Tatherrschaft im Rahmen der Steuerhinterziehung. Malte Wietfeld
stehe. Tatherrschaft könne demzufolge nur adjektivisch verstanden werden und die Tat nicht konstituieren. Deshalb könne die Tatherrschaftslehre nicht formulieren: „Es tötet nur, wer mit Tatherrschaft tötet“, sondern sie könne allenfalls behaupten: „Es könne nur derjenige Täter eines Totschlags im Sinne von § 212 StGB sein, der das Tötungsgeschehen als Zentralgestalt (mit „Tatherrschaft“) beherrsche.“[10] Es sei also nicht denkbar, dass der Begriff der Tatherrschaft aus sich selbst heraus festlege, wer Täter sei. Die Tatherrschaftslehre könne sich dem Täterbegriff vielmehr ausschließlich beschreibend nähern. Illustriert am Beispiel einer Alltagssituation sind diese Ausführungen wie folgt zu verstehen: die Aussage „der Pullover ist blau“ gestattet keinerlei Rückschlüsse darauf, was mit der Farbe Blau an sich gemeint ist. Die Farbe Blau muss also schon vorab definiert sein, um die Aussage verstehen zu können, weil das Adjektiv blau nur den Zustand des Pullovers beschreiben kann. Übertragen auf die Lehre von der Tatherrschaft bedeutet dies, dass unabhängig von dem Begriff der Tatherrschaft vorab feststehen muss, welches das tatbestandsmäßige Geschehen ist, das der Täter beherrschen muss, um als solcher zu gelten. Hierbei, müsse aber beachtet werden, dass das Tatherrschaftskriterium aufgrund seiner relativen Abhängigkeit zum Oberbegriff des tatbestandlichen Erfolges nicht dazu geeignet sei, derartige Kriterien aus sich selbst heraus zu bestimmen.[11]
Anmerkungen
Rotsch „Einheitstäterschaft“ statt Tatherrschaft, S. 290 ff.
Siehe zum Ansatzpunkt Marlies oben Rn. 17 ff.
Siehe etwa Rotsch „Einheitstäterschaft“ statt Tatherrschaft, S. 198.
Rotsch „Einheitstäterschaft“ statt Tatherrschaft, S. 280 f.
Rotsch „Einheitstäterschaft“ statt Tatherrschaft, S. 210; 290 ff.
Rotsch „Einheitstäterschaft“ statt Tatherrschaft, S. 291.
Rotsch „Einheitstäterschaft“ statt Tatherrschaft, S. 291.
Rotsch „Einheitstäterschaft“ statt Tatherrschaft, S. 291.
Rotsch „Einheitstäterschaft“ statt Tatherrschaft, S. 292.
Rotsch „Einheitstäterschaft“ statt Tatherrschaft, S. 292.
Rotsch „Einheitstäterschaft“ statt Tatherrschaft, S. 292 f.
J. Zirkelschluss der Tatherrschaftslehre
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Des Weiteren wird der Tatherrschaftslehre vorgeworfen, in Bezug auf das tatbestandsmäßige Geschehen an einem unauflöslichen Zirkelschluss zu leiden.[1] Wenn sich die Frage nach Tatherrschaft und damit Täterschaft danach entscheiden solle, wer die zentrale Gestalt des tatbestandsmäßigen Geschehens sei, sei es ausgeschlossen, das Tatherrschaftskriterium bereits für die Frage heranzuziehen, was genau das tatbestandsmäßige Geschehen denn eigentlich sei. Die Tatherrschaftslehre mache die folgenden Kriterien zur Voraussetzung für das tatbestandsmäßige Geschehen: Verursachung des tatbestandsmäßigen Erfolgs, objektive Zurechnung und Tatherrschaft. Vor diesem Hintergrund könne das Kriterium der Tatherrschaft darüber hinaus nicht auch noch darüber entscheiden, wer die zentrale Gestalt dieses tatbestandsmäßigen Geschehens sei, denn die Frage nach Tatherrschaft werde bereits auf der unteren Ebene zur Bestimmung des tatbestandsmäßigen Geschehens herangezogen. Bei einer solchen Vorgehensweise laufe der Begriff der Tatherrschaft daher Gefahr, zur Voraussetzung seiner selbst zu werden.[2] Dieser Zirkelschluss habe zur Folge, dass der Tatherrschaftsbegriff sich nicht zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme eigne. Dies ergebe sich zusätzlich aus Folgendem: Wenn Tatherrschaft erst das tatbestandsmäßige Geschehen konstituiere, sei es ausgeschlossen, Teilnehmer als Teil des tatbestandsmäßigen Geschehens anzusehen, denn Teilnehmer hätten eben gerade keine Tatherrschaft. Wenn aber Teilnehmer – was die zwingende Folge wäre – außerhalb des tatbestandsmäßigen Geschehens stünden, könne das tatbestandsmäßige Geschehen für Teilnehmer im Rahmen der Tatherrschaftslehre auch nicht der Bezugsrahmen für ihre Strafbarkeit sein. Zwingende Folge wäre also, dass Täterschaft und Teilnahme einen unterschiedlichen Bezugsrahmen hätten.[3]
Anmerkungen
Rotsch „Einheitstäterschaft“ statt Tatherrschaft, S. 293 f.
Rotsch „Einheitstäterschaft“ statt Tatherrschaft, S. 293.
Rotsch „Einheitstäterschaft“ statt Tatherrschaft, S. 294.
K. Zwischenfazit zur neuesten Kritik an der Tatherrschaftslehre
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Die weitere Kritik an der Tatherrschaftslehre lässt sich in zwei verschiedene Kategorien unterteilen, denen jedoch derselbe Kern innewohnt. Dadurch, dass für eine Vielzahl von Delikten das tatbestandsrelevante Verhalten nicht hinreichend geklärt sei, sei die Tatherrschaftslehre gezwungen, dieses selbst zu konstituieren. Hierzu sei sie jedoch nicht in der Lage, weil sie zum einen keinen objektiven Bewertungsmaßstab enthalte und weil sie zum zweiten stets in einer relativen Abhängigkeit zum Oberbegriff des tatbestandsmäßigen Erfolges stehe. Darüber hinaus – und dies ist der vordringlichster Einwand – verlange die Tatherrschaftslehre jedoch Unmögliches, wenn sie fordere, dass der Begriff der Tatherrschaft sowohl unrechtskonstituierend (Bestimmung des tatbestandsmäßigen Geschehens) als auch unrechtsbewertend (Bewertung des tatbestandsmäßigen Geschehens) wirken solle.
Sämtliche der vorstehend geschilderten Einwände gegen die Tatherrschaftslehre verdeutlichen, dass die Anwendbarkeit des Tatherrschaftskriteriums auf einen bestimmten Straftatbestand maßgeblich von der Frage abhängt, inwieweit sich für diesen Tatbestand die Tatbestandshandlung konkret definieren lässt. Wenn dies nicht möglich ist und statt auf ein bestimmtes Verhalten allein an die irgendwie geartete Verursachung des tatbestandlichen Erfolges angeknüpft werden kann, gerät die Tatherrschaftslehre in nachhaltige Schwierigkeiten, weil sie für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme maßgeblich auf die Vornahme der Tatbestandshandlung abstellt. Wenn die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme, sowie die dogmatische Herleitung von Täterschaft im Rahmen der Steuerhinterziehung, anhand des Kriteriums der Tatherrschaft geschehen soll, bedarf es einer Klärung