Steuerstrafrecht. Johannes Franciscus Corsten
nach auf Dauer angelegte Regelung treffen, sondern wechselnden Verhältnissen und Zeitnotwendigkeiten überwiegend nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit mit Bestimmungen, die erkennbar Übergangscharakter haben, gerecht werden will“, handelt es sich nach Ansicht des BGH um ein Zeitgesetz.[46] Ein Anhaltspunkt für das Vorliegen eines Zeitgesetzes soll darin liegen können, dass das Gesetz „verschiedenen Wandlungen unterworfen worden ist, die alle das Ziel hatten, es den wechselnden Verhältnissen anzupassen“.[47] Grundsätzlich ist demnach danach zu differenzieren, ob die Gesetze aufgrund besonderer tatsächlicher Verhältnisse geändert wurden (dann gilt das Zeitgesetz gem. § 2 Abs. 4 StGB) oder wegen sich ändernden Rechtsüberzeugungen (dann gilt das mildeste Gesetz gem. § 2 Abs. 3 StGB).
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Nach Ansicht des BGH greift der Wortlaut des § 2 Abs. 3 StGB nicht ein, sofern die blankettausfüllenden steuerrechtlichen Normen nur für spätere Besteuerungszeiträume geändert werden, nicht aber für die strafrechtlich relevanten Zeiträume; das Steuergesetz fülle dann in der Gestalt, die es damals hatte, nach wie vor die Blankettvorschrift des § 370 aus.[48] Dem ist zuzustimmen: Der Gesetzgeber legt die Geltungsanordnung in den Steuergesetzen regelmäßig selbst fest, so dass die nachträgliche Änderung der Normen, aus denen der Fiskus seinen Steueranspruch herleitet, keine Auswirkungen auf den bereits entstandenen Steueranspruch hat. Ist der Steueranspruch einmal entstanden, fällt er nicht dadurch wieder weg, dass die Steuer in späteren Besteuerungszeiträumen nicht mehr entsteht. Etwas anderes gilt natürlich, wenn der Anspruch wegen rückwirkender Gesetzesänderung – etwa wegen festgestellter Verfassungswidrigkeit – mit Wirkung für die Vergangenheit wegfällt.
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Wird die Geltung einer steuerlichen Norm nicht ausreichend durchgesetzt, weil ein strukturelles Vollzugsdefizit besteht, so führt dies zu einer gleichheitswidrigen Besteuerung entgegen Art. 3 Abs. 1 GG und damit zur Verfassungswidrigkeit der Norm selbst.[49] Stellt das Verfassungsgericht – wie regelmäßig bei Verstößen gegen den Gleichheitsgrundsatz nur die Unvereinbarkeit der Norm mit Verfassungsrecht fest (§ 79 Abs. 1 BVerfGG), so kann durch (nachträgliche) Behebung des Vollzugsdefizits die Verfassungswidrigkeit (rückwirkend) entfallen. Anders, bei Feststellung der Nichtigkeit der Norm (§ 78 BVerfGG).[50]
3. Örtliche Anwendung
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§ 370 gilt nach dem Territorialitätsprinzip des allgemeinen Strafrechts für Steuerstraftaten, die im Inland begangen werden (§ 369 Abs. 2 i.V.m. § 3 StGB, siehe dazu auch § 369 Rn. 34 ff.). Nach § 9 Abs. 1 Alt. 1 StGB ist eine Tat an jedem Ort begangen, an dem der Täter gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen. Darüber hinaus gilt deutsches Strafrecht nach § 370 Abs. 7 auch dann, wenn die Tat außerhalb des Geltungsbereichs der AO begangen worden ist. Somit kommt es bei im Ausland vorgenommenen Hinterziehungshandlungen anders als im allgemeinen Strafrecht (§ 9 Abs. 1 Alt. 2 StGB) nicht darauf an, ob der zum Tatbestand gehörende (Hinterziehungs-)Erfolg im Inland eingetreten ist. Allerdings erfasst der Schutzbereich des § 370 nur Steuern und Steuervergütungen i.S.d. § 1, also solche, die durch Bundesrecht oder Recht der Europäischen Union geregelt sind, soweit sie durch Bundes- oder Landesfinanzbehörden verwaltet werden (beachte aber auch § 370 Abs. 6 sowie § 153c StPO, der ein Absehen von der Strafverfolgung bei Auslandstaten erlaubt).
