Tatherrschaft im Rahmen der Steuerhinterziehung. Malte Wietfeld
ob es sich bei der in § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO genannten Pflicht um ein besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28 StGB handele.[8] Hintergrund der dieser Entscheidung zugrunde liegenden Revision war eine erstrebte Strafmilderung des Angeklagten, die dieser auf § 28 StGB stützen wollte. Der BGH verwehrte dem Revisionsführer diese Strafmilderung jedoch unter Hinweis darauf, dass er zwischen täterbezogenen persönlichen Merkmalen – auf die § 28 Abs. 1 StGB anwendbar sei – und tatbezogenen Merkmalen – auf die § 28 Abs. 1 StGB nicht anwendbar sei – unterscheide.[9] Bei der in § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO genannten Pflicht handele es sich lediglich um ein tatbezogenes Merkmal, weshalb § 28 Abs. 1 StGB keine Anwendung finde. Dies sei daran zu erkennen, dass die von § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO gemeinten Pflichten aus gesetzlichen Regelungen wie beispielsweise der Auskunftspflicht nach § 93 AO folgten und damit an „objektive Vorgänge des täglichen Lebens“ [10] anknüpften. Hierin sei keine täterbezogene, sondern eine reine tatbezogene Pflicht zu sehen.[11]
Aus dieser Argumentation folge im Umkehrschluss, dass auch der BGH der Auffassung zuneige, § 370 Abs. 1 AO sei insgesamt als Allgemeindelikt zu interpretieren.[12] Denn wenn die aus § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO folgende Verpflichtung für den BGH keine besondere persönliche Pflicht im Sinne des § 28 StGB darstelle, hieße das zwingend, dass er diese Vorschrift insgesamt nicht als Pflichtdelikt interpretiert wissen wolle. Dies wiederum könne im Umkehrschluss nur bedeuten, dass der BGH die Vorschrift insgesamt als Allgemeindelikt einordne.[13]
Anmerkungen
Bender wistra 2001, 161 (165); ders. ZfZ 2003, 255 (256 f.); ders. wistra 2004, 368 (371); Kuhlen FS Jung, S. 445 (455 ff.); in diese Richtung auch Jäger F/G/J Steuerstrafrecht, § 370 Rn. 224c.
Siehe hierzu in Ansätzen bereits Haas Die Theorie der Tatherrschaft und ihre Grundlagen, S. 54 f.
Siehe etwa Bender wistra 2004, 368 ff.
Aufgrund der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union entfallen die Probleme der täterschaftlichen Erfassung von Hintermännern beim Schmuggel heute indes. Grund hierfür ist, dass Art. 139 Abs. 1 UZK die Gestellungspflicht auch auf Personen, in deren Namen oder in deren Auftrag die Person handelt, die die Waren in das Gebiet verbracht hat sowie auf Personen ausweitet, die die Verantwortung für die Beförderung der Waren nach dem Verbringen in das Zollgebiet der Union übernommen haben.
Siehe nur Bender wistra 2004, 368.
Bender wistra 2004, 368 (371); Jäger F/G/J Steuerstrafrecht, § 370 Rn. 224 c; Kuhlen FS Jung, S. 445 (457 f.).
Kuhlen FS Jung, S. 445 (458).
BGH v. 25.1.1995 5 StR 491/94, BGHSt 41, 1 ff.
BGH v. 25.1.1995 5 StR 491/94, BGHSt 41, 1 f.
BGH v. 25.1.1995 5 StR 491/94, BGHSt 41, 1 (4).
BGH v. 25.1.1995 5 StR 491/94, BGHSt 41, 1 (4).
Kuhlen FS Jung, S. 445 (458).
Kuhlen FS Jung, S. 445 (458).
C. Stellungnahme
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Beide zuvor geschilderten Ansichten weisen zu Recht auf Missstände in der Struktur des § 370 Abs. 1 AO hin. Bestehende Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen den einzelnen Verhaltensformen werden ebenso überzeugend dargestellt wie der Umstand, dass der Pflichtwidrigkeitscharakter der Unterlassungstatbestände des § 370 Abs. 1 AO die strafrechtliche Verfolgung von Hintermännern, speziell im Bereich des Zollschmuggels, erschwert.[1] Bei dem nachvollziehbaren Versuch einer Auflösung dieser Schwierigkeiten darf jedoch der Umstand, dass der Tatbestand des § 370 Abs. 1 AO sehr klar formuliert ist, nicht allzu weit in den Hintergrund treten.[2] In Anbetracht dieser klaren Formulierung überdehnen beide Ansichten, die für eine einheitliche Interpretation des Deliktscharakters des § 370 Abs. 1 AO, entweder als reines Pflicht- oder als reines Herrschaftsdelikt, eintreten, die Grenze des Wortlautes der Vorschrift.
Anmerkungen
Siehe jedoch oben 4. Fn zu Rn. 34.
So im Ergebnis zuletzt auch BGH v. 9.4.2013 1 StR 586/12, DStR 2013, 1177 (1181).
Teil 5 Der Deliktscharakter des § 370 Abs. 1 AO › C. Stellungnahme › I. Interpretation als reines Pflichtdelikt
I. Interpretation als reines Pflichtdelikt
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Im Ergebnis vermag zunächst die Auffassung, § 370 Abs. 1 AO könne als reines Pflichtdelikt interpretiert werden, nicht zu überzeugen. Der gesetzgeberische Wille, nur im Unterlassungsbereich auf Pflichtwidrigkeit abstellen zu wollen, wird durch den Wortlaut der Vorschrift eindeutig dokumentiert. Für die Annahme, auch § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO wolle die Verletzung einer außerstrafrechtlichen, dem allgemeinen Steuerrecht entspringende, Verhaltenspflicht sanktionieren, findet sich dagegen keinerlei Andeutung im Wortlaut der Vorschrift. Hinzu kommt Folgendes: Im Rahmen dieser These wird ausgeführt, dass es einer wertenden Korrektur der herkömmlichen Tatbestandsinterpretation bedürfe, um Schwierigkeiten in der Abgrenzung von Handeln und Unterlassen zu umgehen.[1] Hierbei wird aber offensichtlich nicht beachtet, dass eine derart wertende Korrektur zwingend auch zu Verschiebungen im Bereich potentieller Tathandlungen führen würde. Im Rahmen von Pflichtdelikten werden weniger hohe Anforderungen an die Qualität der Tathandlung gestellt als dies im Bereich der Herrschaftsdelikte der Fall ist.[2] Dies ist eine logische Folge aus dem Umstand, dass bei Pflichtdelikten weniger die konkrete Handlung als mehr die Verletzung einer spezifischen Pflicht im Fokus steht. Die Haftung des Verpflichteten ist daher derjenigen eines Garanten angenähert.[3] Bei einer Interpretation der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO als Pflichtdelikt, besteht die Gefahr, dass eine Person in