher nicht nur Bescheid über falsche Angaben in der Bilanz, nein, es hat den Bilanzbetrug sogar vorangetrieben. Der Fall Wirecard reiht sich damit ein in die lange Geschichte von Bilanzierungsskandalen und Finanzbetrügereien. Dabei sind stets bestimmte Elemente erkennbar.
Die Betrüger betreiben einen gewissen Aufwand, um den Investoren und Kapitalanlegern eine perfekte Illusion zu bieten und so eine gewisse Gier zu wecken. Johann Kaspar Schiller, der Vater von Friedrich Schiller, legte sein Geld einst in eine vermeintlich ertragreiche Silbermine in der Nähe der Ortschaft Jux an. Die Fake-Silbermine wurde tatsächlich gebaut, um Kapitalanleger anzulocken, nur Silber gab es dort nicht. So hat Schillers Vater dort sein Geld verjuxt.
Kreativität. Wecke die Fantasien der Anleger. Der Schotte Gregor MacGregor erfand ein Land in Südamerika und verkaufte in London erfolgreich Staatsanleihen. Seine Geschichte über ein Land mit Gold und Silber im Überfluss war so glaubhaft, dass einige Menschen sogar in das Paradies auswandern wollten. Sie fanden bei ihrer Ankunft im Fantasieland Poyais jedoch nur undurchdringlichen Dschungel vor und starben fast alle an Tropenkrankheiten.
Ein kriminelles Netzwerk. Im Jahr 2001 machte der Skandal um den US-amerikanischen Energieriesen Enron Schlagzeilen. Schadenssumme etwa 60 Milliarden US-Dollar. Das Kerngeschäft lieferte keine guten Zahlen. Der CFO initiierte die Gründung vieler kleiner Beteiligungen, die von Enron-Angestellten oder deren Verwandten geführt wurden. Enron hielt keine 100 Prozent an den Firmen, sodass sie nicht transparent in den Büchern auftauchten. Aufgabe der vielen kleinen gegründeten Beteiligungen war es, Schulden zu machen und das Kapital dann an Enron fließen zu lassen. Mitarbeiter wurden durch eine zweifelhafte Firmenkultur gezwungen mitzumachen. Die Wirtschaftsprüfer von Arthur Andersen, ehemals eine der größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften der Welt, waren ebenfalls involviert. Nachdem der Betrug aufflog, war es das Ende der Prüfungsgesellschaft.
Größenwahn. Die Betrüger halten sich für genial und überlegen. Eine gewisse Tendenz zum Größenwahn kann ausgemacht werden.
Übungsaufgaben
Aufgabe 1.1
Beschreiben Sie bitte, was man unter der Dokumentations-, Rechenschafts-, Zahlungsbemessungs- und Informationsfunktion versteht.
Aufgabe 1.2
Was versteht man unter einem Zeitvergleich und was sollte man dabei beachten?
Aufgabe 1.3
Überlegen Sie sich ein paar Gründe, warum ein Unternehmen in der Bilanz ein möglichst niedriges Ergebnis ausweisen möchte. Und wenn Sie schon dabei sind: Überlegen Sie sich doch auch gleich, was es für Gründe geben kann, in der Bilanz ein möglichst hohes Ergebnis auszuweisen.
Aufgabe 1.4
Nennen Sie mindestens drei Kennzahlen der Bilanzanalyse.
Lösungen zu den Übungsaufgaben
Aufgabe 1.1
Dokumentationsfunktion: Die Bilanz gibt detailliert Auskunft über das vorhandene Vermögen eines Unternehmens und zeigt auf, wie dieses finanziert wurde. Die Bilanz ist der Nachweis aller verbuchten Geschäftsvorfälle.
Rechenschaftsfunktion: Gegenüber allen am Unternehmen Interessierten, wie zum Beispiel den Eigentümern, wird mit der Bilanz über die Arbeit des Managements Rechenschaft abgelegt.
Zahlungsbemessungsfunktion: Die Ausschüttungen, also zum Beispiel die Dividendenzahlungen an die Anteilseigner, orientieren sich am Gewinn. Dieser wird durch das Ergebnis der Bilanz beeinflusst.
Informationsfunktion: Kapitalgesellschaften sowie Personengesellschaften ohne natürliche Person als persönlich haftendem Gesellschafter, wie etwa die GmbH & Co. KG, sind dazu verpflichtet, ihre Bilanzen zu veröffentlichen. Dadurch sollen Gläubiger, Kreditgeber, Geschäftspartner, der Fiskus und die Arbeitnehmer informiert werden, wie es um das Unternehmen wirtschaftlich bestellt ist.
Aufgabe 1.2
Beim Zeitvergleich