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Für den Teilnehmer liegt der Tatort nach § 9 Abs. 2 StGB sowohl dort, wo die Haupttat begangen wurde, als auch dort, wo der Teilnehmer gehandelt hat, bzw. hätte handeln müssen (zu beachten ist § 370 Abs. 7, der auch für die Teilnahme gilt, § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB).
1. Täter
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Täter ist derjenige, der eine eigene Tat begeht, wer hingegen an einer fremden Tat mitwirkt, ist Teilnehmer.
a) Formen der Täterschaft
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Nach § 369 Abs. 2 AO i.V.m. § 25 StGB kann allgemein Täter einer Steuerhinterziehung sein,
– | wer die Tat selbst begeht (§ 25 Abs. 1 Alt. 1 StGB), als unmittelbarer Täter, |
– | wer die Tat durch einen anderen begeht (§ 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB), als mittelbarer Täter, |
– | wer die Tat gemeinschaftlich mit anderen begeht (§ 25 Abs. 2 StGB), als Mittäter (siehe dazu auch § 369 Rn. 39 ff.). |
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Unmittelbarer Täter ist, wer die Tat selbst begeht, also allein (§ 25 Abs. 1 StGB) oder gemeinschaftlich (§ 25 Abs. 2 StGB) sämtliche Tatbestandsmerkmale erfüllt. Das ist im Fall des § 370 Abs. 1 Nr. 1 derjenige, der die Tathandlung selbst vornimmt, also z.B. seine Steuererklärung ausfüllt und an das Finanzamt schickt. Es genügt, dass der unmittelbare Täter darüber bestimmt, für wen und mit welchem Inhalt die Erklärung in den Rechtsverkehr gelangen soll und die Erklärung der zuständigen Behörde zugänglich macht.[51] Diktiert der Steuerpflichtige seiner Sekretärin z.B. falsche Angaben für eine Steuererklärung, die er anschließend unterschreibt und von ihr beim Finanzamt einwerfen lässt, so hat er die Herrschaft über den Inhalt und die Abgabe der Erklärung und ist damit allein unmittelbarer Täter.
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Bei gemeinschaftlicher Tatbegehung muss sich jeder Täter gem. § 25 Abs. 2 StGB den Tatbeitrag des oder der anderen als eigenen zurechnen lassen. Mittäter begehen die Steuerhinterziehung gemeinschaftlich, wenn sie die Tat aufgrund eines gemeinsamen Tatentschlusses gemeinsam ausführen, sodass jeder zentrale Gestalt des tatbestandlichen Geschehens ist. Anhaltspunkte für eine Mittäterschaft sind – auch im Bereich der Steuerdelikte – das eigene Interesse an der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder zumindest der Wille zur Tatherrschaft, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Mittäters abhängen müssen.[52] Entsprechend kann Mittäter einer Steuerhinterziehung in der Form des § 370 Abs. 1 Nr. 1 auch sein, wer selbst weder Steuerschuldner noch sonst Steuerpflichtiger in Bezug auf die hinterzogenen Steuern ist.[53] Dann wird jedoch in besonderem Maße zu prüfen sein, ob Täterschaft vorliegt und nicht lediglich eine Beteiligung an einer fremden Tat als Gehilfe[54] (zur Abgrenzung s. Rn. 22). Beispielsweise kann Mittäter einer Steuerhinterziehung sein, wer einem Unternehmen